Der deutsche Willkommenswahn

 

Es war nicht Angela Merkel, es war Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef betonte im Zusammenhang mit der Massenzuwanderung noch vor der Bundeskanzlerin: "Wir schaffen das!" Obwohl Vizekanzler, war Gabriel in dieser für Europa so prägenden Phase des Jahres 2015 aber nur eines von vielen Rädchen in der Willkommensmaschinerie, eine historische Randnotiz, weshalb dieser Satz ausschließlich mit Angela Merkel in Verbindung gebracht wird. Sie hat ihn zur Maxime erhoben, und ein Großteil der Deutschen, der Österreicher und viele Europäer sind ihr gefolgt, haben ihr vertraut. Merkel ist die zentrale Figur dieses deutschen Massenphänomens, sie hat das Gesicht eines ganzen Kontinents mit ihren Entscheidungen für immer verändert. Es gibt ein Europa vor Merkel und ein Europa nach Merkel.

Der britische Journalist Douglas Murray schreibt in seinem Bestseller "Der Selbstmord Europas": "Obwohl es Merkel nicht zustand, alleine zu entscheiden, zog sie den ganzen Kontinent mit sich, egal, ob die anderen es wollten oder nicht." Unter dem "alternativlosen" Wir-schaffen-das-Banner wollten Merkel und ihre "anständigen" Deutschen Europa bekehren. Bekehren zum Multikulturalismus, zu Buntheit und Vielfalt.

Wer Merkel die Gefolgschaft verweigerte, wie etwa der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, wurde als Unmensch, Faschist und Gefahr für Europa gebrandmarkt und entsprechend behandelt. Der moralische Imperialismus der Deutschen hat Europa verändert, Merkel verordnete ihren Landsleuten und ganz Europa die Willkommenskultur. Sie wurde nicht nur in Deutschland zur Staatsräson. In dieser entscheidenden Zukunftsrage wurde Deutschland wieder zu einem Einparteienstaat.

Alle Parteien, mit Ausnahme der als rechtsextrem ausgegrenzten AfD, zogen an einem Strang, auch wenn die CSU ab und an murrte. Die Medien und ihre Prominenten machten begeistert mit. Sie heizten die Welcome-Refugee-Euphorie an, mit ihrem Meinungsjournalismus, ihrer Propaganda, ihren Appellen, ihrem kulturellen Output, ihrer moralischen Erpressung und dem Versprechen, wer mitmacht, ist einer von uns, gehört zu den Guten, wer nicht mitmacht, ist zum Abschuss freigegeben.

Das Fernsehen und die Presse lieferten die passenden Berichte und Bilder, von zerlumpten Frauen und Kindern mit großen Kulleraugen. Die Realität sah anders aus: Es waren vor allem junge muslimische Männer, die über die nicht vorhandenen Grenzen der von der Linken herbeiphantasierten "Festung Europa" einströmten.

Das Foto eines toten syrischen Jungen, angespült an einen türkischen Strand, wurde tausendfach über die Medien verbreitetet. Es wurde zur Ikone, zum Symbol für "unser" Versagen. Dafür, dass Deutschland und Europa seine Grenzen und Geldbörsen noch immer nicht weit genug geöffnet hatten.

Von den Kindern, die an der Strandpromenade in Nizza rund ein Jahr später von einem aus Tunesien "geflüchteten" Islamisten mit einem LKW zu Brei gefahren wurden, veröffentlichten die Medien kein einziges Bild. Journalismus bedeutete zu dieser Zeit nicht, die Bürger neutral über Ereignisse und Entwicklungen zu informieren, sondern Stimmung für die gute, die eigene Sache zu machen. Was wurde damals nicht alles versprochen: Die "Flüchtlinge" würden die deutsche Wirtschaft ankurbeln, würden die Renten der überalterten, kinderarmen Bevölkerung zahlen, und man freute sich in den Medien und Sonntagsreden über die Techniker, Ärzte und Ingenieure, die da kommen würden, über Leute, die für uns und unsere Zukunft "wertvoller als Gold seien". Und Daimler-Boss Dieter Zetsche verkündete auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt begeistert: "Genau solche Menschen brauchen wir bei Mercedes."

