Ohne Kinder keine Zukunft?

Ich wünsche jedem Kind, dass es so aufwachsen kann wie wir vor 70 Jahren: Der Wörthersee vor uns, Wälder, Felder, Bäche, gesundes Bauernland hinter uns. Trotz des Schulwegs von zweimal einer Stunde blieb uns reichlich Freizeit. Heute kommen viel zu viele Kinder auf nicht einmal eine Stunde Spielen und Sport pro Tag!

Wir hatten Frühabends Judo-, Fecht-, Turnstunden, dazu Schifahren, Bergsteigen, Eishockey und weitere Aktivitäten. Engagierte, aber strenge Erwachsene beaufsichtigten und führten uns, und brachten uns Techniken und Fertigkeiten beim Sport und an Musikinstrumenten bei, die das ganze weitere Leben Freude bereiten. 

Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.

Wir waren viele Kinder, weil die Anstrengungen der Großen, die Folgen der schrecklichen Kriege zu überwinden, sich nicht nur auf Demokratisierung, Wiederaufbau, Einfügen in ein gemeinsames Europa und weitere Ziele beschränkten, sondern auch einen Kinderreichtum schafften, der Schwung und Lärm, Lachen und Weinen brachte, ganz anders als die Friedhofstimmung in weiten Teilen unseres Landes heutzutage.

Viele Kinder erforderten auch Disziplinierung, die allerdings oft zu streng ausfiel, aber auch eine gesunde Sozialisation durch die Kinder selber. Heute hingegen überwiegen Einzelkinder und mit ihnen die Overprotection. "E i n e  Stunde am Tag genügt", beruhigte die ahnungslose (oder wider besseres Wissen redende) Johanna Dohnal die in den Vollberuf gelockten, getriebenen Mütter kleiner Kinder, die mit dem ständig schlechten Gewissen leben mussten. Verständlich, dass Eltern nicht die viel zu geringe Zeit mit ihren Kindern durch Korrekturen, Rügen, Belehrungen verderben wollen.

Probleme in der Schule führen empörte Eltern in die Direktion, Lehrpersonen müssen da allerhand einstecken. Der Mitautor der ersten Studie über die üblen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit "Die Arbeitslosen von Marienthal" (1933), Paul Lazarsfeld, beklagte, dass er "immer auf der falschen Seite gestanden sei": In Europa hätten die Kinder Angst vor den Lehrern gehabt, drüben, in den USA, wohin er 1935 emigrieren musste, fürchten sich die Pädagogen vor den Schülern. So schaut es in der Zwischenzeit auch bei uns aus.

Weit haben wir es gebracht: In einer Parlamentsdebatte vor etwa einem Jahr warf eine verflossene Unterrichtsministerin der neuen Regierung vor, mit der Wiedereinführung von Schulnoten "international Schlusslicht" zu werden. Mit rund 30 Prozent der Schulabgänger, die kaum lesen, schreiben und rechnen können, sind wir es bereits! Die Idee, das Niveau in den Schulen zu senken, Schulnoten abzuschaffen, damit schwächere Schüler "mitkommen", ist nicht edel, sondern dumm und verantwortungslos: Wie kamen Fachleute aus der linken Reichshälfte bloß auf den Gedanken, den Kindern gerade ihrer Wählerschichten so schlechte Voraussetzungen fürs Berufsleben zu schaffen? 

Kinder brauchen Betreuung, Hilfe, Kontrolle, gelegentlich auch angemessene Strafen, um unsere Schulen, die bis vor ein paar Jahrzehnten zu den besten gezählt haben, zu bewältigen. Und dazu eignet sich am allerbesten – die eigene Mutter. Viele Väter machen ja mit, aber die Mütter sind die besseren Erzieher!

Ein Schulpädagoge verlangte, dass der Unterricht eine volle Stunde später beginnen sollte, weil so viele Kinder müde, unausgeschlafen zum Unterricht erscheinen. Ja, dann würden ja noch mehr Schulkinder die Krimis und Filme der "Primetime" sehen und erst nach 21 Uhr 45 ins Bett kommen. Kinder brauchen viel Schlaf: mit 3 bis 5 Jahren 13 bis 10 Stunden; mit 6 bis 12 Jahren bis 9, mit 13 Jahren 10 Stunden, Pubertierende oft wieder mehr. Kinder wachsen nur im Schlaf!

