Die roten Meinungsmacher (23): Blue Danube Radio: Der große Frequenzraub

Am 23. August 1979 blickt die Welt auf Österreich, genauer gesagt auf die Donaustadt, den 22. Bezirk von Wien. Denn dort übergibt, nach 6-jähriger Bauzeit und Investitionen von knapp sechs Milliarden Schilling, Bundeskanzler Bruno Kreisky feierlich die Wiener UNO-City[i] per Handschlag an UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim. Nun ist Wien neben New York und Genf offiziell dritte UNO-Stadt.

Um das neu gewonnene internationale Flair zu steigern, fragt Vizekanzler Hannes Androsch bei Gerd Bacher an, „ob der ORF nicht etwas für die vielen internationalen Beamten und Diplomaten in Wien tun könne.“[ii], wie ORF-Minnesänger Franz Ferdinand Wolf in seiner Rundfunkchronik schreibt.

Dieses für den ORF äußerst verlockende Angebot lässt sich Generalintendant Gerd Bacher natürlich nicht entgehen, zumal die Bundesregierung auch noch die Kosten für den Sender aus Budgetmitteln übernimmt. Er startet am 23. September den Sender Blue Danube Radio. Das mehrsprachige Radio, das auf der Frequenz 102,2 MHz sendet, ist als Service für die tausenden internationalen UN-Beamten gedacht. Blue Danube Radio ist deshalb nur in der Bundeshauptstadt zu empfangen.

Die Bundesregierung verliert schließlich das Interesse an dem mehrsprachigen Radio mit kleiner Hörerschaft und stellt die Zahlungen für Blue Danube Radio mit 1.1.1987 ein. Der ORF, der den Sender ein Jahr zuvor auf die wesentlich leistungsstärkere Frequenz 102,5 MHz übersiedelt hatte, betreibt aus strategischen Gründen Blue Danube Radio aus „eigener" Tasche, sprich aus Gebührengeldern, weiter.

Pläne für Ö4

Bereits zu Beginn der 80er Jahre wird im ORF immer wieder über die Einführung eines vierten österreichweiten Radioprogramms nachgedacht, Arbeitstitel: Ö4. Gerd Bacher liebäugelt dabei mit einem Klassikkanal[iii], weil dieser relativ billig umzusetzen ist.

Im Übereinkommen zwischen dem ORF und dem VÖZ aus Jahr 1985, dem sogenannten elektronischen Grundkonsens, wird deshalb festgehalten: „Der ORF wird die Radiofrequenzen 100 bis 108 MHz nicht für seine Zwecke beanspruchen. Ausgenommen sind lokale Versorgungsnotwendigkeiten und der geplante Musikkanal Ö4: Im Falle der Realisierung von Ö4 müsste der ORF eine der zwei in diesem Frequenzbereich möglichen nationalen Senderketten durchgängig in Anspruch nehmen.“[iv]

Die Strategie des ORF ist klar: UKW-Frequenzen stehen nur begrenzt zur Verfügung, sie sind ein knappes Gut. Je mehr freie Frequenzen sich der ORF vor der unvermeidlichen Rundfunkliberalisierung unter den Nagel reißt, desto weniger bleiben für die künftigen Privatsender übrig. Weil man im ORF Mitte der 80er Jahre weiß, dass sich das Monopol auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt, muss man „den Markteintritt der Mitbewerber möglichst verzögern, ihre Zahl und ihr künftiges Spielfeld klein halten.“[v]

Das wissen auch die Zeitungverleger, die sich selbst als die einzig wirklich berechtigten künftigen Privatradiobetreiber sehen. VÖZ-Präsident Franz Ivan: „Wenn sich nämlich der Baum ORF ausbreitet, bleibt kein Platz mehr für das Pflänzchen Privatradio.“[vi] 

Mitte der 80er Jahre ist aber noch relativ viel Platz im heimischen UKW-Spektrum für künftige Privatradios. 1984 wird in der Schweiz das Genfer Abkommen und der dazugehörige Frequenzplan GE84[vii] beschlossen. Das völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk regelt die Frequenznutzung in Europa, sowie Teilen Asiens und Afrikas. Der „Genfer Plan 84“ tritt drei Jahre später, 1987 in Kraft. Österreich stehen nun fünf volltaugliche bundesweite Senderketten zur Verfügung.

Drei davon sind mit Ö1, Ö3 und den Ö2-Regionalradios bereits in den Händen des ORF. Für die künftigen Privaten bleiben damit zwei Frequenzketten übrig. Und damit das auch so bleibt, schließen die Zeitungsverleger 1987 ein Zusatzabkommen zum zweiten elektronischen Grundkonsens[viii] mit ORF Generalintendant Teddy Podgorski: Darin wird festgehalten: „Der ORF wird – entgegen seinen früheren Absichten – seine Programme nicht erweitern und verzichtet damit auch auf das schon sehr konkret geplant gewesene Radioprogramm Ö4“.[ix]

Der Frequenzraub: Kein Platz für Private

Aber Papier ist bekanntlich geduldig und der ORF baut still und heimlich die Reichweiten des ursprünglich nur für Wien gedachten Senders Blue Danube Radio Schritt für Schritt aus. „Da der englischsprachige Sender in erster Linie von der International Community in Wien gehört wird, erscheint die österreichweite Ausstrahlung als Humbug.“[x], schreibt die Wirtschaftswoche. Aber um die Hörer geht es dabei, wie so oft beim ORF, ja auch nicht.

