Wiener Tagebuch: Es lebe der Zentralfriedhof

Der Zentralfriedhof gehört zu meinen Lieblingsplätzen in Wien. Ich mag die langen Alleen und die Gräber aus den verschiedenen Epochen mit ihren unterschiedlichen Baustilen. Ich mag die Verbindung von Natur und Kultur und die großartige Lueger-Kirche. Ich mag den verwilderten alten jüdische Friedhof und vor allem die Stille. Hier kann man am Rande der hektischen und lauten Großstadt spazieren, nachdenken, abschalten. Ein Ort der Ruhe, der Einkehr und des Rückzugs.

Die Stadt Wien sieht das anders. Trauer, Totenruhe, Einkehr, Stille: Papperlapapp. Reaktionärer, bürgerlicher Bullshit, Relikte aus längst vergangenen Zeiten. Wir leben schließlich in einer linken Spaßgesellschaft. Zumindest im rotgrünen Wien. So eine riesige Grünfläche in einer smarten City hat viel mehr Potential, als nur die Toten dort zu bestatten. Einen der größten Friedhöfe Europas muss man vielfältiger nutzen. Es lebe der Zentralfriedhof! Buntheit, Action, Trubel und billige linke Volksbespaßung nicht nur auf der Donauinsel oder am Rathausplatz, nein, auch dort, wo die Toten ruhen. Das ist offenbar die Devise.

Seit wenigen Wochen führen zwei ausgeschilderte Laufstrecken quer durch den Friedhof. Vor wenigen Tagen sind sie mit einem großen Laufevent eröffnet worden. Ich finde das super, wenn übergewichtige Frauen im Papageienlook an einer Trauergemeinde vorbeihecheln, ausgemergelte Langstreckenläufer durch die Angehörigen von frisch Verstorbenen zischen oder Jogger ihre Dehnungsübungen direkt neben (und hoffentlich nicht auf) dem Grab von Tante Helga machen.

Das macht Spaß, das bringt Schwung und Stimmung in den lahmen Friedhofsalltag. Das findet auch die Chefin der Friedhöfe Wien, Renate Niklas: "Zum einen gibt es jetzt schon Besucher, die uns fix in ihr Sportprogramm eingebunden haben…" 1a-Argument. Alle Achtung. Statt ihnen das Joggen am Zentralfriedhof zu untersagen, animiert man die Pietät- und Geistlosen auch noch mit offiziellen Laufstrecken und Friedhof-Laufevents. Linke Politik macht selbst vor Toten nicht halt. Frau Niklas weiter: "Der Friedhof hängt am Tod, deshalb wollen viele auch nichts mit ihm zu tun haben. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir ein Angebot schaffen, die 500 Hektar Friedhofsfläche, die wir in Wien haben, als Lebensraum zu positionieren."

Tolle Idee. Das neue Motto: Auf dem Friedhof ist der Teufel los. Man könnte doch glatt den Life-Ball wiederbeleben und auf den Zentralfriedhof verlegen, die Toten Hosen könnten ein Open Air Konzert spielen, die Sozis könnte am 1. Mai statt am Rathausplatz am Zentralfriedhof aufmarschieren (das würde wenigsten passen), ein Sommerkino mit den besten Zombiefilmen wäre auch nicht schlecht und als Zweigstelle für den Wurschtelprater würde sich der Zentralfriedhof – Stichwort Geisterbahnen – ebenfalls hervorragend eignen. Zudem würden sich unsere orientalischen Mitbürger sicher über eine weitere große Fläche für ihre Grill- und Clan-Feste freuen.

Hoffentlich liest Frau Niklas hier nicht mit, ich will sie nicht auf dumme Gedanken bringen. Aber die Dame und ihre rote Umgebung haben sicher auch so allerlei Phantasien und Pläne, den Zentralfriedhof als "Lebensraum zu positionieren". Schade nur, dass die Hauptkundschaft, die Toten, nicht mehr mitmachen können.

Doch die Wiener Bürger haben offenbar mehr Gefühl für Anstand und Würde als die rote Friedhofsleitung. Ich habe bei meinem jüngsten Besuch zumindest keinen Jogger zwischen Grabsteinen herumturnen sehen. Vermutlich liegt es auch daran, dass die Bobo-Dichte in Simmering eher niedrig ist. Vor allem dieses linke Milieu findet ja die Idee vom Erlebnis- und Fitnessfriedhof besonders cool, wie man im Onlineforum des Standards nachlesen kann. Aber vom siebenten oder achten Bezirk bis an den Wiener Stadtrand in Simmering ist es halt doch ein weiter Weg.

Aber, liebe Stadt Wien und Friedhöfe Wien, wenn schon pietätlos, dann bitte richtig. Wie wäre es mit einer weiteren offiziellen Joggingstrecke durch den Zentralfriedhof. Der Tote-Sozialisten-Rundlauf. Nach Aufwärmübungen vor dem Grab von Bruno Kreisky, vorbei an der letzten Ruhestätte von Christian Broda, nutzen wir das Grab von Johanna Dohnal als natürliche Hürde, um danach ...

Verzeihen Sie, das ist pietätlos. Aber nicht so sehr, wie die roten Damen und Herren von der Stadt Wien. Die meinen das nämlich ernst.

Werner Reichel ist Autor und Journalist. Sein neues Buch "Der deutsche Willkommenswahn – Eine Chronik in kommentierten Zitaten 2015-2016" ist soeben bei Frank&Frei erschienen.

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