Wie ticken Linke?

Der norwegische Komiker und Soziologe Harald Eia hat in einer TV-Sendung den „Gender-Mainstream“ mit geradezu sensationell anmutender Leichtigkeit bloßgestellt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. September 2012 gab er ein Interview, aus dem einige interessante Sätze hier angeführt werden.

„Ja. Es gab eine riesige Debatte. Es war komisch. Bevor das Programm anfing, sagten mir die Leute noch: Wir haben keine Lust auf die Diskussionen darüber, ob etwas angeboren ist oder nicht. Das ist altmodisch. Und dann wurde ich sehr kritisiert.“

„Interessant ist, dass man meinen sollte, in einer gleichberechtigten Gesellschaft gebe es keine Unterschiede mehr. Aber das Paradoxe ist, dass in einer sehr freien Gesellschaft neue Unterschiede auftauchen. Und zwar angeborene Unterschiede.“

„Ich bin nicht gegen Feminismus. Ich bin gegen schlechte Forschung. Ich wollte der Öffentlichkeit zeigen, wie dogmatisch manche Wissenschaftler in diesem Feld sind.“

Durch das gesamte Interview zieht sich der Vorwurf der Ignoranz und Arroganz der Linken, die naturwissenschaftliche Erkenntnisse aus ihren Ideologien völlig ausblenden.

Die Sache macht nachdenklich und führt zur Frage, wie dogmatische Linke ticken. Es geht dabei nicht um sozialen Ausgleich, um Subsidiarität, um die Unterstützung der Schwachen, um Bildung für alle. Diese und andere Ideen finden sich heute in unterschiedlichen Varianten bei allen Parteien, denn hier handelt es sich um einen Grundkonsens demokratischer Staaten.

Eine Spurensuche in Büchern wie „Das Kapital“ oder „Das kommunistische Manifest“ ist nicht zielführend, denn darin geht es um die Neugestaltung der menschlichen Gesellschaft, also Politik. Wie halten es die dogmatischen Linken aber mit den Wissenschaften? Fündig wird man in der „Dialektik der Natur“ von Friedrich Engels. Die mir vorliegende Ausgabe kommt vom Dietz Verlag Ostberlin, ist also authentisch.

Engels gibt in seinem Werk einen Überblick über den Stand von Biologie, Physik und Chemie, der etwas dürftig ausfällt, denn das Buch wurde zwischen 1873 und 1883 geschrieben. Radioaktivität, Atomphysik, Relativitätstheorie, Quantenphysik, Genetik und andere Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts gab es damals noch nicht. Auffallend ist, dass Engels immer wieder auf verschiedene Philosophen zurück greift, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu deuten. Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel spielt dabei eine besondere Rolle als Ausgangspunkt für den Marxismus. Es fällt auf, dass Engels regelmäßig die Floskeln „… wie Hegel richtig vermutet … wie Hegel richtig analysiert …“ usw. verwendet.

Hegels Philosophie des Idealismus spielt heute keine Rolle mehr. Die westlichen Kulturen erleben seit Jahren eine Krise ideologisch-dogmatischer Glaubenssysteme. Das Ansehen von Parteien, die früher den Glauben an einen „neuen Menschen“ und eine neue Gesellschaft propagierten, ist bei den intellektuellen Eliten auf einen Tiefstand gefallen. Cash-Flow statt Klassenbewusstsein, Disco statt Diskussion, Feng Shui statt Mao Tse-tung. Die Wurzeln für diese Veränderungen liegen nicht nur im Versagen der Ideologien der letzten Jahrzehnte, sondern auch in der anhaltenden naturwissenschaftlichen Revolution. Ein zutiefst entmutigter Idealismus macht einem modernen Realismus Platz.

Wie also ticken dogmatische Linke heute? Wir wissen, was sie fordern, nämlich Millionärssteuern, Gesamtschulen und Beseitigung aller Ungleichheiten. Wenn Linke nach Chancengleichheit rufen, meinen sie in Wahrheit Ergebnisgleichheit. Wie aber ticken sie?

Diese Frage beantwortet ein erstaunlicher Vorfall aus dem Jahr 1996.

Alan Sokal führt die Linken vor

Biologen, Physiker, Chemiker und andere Vertreter der Naturwissenschaften kommen in allen Kulturen im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen. Die Lichtgeschwindigkeit ist bei allen Messungen gleich, und alle Wasserstoffatome haben immer nur ein Proton im Kern. Trotzdem behaupten ideologisch motivierte Geisteskrieger, alles Wissen sei relativ zur jeweiligen Kultur, und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften seien eine vergleichsweise belanglose Kategorie. Genau das behauptete auch Engels in seiner „Dialektik der Natur“. Darin beschwert er sich, dass Wissenschaftler in Wahrheit philosophische Analphabeten sind.

Alan Sokal ist Physiker an der Universität New York. Seit Jahren beobachtete er die intellektuellen Normen in den amerikanischen Geisteswissenschaften, die wie bei uns einen deutlichen Linksdrall aufweisen. Diese Standards tragen klingende Bezeichnungen wie „Antirealismus", „Relativismus" und „Widerlegung des Objektivismus".

