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Die Versuchung von Moria

Wenn ein Flüchtlingslager mit 13.000 Personen angezündet wird, sollte man annehmen, dass die erste Reaktion die einhellige Empörung und Verurteilung einer solchen Tat ist. Wäre so etwas in Deutschland passiert und kämen die Täter nicht aus dem Lager selbst, wäre der Teufel los. Polizei und Justiz würden auf Hochtouren ermitteln. Selbst wenn die Brandstiftung keine Verletzten oder Toten nach sich gezogen hätte, würde die halbe Welt auf die möglichen Folgen hinweisen. Dass es bei so viel Feuer in Moria kein größeres Unglück gegeben haben dürfte, erscheint aus der Ferne betrachtet sowieso ein Wunder zu sein.

Viele der Menschen in Moria sind vermutlich nicht zum ersten Mal Opfer eines Verbrechens geworden. Allzu viele werden auf ihren Wegen auf Schlepper hereingefallen sein, allzu viele sind möglicherweise gewaltsam auf das Meer getrieben worden, nicht einmal die Mithilfe der türkischen Staatsmacht ist auszuschließen. Jedenfalls legen die Vorfälle vor einem halben Jahr an der türkisch-griechischen Landgrenze ein solches Zusammenspiel nahe.

Die Verbrechen interessieren die westliche Welt allerdings eher weniger. Tatsächlich beschäftigen wir uns mit einer ganz anderen Frage: Sollen die Länder Europas die Menschen aus dem Lager aufnehmen? Nach welchem Verteilungsschlüssel? Schnell ist der moralische Zeigefinger jener Idealisten erhoben, die glauben, dass an ihrem Wesen die Welt genesen könne.

Damit stehen wir vor dem alten Problem der Barmherzigkeit. Richtet man durch die eigene Großzügigkeit möglicherweise mehr Schaden an, als man Nutzen stiftet? Nirgends ist dieses Dilemma populärer auf den Punkt gebracht als in der Versuchungsgeschichte des Neuen Testaments. Jesus Christus verweigert sich der Aufforderung des Teufels, aus Steinen Brot zu machen. Weil es Wichtigeres gibt.

Eine Gesellschaft, die keine materielle Not leidet, neigt dazu, im Hinblick auf die materielle Not anderer diese lieber zu lindern als das politische Umfeld in Ordnung zu bringen. Da die Bekämpfung der Ursachen einen politischen Kraftakt erfordern würde, schaut man lieber auf die Seite. Im Augenblick erscheint es allemal bequemer, einigen Menschen die Zuwanderung zu gewähren, als ein polizeiliches Konzept für den Mittemeerraum zu entwickeln.

In der 80er Jahren schrieb André Glucksmann mit Thierry Woltron ein Buch über das verhängnisvolle Verhalten westlicher Organisationen im hungergeplagten Äthiopien. "Silence on tue" nannten sie ihr Werk. Ruhe, man tötet. Während man den Armen helfen wollte, instrumentalisierte die diktatorische Führung sowohl den Hunger der eigenen Bevölkerung als auch die Hilfsbereitschaft des Auslands, um die eigene Macht zu stärken. Diejenigen, die den Missbrauch erkannten und auf den Irrsinn der politischen Umsiedelungen hinwiesen, wurden zum Schweigen gebracht.

Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation: Viele wollen lieber ein bisschen helfen als das Problem dahinter – nämlich die verbrecherischen Strukturen – zu benennen und zu bekämpfen. Sebastian Kurz und sein Team sind nirgends so sehr im Recht, wenn sie meinen, dass nur eine Hilfe vor Ort zielführend sei. Eine Aufnahme von Menschen aus dem Lager Moria wäre eher eine Aufforderung an die organisierte Schlepperkriminalität, ihr schmutziges Geschäft zu intensivieren.

Man muss gar nicht so weit gehen, um in einer solchen Hilfsbereitschaft eine Aufforderung zu sehen, weitere Flüchtlingslager anzuzünden. Es würde ja in Zukunft die mehr oder weniger laut artikulierte Drohung reichen, ein Lager anzuzünden, um nicht nur die Kette der Hilfsbereitschaft in Gang zu setzen, sondern auch die Wege in die Mitte Europas zu öffnen.

Dass unsere westlichen Gesellschaften offenherzig und hilfsbereit sind, ist ihnen durchaus zugute zu halten. Sie müssen aber gleichzeitig auch überlegen, ob ihre Aufnahmebereitschaft nicht eine Scheinlösung ist, die das Übel geradezu fördert.

Im Film "Slamdog Millionär" (8 Oscars) werden Kinder zu erbarmungswürdigen Bettlern verkrüppelt und erblindet, um das organisierte Verbrechen blühen zu lassen. Kinder nicht verhungern zu lassen ist zu wenig. Verbrechen gehören mit aller Macht – also in Wort und Tat – bekämpft. Solange eine Gesellschaft allerdings daran mitwirkt, dass sich solche Verbrechen auszahlen können, macht sie sich mitschuldig.

Die Ausbeutung unserer Barmherzigkeit zuzulassen, ohne die Folgen zu bedenken, wäre naiv, realitätsfern und schädlich. Die Versuchungsgeschichte wiederholt sich in unregelmäßigen Abständen und die Politiker sind immer wieder gefordert, diesen Versuchungen zu widerstehen.

Nicht aus Kaltherzigkeit, sondern aus Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit. Moria ist wieder einmal eine solche Prüfung.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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