Nicht in die Falle gehen: Ein Revanchefoul bringt uns nicht weiter

Ich stehe damit wahrscheinlich nicht allein: Ich habe mich selten so geärgert wie in der letzten Woche. H.C. Strache ist in eine Falle getappt. Er hat einen groben Fehler begangen – und die Konsequenzen gezogen; Sebastian Kurz hat daraufhin auch Konsequenzen gezogen und einen potenziell noch viel größeren Fehler begangen: ein türkises Knittelfeld im Alleingang, sozusagen. Nach Haiders Knittelfeld hatte ich 2002 dazu aufgerufen, "blaue Leihstimmen" für Wolfgang Schüssel abzugeben. Diesmal sah ich mich veranlasst, einem Freund zu schreiben, ob man jetzt wohl bald zu blauen Leihstimmen für Doskozil aufrufen müsse? Keine Angst, das war nicht ganz so ernst gemeint (und ohne es zu wissen hat Doskozil diese Vorschusslorbeeren anscheinend auch umgehend von sich gewiesen).

Auf alle Fälle, in einer ersten Aufwallung von Wut hätte ich zwar keine Vasen gegen die Wand geschmissen (denn was kann meine arme Frau dafür?), aber vielleicht auch dafür plädiert, bei nächster sich bietender Gelegenheit jetzt einfach alle erreichbaren "Schwarzen" abzuwählen – und wäre damit wohl genauso in die Falle getappt, wie Strache auf Ibiza.

Denn den Drahtziehern des Ibiza-Videos ging es ja wohl nicht in erster Linie um einen persönlichen Streich gegen H.C. Strache, der einem wirklich leid tun kann, sondern um einen Schlag gegen die Mitte-Rechts-Koalition, die für viele in Europa zum Vorbild zu werden begann. Diese Regierung hat friktionsfrei funktioniert, allen Versuchen zum Trotz, durch Skandalisierung von irgendwelchen nicht politisch korrekten Aussagen kleiner Funktionäre hier krampfhaft Sand ins Getriebe zu streuen.

Die ersten Reformen wurden durchgezogen, die Umfragewerte der Regierung blieben auf dem Hoch von 2017. Und was die Rivalitäten zweier geltungssüchtiger Möchtegern-James Bonds im Innenministerium betrifft: Wenn es nicht wider die Menschenrechte wäre, sollte man den einen Herrn G. mit dem anderen Herrn G. erschlagen, damit endlich "a Ruah is". Und selbst wenn ich den Herrn – nomina sunt odiosa – unrecht tue, und sie erwiesen sich bei näherer Kenntnis geradezu als Muster josephinischer Pflichterfüllung und Grillparzer’scher Beamtenkultur, wären sie immer noch nicht einmal die Spur einer Regierungskrise wert.

Die Regierung ist nicht gescheitert wegen ihrer Politik. Diese hat sich bewährt. Sie ist vielmehr an einem grottenschlechten Krisenmanagement zerbrochen – allerdings angesichts einer Herausforderung, wie sie in der österreichischen Politik ohne jeden Präzedenzfall war, in der solche Methoden bislang Gott sei Dank nicht üblich waren.

Jetzt kann man lang über die Fehler streiten, die da am vergangenen Wochenende passiert sind. Genau das ist es, was den Ibiza-Hintermännern vermutlich am besten gefallen würde: Ein wüster Reigen von gegenseitigen Beschuldigungen und Verdächtigungen zwischen Schwarz und Blau, solange bis er vom Hohngelächter der Linken übertönt wird. Später wird man den genauen Ablauf vielleicht einmal Sine ira et studio analysieren können. Jetzt sollten sich ÖVP und FPÖ eher auf die Aufklärung des Vorgangs konzentrieren, dass hier ganz offenbar von außen mittels ausgewiesener Krimineller versucht worden ist, eine österreichische Regierung zu stürzen.

Jetzt könnte man mit Blick auf den Misstrauensantrag am kommenden Montag natürlich alttestamentarisch argumentieren: Auge für Auge, Zahn für Zahn. Kurz hat Kickl entlassen, Kickl stürzt Kurz. Nur wem hilft man mit diesem Revanchefoul? In der Hofburg sitzt ja nicht mehr Kaiser Franz Joseph, sondern Alexander Van der Bellen, der angeblich bereits sondiert, ob er Heinzi Fischer oder lieber den sattsam bekannten Ex-Raiffeisen-Chef Konrad zur Rettung des Staates ausrücken lassen möchte.

Davon hat der freiheitliche Wähler gar nichts, ganz im Gegenteil! Denn da würden dann vielleicht Weichen gestellt in eine Richtung, die uns am allerwenigsten passt. Und es ist auch sehr die Frage – bei allem verständlichen Ärger –, ob der Wähler es sehr goutiert, wenn seine Abgeordneten dem Antrag eines Herrn Pilz zustimmen, der bei all seinen Verdiensten um den Hinauswurf der Grünen aus dem Hohen Haus seine ersten politischen Gehversuche bei der trotzkistischen Gruppe Revolutionärer Marxisten absolviert hat.

Bei allem Groll: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, wer immer jetzt Gräben aufreißt zwischen Schwarz und Blau, handelt objektiv betrachtet im Sinne der Ibiza-Hintermänner. Wie so oft, geht es eben nicht um "Vergangenheitsbewältigung", sondern um die Ausgangspositionen für die Zukunft: Wer hier als erster zurück zur Vernunft findet, wird dafür wohl auch im Herbst am ehesten vom Wähler honoriert werden.

Lothar Höbelt ist österreichischer Historiker.

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