Kern macht Strache zum Kanzler

"Kern macht Strache zum Kanzler" – so werden mit großer Wahrscheinlichkeit am nächsten Montag die Aufmacher der österreichischen Zeitungen lauten. Dass Christian Kern vor etlichen Monaten die sogenannte "Vranitzky-Doktrin" in den Orkus der Geschichte geschickt hat, hat nur kurz für Aufregung gesorgt. Dass aber ein sozialdemokratischer Kanzler nun unmittelbar vor der Wahl alles daran setzt, einen Freiheitlichen zu seinem Nachfolger zu machen, wird in die österreichische Geschichte eingehen.

Zur Erinnerung: Als Franz Vranitzky Jörg Haider 1986 zum Gottseibeiuns der österreichischen Innenpolitik erklärte, mag die Hoffnung dahinter gestanden sein, die FPÖ dadurch klein zu halten. Diese Aufgabe konnte die Strategie nicht erfüllen – stattdessen wurde die Vranitzky-Doktrin in den letzten 30 Jahren immer mehr zum Programmersatz einer zerfallenden Sozialdemokratie.

Die letzte inhaltliche Klammer bricht weg

In Wahrheit haben wir es in der Zwischenzeit längst mit zwei sozialistischen Parteien zu tun. Den linken Bobo- und den rechten Arbeiterflügel der SPÖ einte inhaltlich zuletzt nichts mehr – außer der zum Dogma erhobenen Überzeugung, dass mit der FPÖ wieder der Nationalsozialismus in Österreich Einzug halten würde. Wie man an der SPÖ im Burgenland bereits sehen konnte – und am neuen Wiener Bürgermeister wohl bald sehen wird können -, hielt diese Klammer zuletzt aber auch nicht mehr zusammen.

Kern hat das erkannt und konsequenterweise die Türe zur FPÖ geöffnet. Die geänderte taktische Überlegung dahinter: Da eine rot-grüne Mehrheit meilenweit von einer Mehrheit entfernt ist, hätte man so wenigstens eine Alternative zur ÖVP. Machterhalt als letzte Lebensberechtigung einer implodierenden Partei.

Wahlkampfchaos bringt SPÖ auf Platz 3

Dass allerdings die SPÖ wenige Monate später nicht mehr um Platz eins kämpft, sondern mit Platz drei und weniger als 20 Prozent rechnen muss, hätte er sich wohl nicht träumen lassen. Der wohl pannenreichste Wahlkampf der Geschichte hat aber große Verunsicherung bis tief hinein in die Kernschichten der SPÖ ausgelöst:

  • Zuerst parteiintern gegen CETA zu mobilisieren, um dann in den EU-Gremien doch zuzustimmen;
  • die Schließung der Mittelmeerroute zuerst als "Vollholler" zu bezeichnen, um dann energisch deren Umsetzung zu verlangen;
  • das eigene Team nicht im Griff zu haben (schmerzhafte Abgänge mitten im Wahlkampf, Prügeleien im Kanzleramt, vermeintliche Alleingänge, undichte Stellen, die die Methoden nicht mittragen, etc.);
  • zuerst mit dem "Plan A" ein wirtschaftsfreundliches Programm zu präsentieren, um dann kurz später in tiefstes Klassenkampf-Raubrittertum zu verfallen;
  • zuzulassen, dass sich mit der Wiener SPÖ die wichtigste Bastion der Partei lieber mit Macht- als mit Wahlkämpfen beschäftigt;
  • eine Oppostionsankündigung zu machen, die niemand glauben kann;
  • den Arbeitern vor dem Ballhausplatz persönlich Getränke zu bringen, um anschließend nichts von einem Mauerbau zu wissen;
  • einer Zeitung beleidigt die Inserate zu streichen, weil sie ein wenig schmeichelhaftes Psychogramm von einem Parteifreund veröffentlicht;
  • den österreichischen Wählern von einem Europäischen Rat auszurichten, dass eine schwarz-blaue Regierung wohl wieder EU-Sanktionen auslösen würde oder
  • den weltweit bekannten Spezialisten für Dirty Campaigning zu engagieren, um nach dem Auffliegen zu beteuern, ausgerechnet dessen Kernkompetenz nicht beauftragt zu haben:

All diese Punkte machen den Wählern nachhaltig klar, dass sich hinter eloquenten und anfangs oft sympathischen Auftritten katastrophale Managementqualitäten zeigen. Wie soll jemand, der so einen Wahlkampf abliefert, ein Land führen können?

Letztes Ziel: die ÖVP mitreißen

In der Zwischenzeit herrscht in der SPÖ blanke Panik. Die zwei zentralen Wahlkampfmanager hat man 14 Tage vor dem Urnengang geopfert – und trotzdem lässt sich die Abwärtsspirale nicht aufhalten. Die meisten Umfragen sehen die SPÖ nur noch bei 22-23 Prozent.

