Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit

Aggression, so belehrt uns das Internetlexikon Wikipedia, "…ist eine feindselig angreifende Verhaltensweise eines Organismus." Ein Aggressor ist folglich, wer einen feindseligen Angriff gegen Personen oder Sachen unternimmt. Kein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde jemanden, der keine feindseligen Angriffe unternimmt, als aggressiv bezeichnen. Was in aller Welt, geht also in den Köpfen von Leuten vor, die genau das tun? Welche verquere Logik treibt sie dazu?

Offensichtlich übt ein längerer Aufenthalt an den Schalthebeln der Brüsseler Machtzentrale einen verderblichen Einfluss auf das Denkvermögen der Betroffenen aus. Er ist imstande, das Bewusstsein der Zentralbürokraten derart zu verändern, dass bestimmte Tatsachen scheinbar in ihr exaktes Gegenteil verkehrt werden. Derjenige, der seine Mitmenschen unbehelligt lässt und gegen diese keine feindseligen Angriffe unternimmt, gilt für die solcherart Verwirrten plötzlich als "aggressiv".

So geschehen dieser Tage, als die Damen und Herren EU-Kommissare mit scharfer Kritik an der "aggressiven Steuerpolitik" einiger Mitgliedstaaten ihres zunehmend totalitäre Züge annehmenden Imperiums aufhorchen ließen. Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen: Nicht etwa zu starke fiskalische Begehrlichkeiten; nicht konfiskatorisch hohe Steuersätze werden von den sich an ihrer Macht berauschenden Bürokraten kritisiert, sondern – im Gegenteil – ausgerechnet jene Staaten, die ihren Bürgern und Betrieben verhältnismäßig geringe Fiskallasten auferlegen.

"Diese Praktiken untergraben die Gerechtigkeit und gleiche Wettbewerbsbedingungen auf unserem Binnenmarkt", erklärt der sozialistische Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Die Ironie, dass der Mann im Namen des Wettbewerbs de facto ein (Steuer-)Monopol fordert, erschließt sich vermutlich nur ausgemachten Feinschmeckern. George Orwell jedenfalls sähe damit die in seinem Roman "1984" beschriebene Dystopie endlich verwirklicht: Wahrheit ist Lüge, Krieg ist Frieden und geringe Steuerlasten bedeuten Aggression. Nun, Wahrheitskommissar Moscovici stammt aus Frankreich – einem Land, das im Hinblick auf Zentralismus und wohletablierten Realsozialismus den meisten anderen Provinzen des von Brüssel aus gesteuerten Imperiums weit voraus ist. Schon der ebenfalls linke Ministerpräsident Georges Clemenceau (1841-1929) wusste: "Frankreich ist ein fruchtbares Land. Man Pflanzt dort Beamte und überall sprießen Steuern." Die Liebe zu hohen Steuersätzen ist bei Franzosen möglicherweise schon in den Genen angelegt.

Wie dem auch sei: Es gehört zu den beliebtesten, von eingefleischten Etatisten aller Herren Länder ebenso unermüdlich wie ohne jede plausible Begründung getrommelten Parolen, dass ein (Steuer-)Wettbewerb zwischen Staaten zwangsweise zu einem Abwärtswettlauf führt und somit "ruinös" ist. Dass Wettbewerb eine ebenso zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft darstellt wie Rechtssicherheit, Vertragsfreiheit und Arbeitsteilung wird ausgeblendet. Dass die Errichtung eines Fiskalkartells durch die Brüsseler Hochbürokratie, infolge des Wegfalls jeglichen Anreizes Steuergelder sparsam einzusetzen, zwangsweise zu immer weiter zunehmenden fiskalischen Begehrlichkeiten und zu einer durch nichts zu begrenzenden Machtkonzentration in der Hand einer selbsternannten Politelite führt, wird diskret verschwiegen.

