Wie dürfen Straßen noch heißen 

Wer den Rasenmäher so einstellt, dass er alles auf den Zentimeter genau ganz unten abrasiert, der wird einen dieser Rasen haben, wo man sich denkt: Wow, wie mit der Nagelschere abgebissen. Wer wohnt dort wohl, der sich mit so einem abgebissenen Rasen glücklich fühlt? Golfplatzbetreiber und solche, die Rasentennis in England betreiben, sind damit nicht gemeint. Die selbsternannten Straßennamensbezeichnungsbeauftragten arbeiten so.

Sie rasieren alles ab, was auch nur entfernt nach NS riecht. Es muss dem Benannten etwas Übles nur nahe gekommen sein, damit der auf eine rote Liste kommt. Derjenige muss sich hundert Jahre nach seinem Dasein aus dem Grab heraus dafür verantworten, dass er falsch gehandelt hat. Für eine Tat, die damals allgemein üblich war (Lueger und die christlichsoziale Art des Antisemitismus). Josef Weinheber war Nazi, hat aber gute Gedichte geschrieben. Marcel Reich-Ranicki, der nicht im Geringsten mit der Lebenswelt Weinhebers zu tun hatte, weigerte sich, seine Werke zu verdammen. Für ihn zählte nur die Qualität des Werkes. 

Solche, von denen Hitler buchstäblich abgeschrieben hat, die aber das Wiener Sozialwesen auf neue Beine gestellt haben, haben da noch großes Glück. Julius Tandler ist zu berühmt, als dass ihm die Eugenik, die von Hitler fast wortwörtlich übernommen wurde, heute noch dazu gereichte, dass der Platz im 9. Bezirk nicht mehr so heißt.  

Auch ein Kreisky muss sich aus seinem Grab heraus nicht davor fürchten, dass sechs seiner Minister einst ein NS-Parteibuch hatten. Ein äußerst übler Geselle dabei: Otto Rösch. Deshalb wird bei uns immer wieder etwas nach Kreisky benannt werden. Und wahrscheinlich wird – so ungefähr im Jahre 2027 – jemand draufkommen, dass das völlig verkehrt war. Alle Kreisky-Plätze werden dann verschämt umbenannt. 

Aber es ist Hoffnung. Es hat ein Erkenntnisprozess eingesetzt: Nach Otto Rösch ist bei uns nichts benannt. Das wäre ja der gewesen, der nach 45 noch mit Nazimaterial polizeilich auffällig wurde, der sich der Entnazifizierung entzog, obwohl er Lehrer an einer Napola gewesen war, also der Schule, wo die Jugend auf Regimetreue getrimmt worden ist. Um dann Sozialist zu werden. Lange Jahre war er Innenminister(!) unseres Landes. Das kann einem bitter aufstoßen.

Mein Großvater starb daran, dass er etwas zu goschert wurde, als gerade die Nazis an die Macht kamen.

Ich hätte gerne gewusst, was er dazu gesagt hätte zu dem, wie sich die Nachfahren so tun. Sei es auch, dass es dieselben waren, die zuvor dafür gesorgt haben, dass er das nicht mehr kann.  

Reinhold Sulz war unter anderem Lehrer in Wien. 

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