Die Aggressivität, mit der der Bundeskanzler der Republik in einem Fernsehduell den Außenminister am Sonntag beflegelt hat, macht klar, dass die SPÖ in der Zwischenzeit ihre Strategie gewechselt hat: Längst geht es nicht mehr darum, um Platz 1 zu kämpfen oder zumindest in Würde unterzugehen. Das letzte Wahlkampfziel der SPÖ lautet: Wenn wir schon untergehen, dann reißen wir wenigstens die ÖVP mit.

Woher der Hass auf die ÖVP kommt

Woher kommt der abgrundtiefe Hass der SPÖ auf die ÖVP? Wohl zum einen aus dem Umstand, dass es vor Sebastian Kurz noch nie einem Juniorpartner einer Koalition gelungen ist, die Kanzlerpartei zu überholen. Dass Kurz mit einem Programm erfolgreich ist, das deutlich wertkonservativer und wirtschaftsliberaler ist als das seiner drei Vorgänger, ist auch eine inhaltliche Demütigung für Kern.

Der größte Schmerzpunkt für den Kanzler dürfte aber der Umstand sein, dass ein 31-jähriger Jungspund die traditionell unführbare ÖVP in kürzester Zeit komplett umgekrempelt und auf Linie gebracht hat, während die traditionell kadavergehorsame SPÖ unter seiner Führung noch wesentlich stärker in einem Strudel aus Visionslosigkeit, Demotivation und Machtspielchen versinkt.

Irgendwas wird schon hängen bleiben

Mit allen Mitteln versucht die Partei mithilfe von sympathisierenden Journalisten, der ÖVP irgendwelche Sachen umzuhängen. Motto: Irgendwas wird schon hängenbleiben in der Hektik der letzten Wahlkampftage.

  • Da wird allen Ernstes versucht, das Auffliegen des Skandals zum Skandal zu machen. Natürlich schuld daran: Die ÖVP, der man aber nichts nachweisen kann, außer dass Kurz-Sprecher Fleischmann daran gescheitert ist, Herrn Puller umzudrehen.
  • Da wird ein zweites Mal die illegale Pflegerin von Wolfgang Schüssel erfunden, mit der man schon den 2006-er Wahlkampf drehen konnte.
  • Da wird ein zweites Mal die Kindergartenstudie von Ednan Aslan durch den Kakao gezogen – auch wenn man gleichzeitig eingestehen muss, dass dieser inhaltlich eigentlich eh recht hat.
  • Da wird einem der engagiertesten Kämpfer gegen den politischen Islam plötzlich vorgeworfen, ein Söldner Saudi Arabiens zu sein – obwohl Efgani Dönmez erst unlängst die Saudis massiv kritisiert hat.

Die Schlagzeilen machen deutlich, dass jetzt alle Dämme gebrochen sind. Die Medien liefern sich einen Wettlauf, wer die nächste Skandalstory abdruckt. Ob die Quelle einer seriösen Überprüfung standhält, scheint egal zu sein. Auf den berühmten Gegencheck scheint ebenfalls niemand mehr Wert zu legen. Aufgeklärt werden alle diese halbgaren Vorwürfe frühestens nach der Wahl – wenn sie keinen mehr interessieren.

Mein Tipp: Strache wird Erster

Der SPÖ werden alle diese Vorhaltungen nichts mehr nützen. Davon profitieren werden – zum kleineren Teil – die drei Kleinparteien, die dadurch den Einzug in den Nationalrat schaffen dürften. Zum größeren Teil werden sie aber Heinz-Christian Strache nützen, der es extrem geschickt schafft, sich von all diesen Geschichten fernzuhalten und als besonnener Staatsmann zu inszenieren. Welch absurde Umkehrung der politischen Geschichte!

Die politische Erfahrung lehrt, dass die Umfragen traditionell die ÖVP über- und die FPÖ unterbewerten. Zusammen mit den in der Kürze der Zeit unwiderlegbaren Vorwürfen besteht die realistische Wahrscheinlichkeit, dass nicht Kurz, sondern Strache auf dem ersten Platz landet.

Um zum Anfang zurückzukehren: Die SPÖ weiß das – und es scheint ihr vollkommen egal zu sein. Hauptsache, man kann sich an der ÖVP für den eigenen Abstieg rächen.

Demokratie hat das Ziel, einen friedlichen Machtwechsel zu organisieren. In diesem Sinne muss man diagnostizieren: Das, was sich hier abspielt, ist ein Angriff auf die Demokratie.

Mag. Florian Unterberger ist Pressesprecher bei einer internationalen Anwaltskanzlei, Vater von vier Kindern und kirchlich engagiert.

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