Ohne Massenzuwanderung aus der Dritten Welt würde Deutschland, würde ganz Europa einer düsteren Zukunft entgegengehen, laut den Prophezeiungen von Wolfgang Schäuble gar "in Inzucht degenerieren". Das graue Deutschland mit seiner unrühmlichen Vergangenheit sollte endlich bunter und vielfältiger werden, die ärmliche abendländische und deutsche Kultur endlich durch Traditionen, Bräuche und Praktiken aus vormodernen, tribalistischen, islamischen Gesellschaften aufgepeppt werden: von der weiblichen Genitalverstümmelung über die Kinderehe, von kriminellen Clans bis zum Ehrenmord. Durch diesen millionenfachen Zuzug würden die vielen Nazis, die in Deutschland nach linker Darstellung und in öffentlich-rechtlichen Fernsehfilmen kurz vor der Machtübernahme stehen, endlich zur Minderheit.

Deutschland wollte seine düstere Vergangenheit endgültig ablegen und sich in einen bunten, multikulturellen, pazifistischen Hippiestaat verwandeln. Man wollte vom bösesten zum besten Volk der Welt werden. Und dafür benötigte man so viele hilfsbedürftige "edle Wilde", wie man kriegen konnte. Je mehr, desto besser. Obergrenzen gab es keine. Deutschland wollte nicht mehr die ganze Welt erobern, sondern retten. An der Spitze dieser Bewegung stand deshalb auch kein Führer mehr, sondern eine Mutti. Von Karatschi bis Abuja jubelten die Menschen Mama Merkel zu. Ihre Selfies mit Flüchtlingen, die sich im Internet über den ganzen Globus verbreiteten, galten vielen als Einladung und Eintrittskarte nach "Germoney".

Die Realität hält sich aber nicht an politisch korrekte Drehbücher. Unter den Migranten waren nur sehr wenige Ingenieure und Fachkräfte, auch die linke Vorstellung, dass die Masseneinwanderung die braune deutsche Suppe verdünnen würde, stellte sich als falsch heraus: Man importierte im großen Stil Islamisten, also Anhänger einer totalitären Ideologie, Antisemiten, allerlei Kriminelle, Extremisten, Faulpelze und Glücksritter. Die braven Deutschen wollten den selbst erschaffenen rechten Popanz mit dem islamistischen Beelzebub austreiben, sprich: einen virtuellen Feind mit einem realen Gegner bekämpfen. Kein guter Plan. Auch der Rassismus ist unter den neu Eingewanderten stärker als bei den meisten Deutschen ausgeprägt.

Im Herbst 2015 und zum Teil bis heute werden all jene, die auf diese offen daliegenden Tatsachen und Fehlentwicklungen hinweisen, als rechte Hetzer verfolgt und marginalisiert. Dabei hatten sie von Anfang an die besseren Argumente. Das interessierte die Bewohner der politisch korrekten Blase wenig. Wir leben schließlich im postfaktischen Zeitalter, wo Gefühle und Moral über politischer Vernunft stehen. Und wer öffentlich kundtat, dass Mutti und ihr Gefolge nackt war, wurde heftig attackiert und aus der Gesellschaft der Braven ausgeschlossen. Fast alle wollten bei der großen Welcome-Refugee-Party dabei sein, keiner zu den Schmuddelkindern gehören, den Abgehängten, den Modernisierungsverlierern, dem Pack, dem Pöbel, den Fremdenfeinden, den Kanalratten, den Ossis, den Nazis und den Xenophoben.

Die Gruppe, die damals von den Deutschen am schärfsten angegriffen, angefeindet und diskriminiert wurde, waren nicht die Flüchtlinge, sondern die Kritiker der Open-Border-Politik. Und das nicht nur verbal. Dezente Kritik in wohlgesetzten Worten reichte aus, um als Nazi-Untermensch vom öffentlichen Parkett verbannt und aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Die Liste der Gedankenverbrecher, dieser "Nazis", wurde 2015 und 2016 immer länger, zumal der Faschismusbegriff immer weiter ausdehnt wurde. Selbst der harmlose Einwand, dass unter den Hunderttausenden unkontrolliert einwandernden jungen Männern eventuell der ein oder andere Extremist, Islamist, IS-Kämpfer oder Terrorist sein könnte, genügte, um als Nazi-Arschloch medial hingerichtet zu werden. Der Gruppendruck war enorm. Die von oben verordnete Willkommenskultur fiel auf fruchtbaren Boden, den Linken aller Parteien in Deutschland und Österreich über Jahrzehnte lang gedüngt und beackert hatten.

