Die geteilten Menschenrechte

Die österreichische Politik brüstet sich gerne mit den Menschenrechten. Auch das türkis-grüne Regierungsprogramm bekennt sich zu den Menschenrechten und strebt eine Verstärkung sowohl auf der Ebene der Europäischen Union als auch der Vereinten Nationen an. Auch der im österreichischen Parlament eingesetzte Ausschuss für Menschenrechte beschäftigt sich vornehmlich mit Menschenrechten und deren Verletzungen – im Ausland. Jüngst etwa in Nicaragua.

Die Politik tut so, als wäre die Menschenrechtssituation in Österreich untadelig. Verglichen mit anderen Ländern mag dies auch zutreffen. Doch gibt es einen Teilbereich, in dem Menschenrechtsverletzungen zur täglich gelebten Praxis ausgeartet sind, ohne dass die Politik irgendeine Reaktion zeigt.

Es geht um das Grundrecht auf einen fairen Prozess, und hier insbesondere um die überlange Dauer zahlreicher Verfahren. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte judiziert, dass in Abhängigkeit der Komplexität des (Vor- und Haupt-)Verfahrens die Länge variieren kann. Mehr als 6 bis 8 Jahre bis zur rechtskräftigen Erledigung darf allerdings auch ein kompliziertes Verfahren nicht dauern. In Österreich gehören Verfahren mit 15 Jahren Dauer allerdings bereits zur Normalität: BUWOG, Kärntner Seen, Refco.

Ein besonders tragisches Exempel bietet das BUWOG-Verfahren. Alleine das Hauptverfahren dauert bereits länger als die letzte Legislaturperiode - mehr als zwei Jahre. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht: Die Termine bis Ende April 2020 finden sich auf der Homepage des Landesgerichts für Strafsachen Wien. 16 Angeklagte verbringen schon mehr als 120 Verhandlungstage im Gerichtssaal.

An eine geregelte Arbeit ist neben einem solchen Prozess nicht zu denken. Diese Menschen sind ökonomisch erledigt. Die Strafe ist das Verfahren selbst. Die Vernichtung der ökonomischen Existenz erfolgt ganz ohne Urteil. Selbst ein Freispruch würde daran nichts ändern.

Der Verrat des Buwog-Angebots über 960 Millionen Euro erfolgte – mutmaßlich – im Juni 2004. Ein paar Wochen danach tötete ein Mann in Wien eine junge Frau. Der Mörder wurde verurteilt und im Jahr 2019 aus dem Gefängnis entlassen. Er hat eine neue Identität angenommen und versucht ein neues Leben aufzubauen.

Die 16 Angeklagten sehen noch lange kein Licht am Ende des Tunnels. Dass es vor dem Jahr 2025 ein rechtskräftiges Urteil geben könnte, ist nicht erwarten. Wie immer das Buwog-Verfahren also für die Angeklagten ausgeht, können sie mit einem Neubeginn ihres Lebens noch lange nicht rechnen. Dass ein Mörder bessergestellt ist, lässt nicht nur Juristen erschauern.

Wegen Menschenrechtsverletzungen müssen regelmäßig Strafzahlungen geleistet werden. Jede überlange Verfahrensdauer kommt teuer. Die neue Justizministerin wäre gut beraten, schon jetzt entsprechende Rückstellungen zu bilden.

Noch besser beraten wäre sie, wenn sie die juristischen Voraussetzungen schaffen würde, um dem grundrechtswidrigen Spuk ein Ende zu bereiten. Dann würde auch das Engagement der Bundesregierung für die Menschenrechte wesentlicher glaubwürdiger klingen.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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