Das Drama der überlangen Verfahren

Nunmehr gibt es also eine Anklage im Zusammenhang mit dem Kärntner Seen-Deal zwischen der Kärntner Landesregierung und dem ÖGB. Der Verkauf erfolgte im Jahr 2007, Korruptionsbegünstigter soll der damalige Landeshauptmann Jörg Haider gewesen sein. Weiters wurde bekannt, dass die Anklage im Zusammenhang mit der Refco-Überweisung der einstigen Bawag vor 13 Jahren nunmehr fertiggestellt worden sein soll.

Das Buwog-Verfahren, dessen Hauptsachverhalt im Jahr 2004 verwirklicht worden sein soll, befindet sich bereits im zweiten Jahr der Hauptverhandlung. Andere Verfahren, die sich ebenfalls auf Vorgänge vor mehr als einem Jahrzehnt beziehen (z.B. Eurofighter, Meinl), sind noch meilenweit von Anklagen entfernt.

Die Europäische Menschenrechtskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, ihr Rechtssystem so zu organisieren, dass die Gerichte in der Lage sind, eine angemessene Dauer eines Verfahrens zu garantieren. Auch wenn die Komplexität von Einzelfällen zu berücksichtigen ist, sind Vorverfahren mit einer Dauer von mehr als vier Jahren und Gesamtverfahren von mehr als acht Jahren im Allgemeinen nicht mehr als angemessen zu beurteilen.

Jeder Erziehungsberechtigte weiß, dass Bestrafungen dann sinnvoll und wirksam sind, wenn sie zeitnah zum Fehlverhalten ausgesprochen werden. Ein dreijähriges Kind, das eine Fensterscheibe eingeschlagen hat, nach zehn Jahren dafür zu tadeln, hat etwas Lächerliches an sich.

Aber nicht nur der Strafzweck, auch die Wahrheitsfindung verlangt ein rasches Verfahren. Nach Jahrzehnten sind Zeugen teilweise nicht mehr verfügbar oder verhandlungsfähig. Viele können sich an die damaligen Ereignisse schlicht nicht mehr erinnern. Die Feststellung des Sachverhaltes, die für Gerichte immer eine Herausforderung darstellt, wird mit der Zeit zunehmend zum Glücksspiel. Je länger Verfahren daher dauern, desto weiter entfernen wir uns vom Recht.

Dass glamouröse Wirtschaftsstrafsachen mittlerweile in der Regel mehr als zehn Jahre dauern, ist mit der Komplexität der Verfahren nicht mehr zu rechtfertigen. Der häufige Personalwechsel in der Anklagebehörde (der eine macht Karriere und wird Oberstaatsanwalt, der andere nimmt Karenz in Anspruch, der dritte wechselt in einen lukrativeren Beruf etc) ist nach der Judikatur des Menschenrechtsgerichtshofs dem Konventionsstaat zuzuschreiben. Die Republik steuert also mit voller Geschwindigkeit auf zahlreiche Verurteilungen wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention zu, die auch Geld kosten. Der Gesetzesstaat muss sich eingestehen, dass er gescheitert ist.

Auf der anderen Seite steht der laufende Justizbetrieb auf der Kippe. Während die Strafjustiz Kridatare wegen ihrer Loch-auf-Loch-zu-Abenteuer zu Haftstrafen verurteilt, betreibt die Justiz selbst eine solche Politik: Man stopft ein Loch nach dem anderen. Als Betroffener merkt man den angespannten Zustand der Justiz etwa an der Ausfertigungsdauer der Verhandlungsprotokolle. Inzwischen kommt es bereits in zahlreichen Verfahren vor, dass solche Protokolle erst ganz knapp vor der nächsten Verhandlung einlangen – manchmal aber auch erst danach. Der derzeit zuständige Minister lächelt diese Probleme weg und redet das Vertrauen in die Justiz schön.

In Wirklichkeit befinden wir uns in einer Art Justiznotstand. Auf der einen Seite bindet die Justiz durch überlange Verfahren personelle und materielle Ressourcen (letzteres etwa durch horrende Sachverständigenkosten in strafrechtlichen Vorverfahren), auf der anderen Seite fehlt im laufenden Betrieb hinten und vorne das Geld.

Es ist hoch an der Zeit für außergewöhnliche Maßnahmen. Dazu könnte als Sofortmaßnahme die Setzung einer Frist von beispielsweise vier Wochen an die Staatsanwaltschaften erfolgen, während der Verfahren mit mehr als acht Jahren Ermittlungsdauer anklagereif gemacht werden müssen – andernfalls werden diese Verfahren eingestellt. Mit den freiwerdenden Mitteln wäre der laufende Betrieb sicherzustellen.

Neben dieser kurzfristigen Notmaßnahme wäre mit dem Finanzminister mittelfristig zu vereinbaren, dass der Strafvollzug eine staatliche Aufgabe darstellt, die zur Gänze aus Steuergeldern zu finanzieren ist. Die derzeitige Quersubventionierung durch Gerichtsgebühren aus anderen Verfahren ist abzustellen. Schließlich wäre es wünschenswert, dass es einen Justizminister gibt, dem im Rahmen der seinem Ressort zurechenbaren Einnahmen auch Ausgabenautonomie eingeräumt wird.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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