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Karfreitag – von einer gerechten Lösung weit entfernt

So verständlich es ist, dass die Lösung der durch das EuGH-Urteil heraufbeschworenen Debatte nicht in einem zusätzlichen Feiertag für alle bestehen konnte, irritiert an der getroffenen Regelung doch einiges: Sie "privatisiert" einen für alle Christen wichtigen Tag, und sie ist geeignet, Anitisemitismus zu befördern, indem die Sonderregelung für den wichtigsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, unangetastet bleibt.

Religiöse Festtage, sofern sie nicht (auch) katholische Feiertage sind, sind nun in Österreich zur Privatsache degradiert. Das ist die bittere Botschaft mindestens für alle Protestanten. Sollte dies am Ende auch daran liegen, dass die theologische Bedeutung des Karfreitags – etwa durch Luther – wesentlich in Deutschland entwickelt wurde, und umso mehr dessen philosophische Bedeutung, wenn Hegel im Zuge seines Ansinnens, den Inhalt des Christentums philosophisch zu begreifen, von einem "spekulativen Karfreitag" sprechen konnte, aus welchem "die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde (...) in die heiterste Freiheit ihrer Gestalt auferstehen kann und muss"?

Ohne Karfreitag keine Auferstehung. Dies ist freilich kein Thema der Politik und soll es auch nicht sein, doch man hätte den Karfreitag gegen einen katholischen Feiertag tauschen können. Der von vielen vorgeschlagene Pfingstmontag ist kein guter Kandidat, da hier viele Kurzurlaube gebucht werden und der Tourismus geschwächt worden wäre. Hingegen liegt die theologische Bedeutung von Mariä Himmelfahrt oder Mariä Empfängnis – ganz im Gegensatz zum Karfreitag – wohl auch für 95 Prozent der Katholiken im Dunkeln. (Man kann schon von Glück sprechen, wenn das Immaculata-Dogma nicht mit der Jungfräulichkeit Mariens verwechselt wird. Von einer ausgearbeiteten, allgemeinen Bedeutung der Mariendogmen ist indes auch die Theologie weit entfernt.)

Natürlich bleibt ein gewisses Unbehagen: Warum nicht erforderlichenfalls auch für Jom Kippur einen katholischen Feiertag eintauschen, warum nicht eines Tages auch für das islamische Opferfest, warum nicht auch ein allgemeiner Feiertag der Buddhisten, Hindus, Sikhs usw.? Dann blieben irgendwann nur noch Weihnachten und Ostern als christliche Feiertage übrig.

Fakt ist, dass die Protestanten mehrfach geprellt wurden: Ihnen wurde entgegen urspünglicher Andeutungen etwas weggenommen, und zwar ein halber und schließlich ein ganzer Feiertag. Und wenn es ungerecht sei, dass einer mittlerweile kleinen Gruppe ein zusätzlicher Feiertag zusteht (das kann man in der Tat so sehen!), warum belässt man dann mit Jom Kippur den Feiertag einer noch kleineren Gruppe?

Die realpolitische Antwort auf diese letztere Frage ist glasklar: Wenn Juden ein Recht auf einen zusätzlichen Feiertag haben, so wäre dessen Streichung – formal betrachtet – eine "Entrechtung" der Juden. Doch so fing es bekanntlich schon in den 1930-er Jahren an. Warum sollte die türkis-blaue Regierung ohne Not ein derartiges Presseecho riskieren, wenn der EuGH ohnehin nur die Karfreitags-Regelung aufgehoben hat? Wozu Fleißaufgaben machen, wenn es einfacher geht?

Allerdings weiß jetzt die gesamte Bevölkerung, dass Juden mit Jom Kippur ein zusätzlicher Feiertag zusteht. (Auch der Verfasser dieses Kommentars wusste dies bis vor wenigen Tagen noch nicht.) Nun aber steht einzig und allein Juden ein zusätzlicher Feiertag zu.

Ob auch Jom Kippur im Zuge einer juristischen Anfechtung fallen würde, ist zudem fraglich. Hatte zunächst eine Arbeitsrechtlerin dieses Szenario noch für sehr wahrscheinlich erachtet, erklärte der Arbeitsrechtler Franz Marhold einen Tag später: Der Generalkollektivvertrag 1953 wurde kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus unterzeichnet. Dies könne als Akt der Förderung des jüdischen Lebens in Österreich unmittelbar nach der Shoah interpretiert werden. Somit wäre die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt.

Mindestens österreichische Höchstgerichte, so steht zu befürchten, würden genau so argumentieren. So passierte auch das Sonderenteignungsgesetz betreffend eine oberösterreichische Immobilie anstandslos den VfGH. Auch, was die heutige EU betrifft, hat Robert Menasse leider in der Sache Recht, wenn er deren Gründungsakt auf das Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz verlegt. Durch die Ungerechtigkeit des Nationalsozialismus wird die Ungerechtigkeit zum Recht erklärt – was nicht nur den Nationalsozialismus, sondern auch den Antisemitismus unverdient am Leben hält, ja erneuert.

Hinzu kommt, dass das Judentum in einer solchen Argumentation offenbar nicht (bloß) als Religion betrachtet wird, denn der Nationalsozialismus hatte dieses nicht "bloß" als Religion verfolgt. Was aber sei das Judentum dann? Schnell kommt einem das grausige, ebenfalls mit "R" beginnende Wort in den Sinn, womit einmal mehr nationalsozialistische Kategorien fortgeführt würden.

Eine gute Lösung wäre es, wenn die israelitische Kultusgemeinde von sich aus auf Jom Kippur verzichten würde (auch Jom Kippur kann ja immerhin als "Privatfeiertag" gewählt werden). Doch dies wird vermutlich nicht eintreten. Viel eher wird es dazu kommen, dass jemand, dessen Kind zufällig am 20. April geboren wurde und der daher diesen Tag als "Privatfeiertag" wählt, ins Visier des Verfassungsschutzes gerät.

Dennoch: Für die FPÖ ist die Zustimmung zu der offenbar von der ÖVP ausgegangenen Karfreitags-"Lösung" mit wenig Risiko verbunden: Evangelische Christen sind in Österreich traditionell SPÖ-nah, hier ist also nichts an Wählern zu verlieren. Und für enttäuschte Deutschnationale unter den Protestanten gibt es politisch keine Alternative zur FPÖ.

Blickt man in die fernere Zukunft, wird man allerdings ohnehin nicht darum herumkommen, die Anzahl der allgemein arbeitsfreien christlichen bzw. katholischen Feiertage zu überdenken. Dass eine bestimmte Religionsgemeinschaft, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung insgesamt im Schwinden ist, exklusiv alle religionsbezogenen allgemeinen Feiertage "besetzt", wird irgendwann nicht mehr zu halten sein. Auch wenn dies noch viel mehr Personen nicht "schmeckt".

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, evangelisch A.B., im Zivilberuf Lehrer (und daher von der Neuregelung nicht persönlich betroffen), ist Philosoph und Buchautor.

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