Die politische Korrektheit und das linke Gutmenschentum erreichten im Herbst 2015 ihren Zenit, man feierte einen fulminanten Pyrrhussieg, berauschte sich an seiner Menschlichkeit, seiner Empathie und sah sich wie dereinst als neuer Übermensch, als Weltmeister der Moral, der Humanität und Nächstenliebe, der allen Unterdrückten und Verfolgten dieser Welt ohne jede Obergrenze zu helfen hat. Dieses Hochgefühl und die Aussicht, sich endlich von der Last der nationalsozialistischen Erbschuld befreien zu können, waren der Motor dieser neuen deutschen Massenbewegung. Der Flüchtling wurde im säkularisierten Deutschland zur Erlöserfigur, der die Europäer im Allgemeinen und die Deutschen und Österreicher im Speziellen von ihrer großen Schuld befreien sollte.

Die Zukunft versprach, bunt und friedlich wie ein Multikulti-Straßenfest zu werden. Das führende deutsche Nachrichtenmagazin, Der Spiegel, präsentierte ein solches im Herbst 2015 auf seiner Titelseite. Mit vielen bunten Luftballons und der Überschrift "Helles Deutschland". So begeistert waren so viele Deutsche von einer Sache schon seit rund 80 Jahren nicht mehr.

Es kam anders. Es kam die Silvesternacht 2015/16, und vielen Menschen wurde bewusst, dass die unkontrollierte Massenzuwanderung aus dem islamischen und afrikanischen Raum einen gewaltigen Rattenschwanz an Problemen und Belastungen mit sich bringt. Veränderungen, die das Leben jedes einzelnen massiv beeinflussen, sprich: beeinträchtigen, würden. Die blumigen Versprechen der Politiker, Medienleute, Kirchenfürsten, Künstler und NGO-Vertreter waren plötzlich nichts mehr wert. Viele, die noch vor Kurzem den einströmenden Massen zugejubelt hatten, realisierten nun, dass man sie nicht erst seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln belogen hatte, dass man ihnen von Anfang an wichtige Informationen vorenthalten hatte und auf unangenehme Entwicklungen, die sich nicht mehr vertuschen ließen, mit zynischen Ratschlägen á la "eine Armlänge Abstand zu halten" verarscht hatte.

All die Versprechen und verheißungsvollen Prognosen waren nichts anderes als die Utopien und Träume der linken Multikulturalisten. Sie basierten nicht auf Fakten, validen Zahlen, ernst zu nehmenden, wissenschaftlichen Studien, Erkenntnissen oder Erfahrungen. Nichts von alledem. Es waren immer nur linke Hirngespinste.

Den großen Medien gelang es kaum noch, die immer offener zutage tretenden Kollateralschäden und Fehlentwicklungen zu ignorieren, relativieren, beschönigen und umzudeuten. Nur wer an das Multikulti-Märchen glauben wollte oder musste, nahm die Willkommensprediger und die Mainstreammedien noch ernst. Mit dem Finger auf die Rechtspopulisten zu zeigen und "Haltet den Dieb!" zu rufen, funktionierte nur noch in bestimmten, zumeist privilegierten gesellschaftlichen Gruppen. Die Hegemonie der Multikulturalisten fing an, zu erodieren.

Damals begann der Aufstieg der "alternativen Medien" im Internet, der Ausdruck "Lügenpresse" wurde populär, was heftige und gereizte Reaktionen der sich angegriffen fühlenden linken Meinungselite nach sich zog. Dass ihre moralische und politische Autorität infrage gestellt wurde, konnten die Linken, die seit ihrem Marsch durch die Institutionen an den Hebeln und Knotenpunkten der Macht sitzen, nur schwer verkraften. Zumal sie dank ihrer staatlich finanzierten und gut abgesicherten Blasenexistenz von ihrer moralischen und intellektuellen Überlegenheit zutiefst überzeugt sind. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten mussten sie sich mit ernsthaftem politischem Widerstand auseinandersetzen.

Dass nach Jahrzehnten der linken Dominanz in Deutschland und Österreich plötzlich konservative Strömungen und Kräfte erstarkten und es schafften, sich vorbei an den politisch korrekten Gatekeepern, vorbei an den von den Linken beherrschten Medien Gehör zu verschaffen, löste unter jenen, die sich moralisch und politisch als sakrosankt betrachten, Angst, Wut und Aggression aus.

