Die Immigranten und das Böckenförde-Dilemma

Immer mehr Österreichern wird bewusst, dass es nicht bei der “Jausenstation Europas” bleiben wird. Dass sehr viele Durchreisende hierbleiben und noch mehr nachgeholt werden. Eine einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass die derzeitige Fluchtbewegung in absehbarer Zeit zu einer Verdopplung der moslemischen Bevölkerung in Österreich führen wird. Was das in der Praxis bedeutet, kann man in einer hervorragenden ZDF-Dokumentation sehen.

Ich gebe zu: Es gehört zu den intellektuell und emotional belastendsten Aufgaben, sich bewusst zu machen, dass unter den netten jungen Burschen, mit denen ich unlängst noch am Wuzzler gestanden bin, sehr viele sein werden, die ihrer Schwester verbieten werden, mit einem Christen auszugehen, die es richtig finden, dass vom Islam abfallende Moslems hingerichtet werden, oder die Juden auf der Straße anpöbeln werden.

Wer sich die ZDF-Dokumentation ansieht oder Interviews mit dem ehemaligen Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln (SPD!) oder einer mutigen Bochumer Polizistin (selbst mit Migrationshintergrund!) liest, dem wird schmerzlich bewusst, dass der österreichische Zugang (ein bisschen Deutsch beibringen und auf die Gesetze verweisen) erschütternd naiv ist. Kein Christ darf verächtlich mit dem Finger auf die Immigranten zeigen, aber gleichzeitig dürfen wir nicht verdrängen, mit welcher kulturellen Prägung diese Menschen zu uns kommen.

Das Böckenförde-Dilemma

Der deutsche Verfassungsrichter und Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dieses Dilemma bereits vor fast 40 Jahren auf den Punkt gebracht:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Etwas vereinfacht ausgedrückt: Würde unser liberaler Rechtsstaat seine Bürger mit Gewalt zwingen müssen, die Freiheit des Anderen zu respektieren, wäre er kein liberaler Rechtsstaat mehr. Oder noch deutlicher: Mit Gruppen, bei denen der Respekt vor der Freiheit des Einzelnen nicht zu den unumstößlichen menschlichen Grundwerten gehört, ist kein liberaler Rechtsstaat zu machen.

Kanada hat (im Unterschied zu Österreich) zumindest versucht, eine Lösung für dieses Dilemma zu finden: Es sucht sich seine Immigranten gezielt aus, bläut diesen vom ersten Tag an seine Grundwerte ein und lässt keinen Zweifel daran, dass deren Missachtung sofort zur Ausweisung führt.

Ob das genügen wird, darf bezweifelt werden. Auch in Europa hat es Jahrhunderte gedauert, bis der Respekt vor dem Anderen zum kulturellen Selbstverständnis geworden ist.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. - See more at: http://www.andreas-unterberger.at/2015/10/keine-toleranz-den-intoleranten/#sthash.zgvB6tX8.dpuf
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien. - See more at: http://www.andreas-unterberger.at/2015/10/keine-toleranz-den-intoleranten/#sthash.zgvB6tX8.dpufddd

Mag. Florian Unterberger, Jahrgang 1979, ist Pressesprecher und engagiert sich in einer Pfarre in Wien.

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