Die roten Meinungsmacher (28): ORF unter Schock: Der Senkrechtstart der Antenne Steiermark

Seit seiner Gründung im Jahr 1967 bis zum Start der Antenne Steiermark Ende 1995, war Ö3 der einzige Radiosender Österreichs, der aktuelle Popmusik spielte. Wer keine Schlager, Oldies, Volksmusik oder Klassik im Radio hören wollte, der kam an Ö3 nicht vorbei. Obwohl das Programm Mitte der 90er Jahre längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit war, waren die Hörerzahlen, dank der Monopolstellung des bereits etwas angestaubten Senders mit einer Tagesreichweite von 36,1 Prozent[i], noch halbwegs akzeptabel.

Um der künftigen privaten Konkurrenz nicht ganz unvorbereitet entgegenzutreten, verbannt Senderchef Edgar Böhm Anfang 1995 die sperrigsten Sendungen aus dem Ö3-Programm. Magazine wie die Musicbox oder Zick Zack werden auf den Sender FM4 ausgelagert, der gemeinsam mit Blue Danube Radio auf der vom ORF gekaperten vierten bundesweiten Frequenzkette ohne große Hörerschaft vor sich hin sendet. Um den Sender durchhörbarer zu machen wird auch das einstündige Mittagsjournal, das Ö3 von Ö1 übernommen hatte, gestrichen. Mit diesen  Maßnahmen wähnt sich die ORF-Führung für die Sendstarts der neuen Privatsender gerüstet.

Dank des von SPÖ und ÖVP verpfuschten Regionalradiogesetzes bleibt dem ORF aber ohnehin die große Konkurrenz erspart, lediglich in der Steiermark und in Salzburg treten regionale Herausforderer an. Kurz, nachdem die Antenne Steiermark Ende September auf Sendung gegangen ist, lassen der ORF und die Antenne beim Meinungsforschungsinstitut Fessel-GfK eine Umfrage durchführen. Das Ergebnis, das Anfang November veröffentlicht wird, ist für den ORF ein riesiger Schock:

Der neue Privatsender kommt aus dem Stand bei der für die Werbewirtschaft relevanten Zielgruppe der 14-49jährigen in der Steiermark auf eine Tagesreichweite von 47,1 Prozent und lässt damit die beiden ORF-Sender Ö3 mit 36,1 Prozent und Radio Steiermark mit 27,7 Prozent deutlich hinter sich.

Wenig später bescheinigt auch der Radiotest der Antenne Steiermark sensationelle Hörerzahlen: Der neue Privatsender kommt bei den 14-49jährigen auf 54 Prozent Tagesreichweite, Radio Steiermark und Ö3 sind mit 21 bzw. 20 Prozent weit abgeschlagen.[ii]

Beim ORF schrillen nun alle Alarmglocken. Das Desaster in der Steiermark ist eine Sache, wenn allerdings die Privatsender, die in näherer oder mittlerer Zukunft auch in den anderen Bundesländern starten werden, ähnlich erfolgreich sind, dann haben die Staatsradios ein ernsthaftes Problem. Eile ist geboten, schließlich reformiert man einen Monopolsender mit verkrusteten Strukturen und veraltetem Programm nicht von heute auf morgen.

„Der Grund für die Nervosität: Ö3 will mit der Reform dem Privatradiogesetz zuvorkommen, hat Angst vor steirischen Zuständen.“[iii]

Weg mit dem Bildungsauftrag, her mit bci

Und ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler handelt schnell: Der glücklose Ö3-Chef Edgar Böhm wird auf einen gut dotierten Posten entsorgt und durch den bisherigen Ö3-Musikchef Bogdan Roscic ersetzt. Das staatliche Hitradio zieht aus dem Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße aus und bekommt eigene Räumlichkeiten an der Donaulände. Und weil guter Rat teuer ist, engagiert man die erfolgreiche deutsche Radioberatungsfirma bci, sie soll aus Ö3 einen konkurrenzfähigen Popsender machen.

„Maßgeblichen Einfluß auf die Neugestaltung von Ö3 hatte (…) die Beratungsfirma bci, die in Deutschland zahlreiche private Radiostationen betreut hat und die ihrem Ruf unter anderem durch den Know-how-Transfer von den USA nach Deutschland erworben hat. Acht bci-Berater, jeder einzelne mit einem eigenen Schwerpunkt, waren und sind für den ORF und Ö3 tätig.“[iv]

Kurz, man bringt den Sender, „auf ebenso kommerzielle wie konkurrenzsichere Stromlinie.“[v]Der öffentlich-rechtliche Auftrag spielt dabei kaum noch eine Rolle, wichtig ist vielmehr, die künftigen privaten Konkurrenten gar nicht erst groß werden zu lassen. Ö3 wird mit Hilfe der Beratungsfirma bci in einen „staatlichen Privatsender“ umgewandelt. Schließlich will man sich, wie der damalige Hörfunkintendant Gerhard Weis verkündet, „auf diesen Wettbewerb erstklassig vorbereiten“[vi], um weiterhin überlegener Marktführer zu bleiben.

Während SPÖ und ÖVP nun in aller Ruhe an einem neuen Entwurf für das Privatradiogesetz basteln, haben Roscic und die bci genügend Zeit, das Ö3-Programm fit für die künftige Konkurrenz zu machen. Schon damals mutmaßen Experten, dass noch mindestens ein oder zwei Jahre ins Land ziehen werden, bevor in Österreich flächendeckend Privatsender starten dürfen. Antenne Steiermark-Geschäftsführer Alfred Grinschgl: „Meiner Meinung nach haben diese beiden Gesellschaften [Antenne Steiermark und Radio Melody, A.d.V.] einen Startvorteil von zumindest zwei Jahren gegenüber allen andern Regionalradios.“[vii]

Es sollte noch bis zum 1. April 1998 dauern.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.)

Endnoten

[i] Quelle: Radiotest, 2. Quartal 1995; Hörer 10+. 36,1% Tagesreichweite entspricht ca. 2,5 Millionen täglicher Hörer, ein Wert, den Ö3 trotz verschärfter Konkurrenz im 2. Halbjahr 2011 mit 37,1% sogar übertrifft.

[ii] Austria Presse Agentur. 6.8.1996.

[iii] TV Media. 21/1996.

[iv] Kräuter. 1998. Seite 146.

[v] Fidler. 2004. Seite 292.

[vi] Siehe Kräuter. 1998. Seite 146.

[vii] Wieser. 1997. Seite 13. 

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