Anfang 2016 war die Flüchtlings-Fête vorbei. Katerstimmung in Deutschland und Österreich. Aber noch funktionierte das Zusammenspiel der treibenden Kräfte hinter der Willkommenseuphorie, noch hielt Kapitän Merkel ihr Land auf Willkommenskurs. Doch die See wurde rauer und immer mehr Bürger murrten. Wenn auch nur leise, offene Kritik wagte kaum jemand. Merkels "Wir schaffen das", zu Beginn ein optimistischer Motivationsspruch, mutierte zur Durchhalteparole, um als Mahnung und Symbol für die moralische Selbstüberschätzung und den neuerlichen Größenwahn der Deutschen in die Geschichte einzugehen. Wieder einmal war man beim Versuch, die Welt mit seinen Utopien zu beglücken, grandios gescheitert. Und dabei wurde die Rechnung noch nicht einmal ausgestellt. Deutschland und Europa haben sich verändert. In vielerlei Hinsicht.

Der tiefe Graben, aufgerissen in dieser Zeit, ist geblieben, angesichts der Folgewirkungen der Masseneinwanderung sogar größer geworden, wie die Ereignisse von Chemnitz Ende des Sommers 2018 gezeigt haben. Es waren vor allem jene, die die offenen Grenzen und die Flüchtlingsströme beklatscht, die alle anderen, die nicht in ihren Jubelchor miteinstimmten, zu schlechten Menschen, zu Untermenschen degradierten hatten. Es gab nur zwei Meinungen, keine Zwischentöne und Schattierungen, und nur eine davon wurde akzeptiert und gestattet. Diejenigen, die für offene Grenzen eintraten, warfen ihren Kritikern vor, sie wollten sich vollkommen abschotten, was zwar eine Unterstellung war, aber für erstere Gruppe die Debatte erleichterte bzw. sie gar nicht erst zustande kommen ließ. Schließlich war man von seiner alternativlosen Willkommenspolitik überzeugt, warum sich also mit Kritik und Sachargumenten auseinandersetzen?

Man stand auf der richtigen Seite, dessen versicherten sich alle, die eben dort standen, unablässig: Politiker, Medienleute, Kirchenfürsten, Künstler, Geisteswissenschaftler und das Fußvolk, das dazugehören und nicht anecken wollte. Wer den Fernseher einschaltete, ein Buch las, eine Zeitung aufschlug oder ins Kabarett oder Kino ging, überall wurde einem gesagt, was gut und böse, richtig und falsch, moralisch und verwerflich, gewollt und verpönt ist. Lieber mit der Mehrheit irren, als alleine Recht haben. Wer sich an diesen simplen Wertekatalog hielt, wurde geachtet, wer nicht, geächtet.

Da die Linke bis heute die Deutungshoheit und die Meinungsführerschaft innehat, konnte und kann sie weitgehend darüber bestimmen, wer sich wie und über welche medialen Kanäle mit welchem Vokabular am öffentlichen Meinungsbildungsprozess beteiligt und einbringt. Dissidenten wurden in die Katakomben der Medienwelt, in alternative Medien im Internet und Social-Media-Kanäle verbannt. In den quasi-offiziellen Medien kamen sie nur noch vor, um vorgeführt zu werden.

Damals sprachen die offiziösen Großmedien mit dem politisch korrekten Gütesiegel fast ausschließlich von "Flüchtlingen", obwohl es sich zum Großteil um unqualifizierte Armutsmigranten handelte. Flüchtlinge ließen sich besser vermarkten, mit ihnen konnte man besser an Menschlichkeit und Großzügigkeit appellieren. Der Bürger sollte glauben, dass jene, die da in großer Zahl aus der Dritten Welt zu uns strömten, vor Krieg, Folter und Verfolgung auf der Flucht waren. Auf die Mehrheit der sogenannten Flüchtlinge traf das nicht zu, sie kamen, weil Europa ein besseres und angenehmeres Leben versprach, weil Mutti sie gerufen hatte.

