Von der Produktion zur Dienstleistung

Eine jüngst von der "Agenda Austria" veröffentlichte Graphik zeigt dramatische Veränderung der Arbeitswelt in den OECD-Staaten, die zwischen 1995 und 2015 stattgefunden haben. Kurz zusammengefasst: In der Warenproduktion gehen Arbeitsplätze verloren, während der Dienstleistungssektor boomt. Auffällig sind sowohl die Zuwächse im Immobilien-, Gastronomie- und Finanzsektor, als auch die Rückgänge in der Textilproduktion und der Holzverarbeitung.

Der Niedergang der Güterfertigung ist die Konsequenz der Verlagerung vieler Industriestandorte (namentlich im Bereich der Grundstoffe, wie zum Beispiel von Stahl und Chemieprodukten) in den Fernen Osten. China ist auf dem besten Wege zur Werkbank der ganzen Welt zu werden, wie auch an der sprunghaft ansteigenden Zahl von Patenanmeldungen chinesischer Firmen abzulesen ist. US-Präsident Trump hat seinen Wahlsieg nicht zuletzt dem von ihm im Wahlkampf abgegebenen Versprechen zu verdanken, der Abwanderung von Arbeitsplätzen aus den USA ins Ausland entgegentreten zu wollen.

Die Ursachen der Standortveränderungen sind vielfältig. Zu nennen ist etwa die "erfolgreiche" Arbeit der Gewerkschaften, die Arbeit in den westlichen Industrieländern sukzessive aus dem Markt preist. Ferner die notorische Regulierungswut von Regierungen und Bürokraten, die den Unternehmen zunehmend die Luft abschnürt. Auch exzessive Steuerforderungen und eine geradezu verheerende Umwelt-, Energie- und Klimapolitik tragen ihren Teil zur Unternehmensvertreibung bei. Wer zwar seine Staatsfinanzen nicht im Griff hat, aber allen Ernstes verspricht, mittels einer dubiosen "Energiewende" das Weltklima beeinflussen zu können, sollte sich klar machen, dass er damit die Axt an die Wurzeln des Massenwohlstands legt.

Eine von den meisten Politikern und Bürokraten selten beachtete Erkenntnis der Wirtschaftswissenschaften ist es, dass die Produktivität von Unternehmen sowie die Wertschöpfung pro Beschäftigtem die bestimmenden Größen für die Arbeitseinkommen bilden. Die Wertschöpfung pro Beschäftigtem und die Löhne korrelieren miteinander.

Es ist kein Zufall, dass die Löhne und Gehälter in der Fahrzeugindustrie diejenigen in der Gastronomie, in der Hotellerie oder im Reinigungsgewerbe bei weitem übersteigen. Ein hoher Kapitaleinsatz pro Beschäftigten, liefert den Hebel, der die Einkommen hebt. Und der Kapitaleinsatz im Maschinenbau, bewegt sich nun einmal in anderen Dimensionen als der im Friseurgewerbe.

Ein einfaches Beispiel: Ein Schuhmacher fertigt seine Produkte ausschließlich von Hand. Er benötigt drei Tage für die Fertigstellung eines Paars Schuhe. Mehr geht nicht. Dann entschließt er sich zur Anschaffung einiger Maschinen, die ihm nicht nur die Arbeit erleichtern, sondern auch seine Fertigungskapazität entscheidend steigern. Er kann jetzt in drei Tagen fünf Paar Schuhe herstellen. Der Kapitaleinsatz hat seine Produktivität – und damit auch sein Einkommen – dramatisch erhöht.

Die von den Regierungen vieler OECD-Staaten betriebene Politik, die – in Erfüllung der Forderungen von Gewerkschaftern und Umweltaktivisten – zu einer dramatischen Entindustrialisierung geführt hat, ist dafür verantwortlich, dass die Einkommen sinken. Das Gejammer über die schwindende Massenkaufkraft ist unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen.

Das Wachstum des Finanzsektors verdient insofern Beachtung, weil es sich vom oben beschriebenen Zusammenhang zwischen Wertschöpfung und Einkommen abkoppelt. Es handelt sich um die Konsequenz einer der staatlichen Geldproduktion und -Manipulation geschuldeten Verzerrung. Der Finanzsektor im Fiat-Money-System schafft zwar keine Werte, ermöglicht aber dennoch weit überdurchschnittliche Einkommen – zu Lasten aller übrigen Werktätigen.

Manche Zeitgenossen – darunter bevorzugt Gewerkschafter oder Agenten der Armutsbewirtschaftungsindustrie – beschuldigen die Unternehmen, ihren Mitarbeitern "gerechte" Löhne vorzuenthalten und ihre Gewinne zum Großteil für sich zu behalten. Sie fordern Löhne, von denen man "in Würde leben kann".

Klingt ungemein sympathisch. Was sie allerdings übersehen ist, dass Arbeitseinkommen nicht aus Träumen, sondern aus betrieblicher Wertschöpfung resultieren. Der selbst fahrende Taxiunternehmer, der zwei weitere Fahrer beschäftigt, verfügt nämlich über kein wesentlich höheres Einkommen als seine Angestellten. Sein Verdienst wird von jenem Preis begrenzt, den seine Fahrgäste bereit sind, für seinen Service zu bezahlen. Er kann daher seinen Mitarbeitern (und sich selbst!) einfach keine höheren Löhne bezahlen, als der Markt hergibt.

Wer also 1.500 Euro Mindestlohn für alle durchsetzt, richtet im Niedriglohnsektor einen Kahlschlag an, weil die dafür erforderliche Wertschöpfung – etwa im Reinigungs- oder Personenbeförderungsgewerbe – nicht erbracht werden kann.

Fazit: um die Erosion der Massenkaufkraft zu stoppen, ist eine Reindustrialisierung erforderlich. Die Produktion hochwertiger Güter – und nicht die Erbringung einfacher Dienstleistungen – ermöglicht hohe Einkommen.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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