Es ist immer wieder zweckmäßig, theoretische Überlegungen an der Wirklichkeit zu überprüfen: Das beste Beispiel für die positive Wirkung steuerlichen Wettbewerbs ist die Schweiz, wo die Begriffe Föderalismus und Subsidiarität nicht nur in Sonntagsreden beschworen, sondern tatsächlich gelebt werden. Die Steuerhoheit von Gemeinden und Kantonen bringt steuerlichen Wettbewerb mit sich und übt eine scharf disziplinierende Wirkung auf die kleinräumig organisierten Gebietskörperschaften aus. Nicht umsonst ist die Schweiz ein erstklassig verwaltetes Land mit vergleichsweise niedrigen Steuer- und Abgabenlasten. Würden Pierre Moscovicis haarsträubende Einlassungen der Wahrheit entsprechen, hätte der "ruinöse" Steuerwettbewerb unter Gemeinden und Kantonen die Schweiz längst zugrunde gerichtet. Offensichtlich ist das aber nicht der Fall.

Der Bannstrahl Saurons – Pardon – der EU-Kommission, richtet sich (vorerst) gegen Belgien, die Niederlande Zypern, Irland, Luxemburg, Malta und Ungarn. Letzteres ist den Sozialisten in allen Parteien bekanntlich schon aufgrund seiner Aufsässigkeit in Fragen der "gerechten" Verteilung von "Flüchtlingen" ein Dorn im Auge. Mit der Anerkennung der Ergebnisse demokratischer Wahlen in den fernen Provinzen des Euroimperiums haben es die Zentralisten ja bekanntlich nicht so besonders.

Die Behauptung, Steueroasen würden andere Länder (also Steuerwüsten) infolge ihrer Attraktivität für Unternehmer, Investoren und Leistungsträger "berauben", indem sie diesen Steuereinnahmen wegnähmen, ist nachgerade absurd. Wer würde sich zu der seltsamen Beschuldigung versteigen, der Autohersteller VW beraube BMW und Mercedes, indem er den Konsumenten preisgünstigere Fahrzeuge anbietet und damit Kundschaft abspenstig macht? Es ist eben das Wesen einer marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaft, Wettbewerb zuzulassen.

Aus welchem guten Grund sollte das aber nur für Produzenten von Gütern und Dienstleistungen, nicht aber für territoriale Machtmonopolisten gelten? Mit welchem Recht können schlecht verwaltete oder solche Länder, die infolge falsch gesetzter Anreize das Geld der Nettozahler vorsätzlich oder fahrlässig verludern, andere, die das nicht tun, dazu nötigen, mit ihnen gleichzuziehen? Ist die Förderung staatlicher Korruption und Wohlstandsvernichtung durch eine Ausschaltung des Steuerwettbewerbs und die Verhinderung von Abstimmungen mit den Füßen wirklich sinnvoll? Oder bedeuten solche Bestrebungen nicht vielmehr blanken Irrsinn auf allerhöchstem Niveau?

Macht korrumpiert, wie wir wissen. Je größer die Gravitationskräfte eines Imperiums werden und je stärker die damit verbundene Machtkonzentration zunimmt, desto korrupter werden die herrschenden Eliten.

Beispielhaft zeigt sich das an ihren ungebremsten fiskalischen Begehrlichkeiten nach dem Brexit. Darauf, auch nur auf einen einzigen Cent an Einnahmen aus der nun deutlich kleiner werdenden Union zu verzichten, kommt in der Machtzentrale niemand. Den verbleibenden Nettozahlern soll stattdessen noch tiefer in die Taschen gegriffen werden. Und wer bei diesem üblen Spiel nicht mitspielen will, wird von der außer Rand und Band geratenen Brüsseler Bürokratenkamarilla als "Aggressor" denunziert.

Um auf den Begriff Aggression zurückzukommen: Als Fazit drängt sich hier ein berühmtes Zitat des chinesischen Philosophen Konfuzius auf:

"Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit".

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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