Man vermischte die Begriffe "Migrant", "Flüchtling", "Flüchtender", "Schutzsuchender", "Asylwerber" und "subsidiär Schutzberechtigter", um eine sachliche Debatte und eine differenzierte und tiefergehende Betrachtungsweise zu verunmöglichen. Diejenigen, die so gerne vor Verallgemeinerungen warnen und betonen, dieses oder jenes müsse man differenzierter betrachten, haben aus politischem Kalkül alle in einen Topf geworfen: Wer es aus der Dritten Welt nach Deutschland oder Österreich schaffte, galt für Politik, Kirchen, NGOs und Medien als Flüchtling. Punkt. Um sich nicht mit lähmenden Diskussionen über die Genfer Flüchtlingskonvention belasten zu müssen, wurden im Laufe der Zeit immer öfter Begriffe wie "Flüchtender" oder "Schutzsuchender" verwendet.

Über die Steuerung der Sprache, etwa mit solchen Wortkreationen, Begriffsumdeutungen, Sprachregelungen und -verboten, gelang es der politmedialen Elite, die Debatte in ihrem Sinn zu beeinflussen. Wer sich nicht an die aktuellen Sprachregeln hielt, nicht die von oben verordneten Vokabel richtig benutzte oder de facto verbotene Wörter verwendete, um die Dinge beim Namen nennen zu können, wurde aus der öffentlichen Debatte ausgeschlossen.

Es gab in der politischen und öffentlichen Auseinandersetzung über die Einwanderung nur zwei Positionen: eine gute und eine schlechte, eine richtige und eine falsche – Willkommenskultur versus Hass, Willkommenskultur versus Angst, Willkommenspolitik versus Egoismus, Willkommenspolitik versus Faschismus, offene Grenzen versus Abschottung. Man inszenierte und steuerte die öffentliche Debatte, die immer nur eine Scheindebatte war, weil man nur über Banalitäten und Nebensächlichkeiten diskutierte und das Wesentliche, das Grundsätzliche tabu war. Wer diesen engen politisch korrekten Meinungskorridor verließ, war sofort raus aus dem Spiel.

Man warf alle, die aus dem islamisch-afrikanischen Raum kamen, in den Flüchtlingstopf, selbst jene, die aus friedlichen und sicheren Urlaubsländern wie Marokko einreisten, und unterstellte den Kritikern dieser unverantwortlichen Politik, sie hätten Angst vor dem Fremden im Allgemeinen, sie hätten Angst, man würde ihnen etwas wegnehmen, sie seien nur dumme Fremdenfeinde und mit der komplexen Realität überfordert. Politik und Medien unterteilten die Bevölkerung in Wut- und Weltbürger. Die einen, ängstlich, überfordert und anfällig für böse Rechtspopulisten, jene, "deren Sorgen und Ängste man zwar ernstnehmen müsse, aber…", und die anderen, weltoffen, engagiert und smart. Schmuddelkinder und Musterschüler.

Man entwertete seine politischen Gegner, in vielen Fällen wurde er von den "Toleranten" sogar entmenschlicht und zu Ungeziefer degradiert. Eine perfide Strategie oder, wie Autor Martin Lichtmesz schreibt, psychologische Kriegsführung. Man baute einen rechten, unterkomplexen Strohmann, einen, wie man in Wien sagt, Watschenmann auf, gegen dessen fiktive und dumme Argumente selbst linke, intellektuelle Leichtgewichte bestehen konnten. Man inszenierte eine öffentliche Diskussion mit linken Sparringspartnern, die echten Herausforderer durften nicht einmal in die Nähe des medialen Ringes, sie wurden schon vorher mit der Faschismuskeule außer Gefecht gesetzt.

Es liegt im Interesse der Multikulturalisten, dass keine Zusammenhänge zwischen den seit 2015 akut werdenden Problemen, wie islamistischer Terror, Bandenkriminalität, Ausbreitung von No-go-Areas oder steigende Vergewaltigungszahlen und der unkontrollierten Massenzuwanderung aus dem islamisch-afrikanischen Raum hergestellt werden. Gebetsmühlenartig wird wiederholt, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun, so wie der Islam nichts mit dem Islamismus. Es sind die Schutzbehauptungen jener, die für diese Entwicklungen die Verantwortung tragen.

