Was man sieht und was man nicht sieht

Die Regierung hat es gerade noch einmal geschafft Neuwahlen abzuwenden. Sie bleibt uns also erhalten. Was für ein Glück wir doch haben. Tage- und nächtelang haben die Großkoalitionäre verhandelt, um am Ende das Produkt eines kümmerlichen Minimalkonsenses als großartige Leistung zu präsentieren.

An dieser Stelle soll nicht wiederholt werden, was die Hauptstrommedien bereits – regierungsaffin wie sie nun einmal sind – tagelang pflichtschuldigst kolportiert haben. Hier soll vielmehr ein Auge auf jene Teile des grandiosen Pakts geworfen werden, über die von ORF, „Standard“ & Co. kaum berichtet wird.

Zuvor sei indes noch kurz erwähnt, dass die Regierung bei ihrem „Neustart“ (dem wievielten eigentlich?) peinlich genau darauf geachtet hat, alle ein wenig tiefer greifenden Reformerfordernisse auszublenden, um nur ja sicherzugehen, einen „Erfolg“ präsentieren zu können. Das heiße Eisen des explodierenden Pensionsaufwands, die ungelöste Frage der Pflegefinanzierung und die dringend reformbedürftigen Ladenschlussregelungen (die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) wurden nicht einmal ansatzweise angegangen.

Abseits des von Minister Schelling initiierten „Endes für die kalte Progression“ (die jetzt aber nur für Geringverdiener eliminiert werden soll – und auch das nur mit jahrelanger Verzögerung) wäre da einmal die Sache mit dem Dauerbrenner Mindestlohn. 1.500 Euro sollen es nach den Vorstellungen des Linksauslegers im Kanzleramt sein. Die gerüchteweise bürgerliche ÖVP hatte daran offenbar nichts auszusetzen, wie verheerend auch immer sich ein derartiges Arbeitspreisdiktat auf die Beschäftigungssituation gering qualifizierter Arbeitnehmer auswirken mag. Es wird auf Zeit gespielt, indem die Beratungen darüber an die Sozialpartner delegiert werden. Da aber selbst die quasi-beamteten Wirtschaftsvertreter kaum verrückt genug sein werden, dem Unfug zuzustimmen (schließlich gibt es genügend Literatur, welche die üblen Konsequenzen von Mindestlöhnen beschreibt, die den Betrieben von marktferner Seite oktroyiert werden), dürfte es auf dieser Ebene kaum zu einem den Kanzler erfrischenden Ergebnis kommen. Am Ende wird also wohl doch die Regierung ein Machtwort sprechen und damit ein indirektes Beschäftigungsverbot für viele Geringverdiener aussprechen.

Über einen der größten Verhandlungserfolge der Genossen wurde interessanterweise so gut wie gar nicht berichtet: Die Neuordnung des Insolvenzrechts. Mit der absolut fadenscheinigen Begründung, gescheiterten Unternehmern einen Neustart ermöglichen zu wollen, wurde der vorsätzlichen oder fahrlässigen Schädigung von Kreditoren (Lieferanten) nun ein riesiges Einfallstor geöffnet. Sieht die derzeitige Regelung im Falle eines Privatkonkurses die Rückzahlung einer Quote von 10 Prozent der ausstehenden Forderungen binnen 10 Jahren vor (was aus Sicht der geprellten Gläubiger schon schlimm genug ist), soll die Quote nun völlig fallen und der Abschöpfungszeitraum auf drei Jahre verkürzt werden. Haftung und Verantwortung ade! Dass die ÖVP einem derart schwerwiegenden Anschlag auf private Eigentumsrechte zustimmt, ist haarsträubend.

Es geht nicht an, völlig einseitig die Interessen der einen Seite (der Schuldner) zu vertreten und die andere (die der Gläubiger) völlig zu ignorieren. Es ist ein beispielhaft falsches Signal, dem Verursacher die Konsequenzen wirtschaftlich fehlerhaften Verhaltens abzunehmen und Dritten aufzubürden! Verantwortung und Haftung gehören in einer liberalen Gesellschaft zwingend zu jedem Handeln. Es geht also um eine offene Einladung zum „Moral hazard“: Gehe beruhigt maximale Risiken und unerfüllbare Verpflichtungen ein – den durch dein Handeln entstehenden Schaden wird am Ende ein anderer tragen. Unglaublich.

In der Folge wird sich die Gewährung von Bankkrediten verteuern (da ja die Geldinstitute die nun erheblich steigenden Risiken einpreisen müssen). Der Handel dürfte durch wachsendes Misstrauen gegenüber potentieller Kundschaft insgesamt nicht eben beflügelt werden – zum Schaden der gesamten Volkswirtschaft.

Aber was kümmert das die politische Klasse? Deren Aktivbezüge und Renten sind ja Gottlob bombensicher – und wenn´s den produktiv Tätigen noch so dreckig geht.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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