Wiener Tagebuch: O du lieber Corona-Leugner

Walter Sonnleitner, langjähriger ORF-Wirtschaftsredakteur, hat ein Buch über die Folgen der Corona-Maßnahmen für unsere Gesellschaft geschrieben: Die Corona-Falle. Darin warnt er vor den dauerhaften Einschränkungen unserer Freiheiten und Bürgerrechte. Das spannende Buch ist in meinem Verlag erschienen. Ein Satz daraus gefällt mir besonders: "Nicht alle Menschen im Lande haben sich gehorsam den Verordnungen und Verboten gegenüber verhalten – möglicherweise aus Leichtsinn, oder einfach, weil sie keine richtige Angst vor dem Virus entwickeln konnten."

So geht es mir: Ich kann keine Angst vor dem Virus entwickeln. So sehr ich mich auch bemühe. Selbst wenn ich versuche, die Ausführungen von Herrn Angstschober ernst zu nehmen. Was zugegebenermaßen schwer fällt.

Ich weiß außerdem nicht mehr, was unser Gesundheitsminister so von sich gibt. Immer wenn ich den oberösterreichischen Dorfschullehrer im Fernsehen sehe, muss ich weiterzappen. Einmal bin ich bei einem Home-Shopping-Kanal gelandet. Der Unterschied zu Anschober war nicht sehr groß. Auf beiden Kanälen versuchte man mir etwas in aufdringlicher Weise zu verkaufen: hier Corona-Panik, dort einen Gurkenhobel. Ich brauche weder das eine noch das andere.

Ich bin kein sogenannter Corona-Leugner, ich glaube nicht an die große Corona-Verschwörung – obwohl Politiker die Pandemie selbstverständlich für ihre politischen Ziele instrumentalisieren –, ich bin mir bewusst, dass eine Infektion tödlich enden kann und dass die Regierungen Maßnahmen setzen müssen, um eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern. Ist mir alles bewusst. Trotzdem. Ich habe keine Angst um meine Kinder, meine Angehörigen oder um mich. Wenn ich ins Auto steige, habe ich auch keine vor einem Unfall. Obwohl ich weiß, dass ich jederzeit einen haben kann.

Vor allem aber möchte ich mir mein Leben die nächsten Wochen, Monaten oder gar Jahre – wer weiß das schon – von Politikern mit autoritären Gelüsten, von braven Untertanen, Denunzianten, übereifrigen Staatsdienern und anderen Zwangscharakteren nicht vermiesen, mir nicht meine Lebensfreude nehmen lassen. Ich werde auch weiterhin meine Sozialkontakte pflegen, mich mit Gleichgesinnten treffen, ausgehen, ein normales Leben, keines in der neuen Normalität führen.

Vielleicht geht es mir wie dem lieben Augustin. Das Wiener Stadtoriginal, die Wiener Sagenfigur soll im 17. Jahrhundert während der Großen Pest in Wien gelebt haben. In einem Totenbeschauprotokoll aus dieser Zeit findet sich ein Augustin N. (N steht für "Nescio", das heißt: "weiß ich nicht"), von Beruf "sakhpfeiffer", der 1685, sechs Jahre nach der großen Pest, verstorben ist.

Augustin war Sänger, Stehgreifdichter, Dudelsackspieler und ein, wie es damals hieß, "tüchtiger Trinker". Er zog von Wirtshaus zu Wirtshaus, unterhielt die Gäste mit zotigen Liedern und Reimen, um sein so verdientes Geld noch an Ort und Stelle zu versaufen.

Daran änderte auch die große Pest 1679 nichts, die laut zeitgenössischen Quellen rund 80.000 Wienern das Leben kostete.

Die tödliche Seuche konnte Augustin nicht davon abhalten, singend durch die Wirtshäuser zu ziehen. Eines Tages, als er in einer Gasse seinen Rausch ausschlief, wurde er von Pestknechten für tot gehalten und in eine Pestgrube im heutigen 7. Bezirk geworfen. Als er zwischen den Pesttoten erwachte, grölte er und spielte solange Dudelsack, bis man ihn aus der Grube zog.

Augustin wurde zur Legende, weil er trotz der verheerenden Pest-Epidemie seine Lebensfreude und seinen Humor nicht verloren hat. In Wien erinnern das Relief an der Mauer des Griechenbeisls in der Innenstadt und der Augustinbrunnen am Augustinplatz im 7. Bezirk an den lebensfrohen Mann. Jetzt steht der steinerne Augustin mitten im spießig-grünen Bobo-Bezirk, wo besonders viele unkritische Corona-Untertanen und Anschober-Groupies leben.

Menschen, wie der liebe Augustin, haben im Corona-Wien heute keinen Platz mehr. Er wäre heute kein Volksheld mehr, sondern ein böser Corona-Leugner, ein Gefährder, den man nicht bewundert und besingt, sondern bei der Polizei denunziert, verachtet und meidet.

Die grünlinken Corona-Jakobiner verstehen keinen Spaß. Weder bei Corona noch bei andern Dingen. Sie leben nach strikten Vorgaben, die wie beim Islam das ganze Leben von der Wiege bis zur Bahre regeln. Was man essen, lesen, sagen und denken darf. Wer etwa Schnitzel, schnelle Autos oder gute Witze liebt – gute Witze sind politisch immer unkorrekt –, zählt bereits zu den Gefährdern, den bösen Menschen.

Mit Corona können die Neo-Spießer nun ihre Lustfeindlichkeit und ihren Kollektivismus so richtig ausleben. Jetzt kann man endlich auf Teufel komm raus verbieten, regeln, vorschreiben, bestimmen und einschränken. Zu "unserem" Wohl. Wer nicht voller Angst mitmacht, wer an der Sinnhaftigkeit oder Angemessenheit gewisser Corona-Regeln oder an der Weisheit unseres Gesundheitsministers zweifelt, ist ein Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner, Gefährder, Krimineller, der wird aus der Herde der Untertanen ausgesondert und an den Medien-Pranger gestellt.

Als Volksheld, als Original wird man jedenfalls nicht mehr gefeiert, wenn man trotz der Corona-Epidemie sein Leben genießt, seinen Humor trotz Angstschober, Nehammer und Co. nicht verliert.

Solche Gefährder stellen die umsichtigen und weitblickenden Maßnahmen und die Autorität und Klugheit unserer türkisgrünen Politiker in Frage. Das mögen an die Macht gekommene Dorfschullehrer, Esoterik- und Öko-Tanten, Philosophiestudenten und Studienabbrecher gar nicht.

Schließlich haben sie mit Corona völlig neue Möglichkeiten, deutlich mehr politischen Spielraum und Macht bekommen. Sie genießen diese Ausnahmesituation, wie man an den unverschämten Verordnungen des Rudi Anschober erkennen kann. Deshalb soll aus ihr die dauerhafte neue Normalität werden, wo Politiker per Verordnung, also per Befehl das Leben der Menschen bis ins Private hinein bestimmen können. Der Traum eines jeden Linken.

Wir bräuchten mehr Menschen wie den lieben Augustin. Das denke ich mir, wenn ich mit der U-Bahn durch Wien fahre und mir diese seltsam bleierne Corona-Stimmung entgegenschlägt: O du lieber Augustin, alles ist hin.

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Er hat zuletzt das Buch "Europa 2030 – Wie wir in zehn Jahren leben" bei Frank&Frei herausgegeben.

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