Im Jahr 1996 verfasste Alan Sokal den Artikel „Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity“ (Grenzüberschreitung: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation) und schickte seine Arbeit an die bekannte und renommierte Zeitschrift „Social Text". Diese Zeitschrift behandelt vorwiegend Themenbereiche wie Gesellschaftspolitik, sowie Human- und Sozialwissenschaften.

Im ersten Teil des Artikels verhöhnte Sokal die Naturwissenschaften. Dabei bekämpfte er die Theorie, dass eine reale Welt außerhalb der menschlichen Wahrnehmung existiere und dass einzelne Eigenschaften der Welt die Form von Naturgesetzen annehmen könnten. Alan Sokal verkündete, dass fundamentale naturwissenschaftliche Theorien unhaltbar seien, dass dies längst bekannt sei, dass man sich dies nicht zuzugeben traue, und dass man die Thesen der modernen Geisteswissenschaften mit Hilfe der Quantenphysik beweisen könne.

Im zweiten Teil seines Artikels erklärte Sokal unter Berufung auf einschlägige „Erkenntnisse", dass die Naturgesetze nichts als Luftschlösser wären. Nicht unsere Theorien über die Naturgesetze seien Hirngespinste, sondern die Naturgesetze selbst. Spätestens hier hätte kritischen Geistern ein Licht aufgehen müssen. Man kann sich die Aussage Sokals auf der Zunge zergehen lassen, wenn man die Sache anhand eines konkreten Beispiels betrachtet. Sokal behauptete, dass nicht nur das Gravitationsgesetz (die Theorie) falsch ist, sondern auch die Gravitation (die Schwerkraft) selbst. Dass das Gravitationsgesetz gar nicht falsch sein kann, weil es die Grundlage der Raumfahrt bildet, interessierte ihn anscheinend nicht.

Die geisteswissenschaftliche „Elite“ Amerikas war restlos begeistert, als Sokal schließlich aufgrund der vermeintlichen Fehler und Irrtümer zur politischen Kontrolle der Wissenschaften aufrief. Die Diskussionen über Sokals Aufsatz, die an mehreren Universitäten weltweit (!) und sogar in Zeitschriften wie New York Times Literary Supplement, Le Monde (!) usw., geführt wurden, nahmen erstaunliche Dimensionen an. Naturwissenschaftler meldeten sich nicht zu Wort, was von den an der Debatte beteiligten Philosophen, Psychologen und Soziologen als Bestätigung der Vorwürfe angesehen wurde.

Die eiskalte Dusche kam, als Sokal bekannt gab, dass sein Aufsatz als Parodie konzipiert war und nichts als blanken Unsinn enthielt. Niemand hatte gewagt, Sokals geistreich klingende, aber abgrundtief schwachsinnige Thesen zu überprüfen. Nicht nur renommierte Zeitschriften hatten sich zum Gespött gemacht. Auch eine geistig marode Klasse, die man mit banalen, aber klangvollen Worthülsen beeindrucken kann, war von Sokal schonungslos vorgeführt worden.

Die Affäre Sokal hat auf eindrucksvolle Art gezeigt, wie die Linken ticken. Wissenschaften interessieren sie kaum, und wenn, dann müssen sie staatlich kontrolliert und zensuriert werden. Sie halten den Wissenschafts- und Technologiebetrieb sogar für eine Bedrohung, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass Linke vermehrt bei den Grünen anzutreffen sind. Es fällt weiter auf, dass Linke mit einem eindrucksvoll klingenden aber lächerlichen Wortgedröhn („homophob“, „antiheteronormativ“, „Seinsart eines innerweltlich Zuhandenen“) operieren, was sogar die eigenen Leute wie etwa Noam Chomsky kritisieren.

Es wird damit auch klar, warum jede von linken Politikern und Journalisten angestoßene Diskussion (neudeutsch: „Diskurs“) immer bei gesellschaftlichen Strukturen landet, nie aber bei konkreten Inhalten. Das Etikett zählt, nie der Inhalt – oder hat irgendjemand irgendwann vernommen, wie eine Gesamtschule konkret aussehen soll? Solche Fragen kann, vor allem aber will kein Linker beantworten. Es geht ihm – wie bei Hegel – nicht um Substantielles, nicht um Genauigkeit, sondern nur um gesellschaftspolitisch-philosophische Luftschlösser.

Die (dogmatische) Linke hat in Österreich intellektuell abgedankt. Seit Kreisky hat es nie mehr eine linke Mehrheit im Parlament gegeben. Trotzdem haben es gewisse Medien immer wieder geschafft, uns eine gefühlte Zweidrittelmehrheit in Gesellschaft und Parlament vorzugaukeln. Des Kaisers neue linke Kleider stellen – so gesehen – eine gewisse Leistung dar.

Alan Sokal hat die weidwund geschossenen „Intellektuellen“ später ein zweites Mal in Form eines Buches vorgeführt: Alan Sokal, Jean Bricmont: „Eleganter Unsinn – wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen.“ (dtv).

Mag. Dr. Rudolf Öller, Jg. 1950; Gebürtiger Oberösterreicher und promovierter Genetiker; unterrichtete an einem Gymnasium und einer BHS Biologie, Physik, Chemie und Informatik. Nebenberuflich Rettungssanitäter und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz Vorarlberg.

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