Der Witz, dass Italiener eher klein sind, weil sie hören: "Wenn Du groß bist, wirst Du arbeiten müssen!" ist gemein und nicht zutreffend.

Und niemals ohne ein leichtes Frühstück in die Schule! Die Zeitersparnis, eine Viertelstunde zu gewinnen, rächt sich bitter: Ohne leicht verfügbare Nahrung für ihr Gehirn erfassen hungrige Schüler Lerninhalte schlechter, erst die Jause in der großen Pause gleicht den Rückstand aus. (An die Hälfte aller Kalorien braucht unser Gehirn, bei Stress bis zu 90 Prozent.)

Ich sah meinen ersten Fernsehapparat erst mit etwa 15 Jahren, las daher ein Buch nach dem anderen, Karl May, Technik, Abenteuer, Allgemeinwissen. Jetzt winken viele junge Leute ab, wenn sie Sachwissen erlernen und behalten sollten, sondern zücken dafür ihr Smartphone. Ohne eine Grundausstattung gibt es aber kein Weiterkommen, oder will der Junior beim Gespräch über die Sahelzone oder den 30-jährigen Krieg zuerst sein Smartphone befragen müssen? 

Sprach man früher vom Kindersegen, gelten Kinder heute oft als Karrierehindernis, auch als Bremse beim hedonistischen Ausleben der Angebote der Freizeitindustrie. Immer mehr Erwachsene reisen lieber in ferne Länder und schicken Ansichtskarten an die "Lieben zuhause gebliebenen". Eigentlich eine Provokation. 

Es gibt bereits an die 30 Prozent kinderlose Paare, die unsere Länder immer kinderärmer, familienfeindlicher machen. In unserem Staat sollten jedes Jahr weit mehr als 100.000 Kinder geboren werden, es sind aber nur um die 75.000! Schon seit Jahrzehnten hätten die Politiker alles, wirklich alles dagegen unternehmen müssen. Die mickrige Kinderbeihilfe kann und wird unseren bedrohlichen Mangel an Kindern nicht beheben.

Was also tun? US-Präsident Theodore Roosevelt hat 1905 kinderlose Paare gescholten, ihnen "ein Leben in kalter Selbstsucht und stetem Vergnügen" vorgeworfen. De Gaulle, besorgt um den Fortbestand Frankreichs, gab den Familien so viel Geld, dass angeblich ab dem fünften Kind keine regelmäßige Erwerbstätigkeit erforderlich war. Der rumänische Diktator Ceaucescu hat in seinem Größenwahn ein Großrumänien schaffen wollen und dazu Verhütung und Abtreibung verboten, Familien mit weniger als fünf Kindern sogar eine Sondersteuer aufgebrummt! Mittellose Eltern setzten Kinder aus, die bedauernswerten Straßenkinder von Bukarest. Einen völlig anderen Weg beschritt der marokkanische Potentat Mulay Ismail: Er produzierte mit 500 Frauen 888 Kinder! Ist das nicht die Lösung? (Bedaure, kleiner Scherz). Der Steuerbonus von 1.500 Euro pro Kind und Jahr in unserem "Sozial"-Staat ist sicher kein Anreiz: Kinder kosten viel mehr!

Das vielgescholtenen Ungarn zeigt, wie Patrioten ihr Volk erhalten wollen: Der Kredit von 31.000 Euro für jede Frau bei der Heirat muss ab dem dritten Kind nicht zurückgezahlt werden: Das ist nicht schlecht bei den dortigen noch immer niedrigen Preisen. Dazu kommen weitere Begünstigungen.

Und, nicht vergessen: Kinder sind nicht irgendeine Nummer, eine Zahl, ein Kostenpunkt, sondern bringen Leben, Schwung, Lachen und Weinen – und Zukunft in unser aller Leben.

Dr. Gerd Seyerl, Kärnten, ist Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde.

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