Zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Krise kursierte in Europa ein Video über einen 1983 vor amerikanischem Publikum aufgenommenen Vortrag eines gewissen Tomas Schuman. Das war der neue Name des KGB-Überläufers Yuri Bezmenov; und was er vor rund vier Jahrzehnten zu sagen hatte, hat einen geradezu unglaublichen Gegenwarts-Bezug. Denn Schuman schildert die sowjetische Langzeit-Strategie zur Vernichtung des Westens in einer Weise, die auf die höchst erfolgreiche Übernahme dieser Strategie durch den Geheimdienst des heutigen Russlands schließen lässt.
Dieser Vortrag ist auch auf Youtube zu sehen. Grundgedanke dieser Strategie ist die Anwendung alter chinesischer Kriegskunst, wonach es am einfachsten ist, den Feind durch relativ geringfügige Manipulation seiner eigenen Bewegungen in die Selbstzerstörung zu treiben. Demnach soll der Westen durch sowjetische Lenkung des innenpolitischen Diskurses zunächst demoralisiert werden, indem seine wichtigsten inneren Werte ausgehöhlt und delegitimiert werden; es sind das insbesondere Familie, Religion und die Nation als kulturell orientierter Solidaritätsverband.
Ist das erreicht, wird man in der Phase der Destabilisierung Gegen-Werte solange fördern, bis schließlich in der Phase der Krise die Sowjetunion den Gegner mit geringem physischen bzw. militärischen Einsatz vollends besiegen kann. Laut Schuman werden dann auch "selbstverständlich" die bisherigen Kollaborateure im Westen liquidiert.
Zur Abwehr dieser Strategie empfiehlt Schuman ein "Wehret den Anfängen!" sowie die Hinwendung zu Religion, da von dort aus auch Familie und Nation geschützt werden.
Wie schon erwähnt, handelt es sich dabei um eine Langzeit-Strategie, die laut Schuman – aus der Sicht von 1983 – bis zum Erfolg "mehrere Jahrzehnte" brauchen würde. In den Phasen der Demoralisierung und Destabilisierung würde der KGB diejenigen westlichen Kreise unterstützen, die gegen die erwähnten inneren Werte sind, wobei in den meisten Fällen den Nutznießern sowjetischer Hilfe die wahre Quelle dieser Unterstützung verborgen bliebe. Für diese Informationspolitik soll auch über 80 Prozent des gesamten Auslandsbudgets des KGB verwendet werden – also ein Vielfaches der klassischen Auslandsspionage à la John le Caré.
Schumans Vortrag ist inhaltlich kohärent und plausibel, das Video wirkt technisch und vom äußeren Rahmen her authentisch. Trotzdem sind Zweifel erlaubt, inwieweit die Wiedergabe der KGB-Strategie wahr ist. So ist klar, dass Familie, Religion und Nation als die anzugreifenden westlichen Werte auch die zentralen Werte der Republican Party in den USA sind und die Wiederentdeckung und Verbreitung dieses alten Videos wohl nicht zufällig im Zuge des amerikanischen Wahlkampfes 2020 erfolgt ist. Selbst dass das Video eine reine Erfindung durch US-Geheimdienste oder rechte Think-Tanks wäre, kann nicht ausgeschlossen werden. Das ändert jedoch wenig.
Zum einen an dem Befund, dass der aktuelle Zustand der westlichen Gesellschaften im Einklang mit der beschriebenen KGB-Strategie ein hohes Maß an Demoralisierung, zum Teil auch schon der Destabilisierung aufweist.
Es ist hier nicht der Ort, um eine umfassende Zustandsbeschreibung der westlichen Gesellschaften zu geben, doch lässt sich feststellen: Vor dem Hintergrund einer Mehrheit, die sich primär um ihr ökonomisches Überleben sorgt und gesellschaftspolitisch schweigt, entsteht um die von Schuman angesprochenen Werte der Familie, der Religion und der Nation eine sich verschärfende Polarisierung; stehen sich doch einer als "links" zu verortenden Bewegung mit dem ebenso alten wie utopischen Zukunftsziel des "neuen Menschen" eine Vergangenheits-orientierte Rechte gegenüber.
Wie die USA dem übrigen Westen vorexerziert, findet ein Diskurs zwischen diesen Lagern nicht mehr statt. Und es darf bezweifelt werden, ob ein solcher unter dem Druck neuer Herausforderungen erfolgreich geführt werden kann – was den Eintritt in die Phase der Destabilisierung besiegeln würde.
Zum anderen erweckt das heutige Russland unter der Führung des früheren KGB-Offiziers Wladimir Putin u.a. mit den zahlreich kolportierten Hacker-Angriffen auf westliche Institutionen durchaus den Eindruck, die Schwächung Europas und der USA aktiv zu betreiben.
Daher ist dringender Handlungsbedarf gegeben, soll das auf Individualität, Menschenrechten und demokratischem Pluralismus beruhende Gesellschaftsmodell des Westens überleben. Nun ist aktives Bekennen zu diesen Werten gefragt.
Dr. Michael Breisky, österreichischer Botschafter i.R., der 1992 maßgeblich an der Lösung des Südtirolkonflikts 1992 beteiligt gewesen ist. In Kürze erscheint: "Europa verstehen und lieben lernen”.