Dass es für die österreichweite Ausstrahlung von Blue Danube Radio weder einen politischen Auftrag noch eine gesetzliche Grundlage gibt, kümmert weder den ORF noch die Regierung. Lediglich die Zeitungsherausgeber werden unruhig. ORF Generalintendant Teddy Podgorski beruhigt die verunsicherten Privatradiobetreiber in spe jedoch: „Die Ausweitung des BDR-Sendegebiets geschehe nur, um die neu anzuschaffenden Anlagen für die künftigen „Radio Print“ Projekte zwischenzeitlich zu nützen. So könne man dem ORF-Kuratorium den Ankauf neuer Sendeanlagen für „Radio Print“ etwas schmackhafter machen.“[xi]

Wenig später wird Podgorski von Gerd Bacher an der Spitze des ORF abgelöst. Bacher fühlt sich an die Zusagen seines Vorgängers nicht mehr gebunden. Von einer Rückgabe der Blue Danube Frequenzen will Bacher plötzlich nichts mehr wissen. Die Zeitungsverleger werfen ihm daraufhin vor, er verletze ein Gentlemen’s Agreement. Bacher soll darauf schulterzuckend geantwortet haben. „Dann bin ich halt kein Gentleman.“[xii]

Da nutzen auch die beschwörenden Worte von VÖZ-Generalsekretär Franz Ivan nichts: „Der ORF hat sich verpflichtet, kein viertes österreichweites Radioprogramm zu betreiben und das Frequenzband 100-108 MHZ für private Anbieter reserviert zu halten.“[xiii]

Die Zeitungsverleger wenden sich an SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher. Sie bezweifeln, dass bei einer künftigen Radioliberalisierung ORF und Private bei der Frequenzvergabe gleichberechtigt behandelt werden.[xiv].Zudem fordert der VÖZ, „daß die nach seiner Ansicht überhöhten Sendeleistungen des ORF – die zu einer prohibitiven Besetzung von Frequenzen führt – beschränkt werden.“[xv]

Solche Einwände stören aber weder den ORF noch den Verkehrsminister. 1992 ist Blue Danube Radio bereits auf 32 Frequenzen in ganz Österreich zu hören. „Die Regierungsparteien, die das eigenmächtige Vorgehen im Kuratorium  verhindern könnten, machen keinerlei Anstalten gegen die ORF-Strategie der vollendeten Tatsachen einzuschreiten.“[xvi]

Bundesweiter Ö3-Konkurrent im Keim erstickt

Es ist wie schon so oft in den Jahren zuvor das gleiche Spiel, ORF und SPÖ versuchen die Rundfunkliberalisierung zu behindern, zu verzögern, zu hintertreiben, die ÖVP, in Sachen Medienpolitik stets etwas unbeholfen und ungeschickt, erkennt die Strategie der roten Medienmacher nicht bzw. zu spät.  Der Plan des ORF geht jedenfalls auf, mit Blue Danube Radio, das später in den alternativen Jugendsender FM4 umgewandelt wird, kann der Staatsfunk rund die Hälfte der noch freien überregionalen Frequenzen den künftigen Privatsendern entziehen und das ohne jede gesetzliche Grundlage.

Frequenzen sind ein öffentliches Gut, über das der Gesetzgeber zu bestimmen hat. Doch der schaut demonstrativ weg. Vor den Augen einer in diesen Belangen weitgehend desinteressierten Bevölkerung und im Verbund mit der SPÖ kapert der ORF dutzende Frequenzen, um so die Zahl seiner künftigen Konkurrenten auf ein Minimum zu reduzieren. Erst viele Jahre später, nämlich 1997 „werden die gesetzlichen Grundlagen für die Inbesitznahme der vierten Kette durch den ORF nachgereicht.“[xvii]

Die Rundfunkmonopolisten haben einen weiteren Sieg im Kampf gegen die Pressefreiheit errungen. Denn mit der Inbeschlagnahme der vierten Frequenzkette hat der ORF noch vor der Liberalsierung des Hörfunks „das Entstehen eines kommerziell starken, überregionalen ORF-Konkurrenten nach dem Muster der Antenne Bayern verhindert.“[xviii]

Die künftigen Privatradiobetreiber müssen sich nun mit einer mageren nationalen Frequenzkette zufriedengeben, und diese soll, so ist es damals politisch bereits auspaktiert, auf zehn eigenständige Veranstalter in den neun Bundesländern[xix] aufgeteilt werden. Ein privater bundesweiter Ö3 Konkurrent, der dem ORF massiv Werbegelder entziehen könnte, ist damit gestorben.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs. Nächste Folge: Hubschraubereinsatz: Die Jagd auf Radiopiraten)

Endnoten

[i] Die Wiener Uno City heißt offiziell Vienna International Center (VIC)

[ii] Wolf. 2001. Seite 41.

[iii] Siehe Pratt. 1997. Seite 91.

[iv] Prath. 1997. Seite 91.

[v] Fidler/Merkle. 1999. Seite 102.

[vi] Ivan. 1991. Seite 33.

[vii] Siehe Lindenmaier. 1995. Seite 80.

[viii] Siehe Fidler. 2008. Seite 483.

[ix] Prath. 1997. Seite 92.

[x] WirtschaftsWoche Nr.8.; 18.2.1993.

[xi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xiii] Ivan. 1991. Seite 33.

[xiv] Gattringer. 1994. Seite 76.

[xv] Gattringer. 1994. Seite 76.

[xvi] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xvii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 103.

[xviii] Fidler/Merkle. 1999. Seite 104.

[xix] Für Wien hatte man zwei vorgesehen.

 

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