Warum die Verantwortlichen und ihre Helfershelfer so gehandelt, warum sie Europa an den Rand des Abgrundes geführt haben, dazu gibt es unzählige Verschwörungstheorien. Viele vermuten geheime Masterpläne, ausgeheckt von finsteren Gestalten. Die Realität ist weniger spektakulär, weniger mysteriös, eher banal und gerade deshalb umso erschreckender. Es gibt unterschiedliche Gruppen, Kräfte, Machtzentren, die ihre Ziele und Interessen verfolgen, es gibt unterschiedliche politische Strömungen, Institutionen, Unternehmen und Organisationen, mit all ihren Abhängigkeiten, Verbindungen, Einflusssphären und Interessen, es gibt Machtstrukturen, Sachzwänge und Netzwerke quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Es ist ein komplexes Wechselspiel, das auch von persönlichen Befindlichkeiten, Stimmungen oder Zufällen beeinflusst wird. Robin Alexander hat das in seinem Buch "Die Getriebenen" gut dokumentiert und analysiert.

Es waren oftmals politische Bauchentscheidungen, beeinflusst durch den Zeitgeist, und andere Faktoren, die Europa in diesen Strudel gerissen haben. Staats- und Autoritätsgläubigkeit sind in Deutschland und Österreich stärker ausgeprägt als in anderen europäischen Ländern. Eigenverantwortung und Freiheit spielen bei uns nur eine untergeordnete Rolle. Hier ist die Bereitschaft, einem politischen Führer unkritisch zu folgen, größer als etwa in der Schweiz oder Großbritannien. Was Medienlandschaft, Wissenschaft, Kirchen und Kultur miteinschließt.

Merkel stieß mit ihrer irrationalen Wir-schaffen-das-Politik außerhalb Deutschlands und Österreichs, wo Bundeskanzler Werner Faymann anfänglich auf Merkels Linie lag, auf großen Widerstand. Vor allem in Osteuropa, aber auch in Ländern wie Dänemark oder Großbritannien. Im Laufe des Jahres 2016 drehte sich auch in Österreich die Stimmung. Der junge Sebastian Kurz, mit seiner konservativen Politik und seiner klaren Haltung in der Einwanderungspolitik, und die rechte FPÖ gewannen 2017 die Nationalratswahl, die SPÖ musste in die Opposition, die Grünen, die radikalsten und aktivsten Open-Border-Aktivisten, schafften nicht einmal mehr den Einzug in den Nationalrat.

Geschlagen geben sich die linken Multikulti-Apologeten nicht, zumal sie noch immer über intakte Netzwerke in Medien, Justiz, Kultur, Wissenschaft und der öffentlichen Verwaltung verfügen. Und viele Menschen glauben noch immer ihren Versprechungen, ihrer Vision vom bunt-friedlich-fröhlichen Multikulti-Europa, weil sie sich belügen lassen wollen. All das, woran sie seit Jahren und Jahrzehnten glauben, worauf sie so stolz sind, was ihr Leben und ihre Stellung in der Gesellschaft ausmacht, was man ihnen in den staatlichen Schulen und Universitäten beigebracht hat, all das können und wollen sie nicht einfach ablegen. Deshalb ignoriert man die Gewitterwolken am Himmel, sieht alles durch seine ideologische Brille, ignoriert offen daliegende Entwicklungen und spricht von bedauerlichen Einzelfällen, die es schon immer gegeben hat. Man belügt sich selbst und die anderen und hofft wider besseres Wissen, so wie Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann im Drama "Biedermann und die Brandstifter", das Unvermeidliche, das Offensichtliche werde nicht eintreten und sich alles in Wohlgefallen auflösen.

Die Biedermänner und die Überzeugungstäter, die Leitwölfe und die Schafe, die Profiteure und die Opportunisten, sie alle sind für diese fatalen Entwicklungen, die im Herbst 2015 in Gang gesetzt wurden, verantwortlich.

Dieser Text ist ein für diese Webseite adaptierter Auszug aus dem Buch "Der deutsche Willkommenswahn – Eine Chronik in kommentierten Zitaten 2015-2016", das Anfang Dezember erscheint. Wer es online oder per Mail direkt bei Frank&Frei bis zum 30.11.2018 vorbestellt, erhält es zum Subskriptionspreis von 19,90 €.
www.verlagfrankundfrei.at  
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Werner Reichel ist Autor und Chefredakteur von Frank&Frei – Magazin für Politik, Wirtschaft und Lebensstil. 

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