Es geht gar nicht ums Kopftuch

Als Liberaler sehe ich die Kopftuchgeschichte gelassen. Wie sich Frauen kleiden, soll in erster Linie eine Frage der Selbstbestimmung sein. Und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung erfordert Freiheit und Toleranz.

Das Tragen eines Kopftuchs wird von vielen aber nicht als rein individuelle Entscheidung, sondern als kollektives Statement betrachtet. So werden die in regelmäßigen Abständen aufflammenden Kopftuchdebatten zu emotional aufgeladenen Stellvertreterkriegen zwischen Islamkritikern und Islamisten. Dabei geht es in erster Linie gar nicht um’s Kopftuch. Kopftücher sind verhältnismäßig irrelevante Kleidungsstücke, erhalten aber durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihnen immer wieder geschenkt wird, eine ungemein polarisierende Symbolwirkung.

Obwohl das Kopftuch auch im westlichen Kulturraum Jahrhunderte lang von Frauen getragen wurde, steht es für heutige Islamkritiker als islamisches Herrschaftssymbol. Unter professionellen Islamisten hingegen fungiert die Haltung zum Kopftuch als „Rassismusbarometer“. Letzteres ist eine Strategie, die der österreichische Autor Farid Hafez in seinem Kommentar „Ein Staatspreis für das Kopftuch“ (DerStandard, 09.01.2017) verfolgt.

1. Der Rassismusvorwurf als islamistische Immunisierungsstrategie

Hafez arbeitet hier mit einem einfach gestrickten ad-hominem-Argument: Viele Österreicher sind verkappte Nazis, also haben sie konsequenterweise ein Problem mit dem Kopftuch. Mangels einer überzeugenden Verbindung zwischen Nazitum und Kopftuchallergie zitiert Hafez einen Fall herbei, der mit dem Islam zwar nichts zu tun hat, aber dafür den genetisch bedingten Rassismus weißer Österreicher unterstreichen soll: Die peinliche Feststellung zweier Jury-Mitglieder des Staatspreises für Literatur, dass der slowenisch schreibende Autor Florian Lipus nicht auf Deutsch geschrieben hätte.

Damit will Hafez aufdecken, wie tief verwurzelt der Österreicher mit seiner Nazi-Vergangenheit ist, um dann gleich eine Analogie zur Xenophobie gegen Muslime zu ziehen. Seine Pointe im O-Ton: „Beide Praktiken der Ausgrenzung verweisen auf ein grundsätzliches – selten benanntes – Problem: Österreicher ist, wer deutsch spricht, weiß ist, und – überspitzt gesagt – blond und blauäugig ist.“

Auf diesem Weg will Hafez alle österreichischen Kopftuchkritiker als Rassisten entlarven, bedient sich dabei aber selbst einer rassistischen Polemik. „Islamophobie“ wird in seinen Schriften vage als „anti-muslimischer Rassismus“ definiert. Inwieweit dieses Label auch fundiert kritische Meinungen gegenüber radikalen Strömungen und dem politischen Islam markiert, bleibt bei Hafez unscharf.

Aber für ihn erübrigt sich diese Frage ohnehin, denn seiner Meinung nach fehlt dem heutigen Islam die politische Ambition: Im November 2016 behauptet er unwidersprochen im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Wiener Figlhaus, dass es den politischen Islam gar nicht gäbe, sondern dass dieser nur in der „Literatur des 20. Jahrhunderts“ vorkäme. Verfolgt Hafez bewusst eine Strategie der Täuschung (taqiyya) von Nichtgläubigen?

Betrachten wir die logischen Implikationen von Hafez‘ Standpunkt. Rasse ist gegen Kritik immun, da angeboren. Wenn der Islam als Rasse bestimmt wird, dann ist derjenige, der mit dem Islam ein Problem hat, ein Rassist. Indem Hafez „die“ Muslime pauschal als Opfer von Rassisten stilisiert, macht er potenziell jeden Kritiker radikaler oder politischer Strömungen des Islams mundtot.

„Nazi!“ ist im deutschsprachigen Raum das Killerargument schlechthin: grammatiklos, kurz, messerscharf und effizient. Es geht also nicht mehr um ein Kleidungsstück für Frauen in diesem Diskurs, es geht um die Immunisierung einer Ideologie. Das ist die Strategie des politischen Islams.

Hafez ist ein führender Vorreiter des Islamophobie-Diskurses in Europa. Aus diesem Grund wird man sich erlauben dürfen, dem politisch aktiven Politikwissenschaftler die Gretchenfrage hinsichtlich seiner Haltung zum politischen Islam zu fragen. Schließlich machte er keinen Hehl daraus, die ägyptische Muslimbruderschaft als „demokratisch“ zu bezeichnen (wiederum im Standard, 09.07.2013).

Auch hier sticht der Zynismus des Mannes wieder ins Auge, wenn er jene sunnitisch-islamistische Bewegung mit dem Gütesiegel der Demokratie versehen möchte, die massiv zur religiösen Radikalisierung und zum wirtschaftlichen Niedergang in Ägypten beigetragen hat. Unter der kurzen, demokratisch gewählten Regierung des Muslimbruders Mohammed Mursi (2012-13) wurde das Verbot der Genitalverstümmelung von Frauen wieder aufgehoben(!), dutzende Demonstranten getötet und koptische Christen massiv verfolgt.

Um es kurz zu halten: Die Muslimbruderschaft hat den arabischen Frühling verspielt. Gerade einmal zwei Monate nach Hafez‘ peinlichem Persilschein für die Muslimbruderschaft wurde diese im September 2013 per Gerichtsbeschluss verboten und als Terrororganisation deklariert. Dass sich ausgerechnet das Netzwerk der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft historisch an der NS-Ideologie orientiert und sich am Antisemitismus des Dritten Reiches ein Vorbild genommen hat, ist ebenfalls keine unwichtige Fußnote der Geschichte. Das Gedankengut der Muslimbrüder wird vom deutschen Verfassungsschutz als unvereinbar mit dem Grundgesetz beurteilt und auch vom österreichischen Verfassungsschutz beobachtet.

Jene Elemente, die den politischen Islam antreiben – antisemitische und anti-westliche Diskurse sowie der islamistische Hegemonialanspruch – werden von Hafez systematisch ausgeblendet. Dabei bleibt es nicht: Hafez geht noch weiter und verkündete, dass der politische Islam eine Sache des 20. Jahrhunderts gewesen sei, und dass es ihn heute, im Zeitalter des „Post-Islamismus“, gar nicht mehr gäbe. Ehrliche Selbst-Reflexion sieht anders aus. 

2. Farid Hafez und der politische Islam

Hafez ist intelligent, eloquent und hat etwas vom österreichischen Schmäh. Im persönlichen Gespräch kommt er rüber wie ein umgänglicher, progressiv denkender Kumpel. Folgende Indikatoren weisen jedoch auf seine ideologische und organisatorische Nähe zum modus operandi des politischen Islams:

  • Zum zehnjährigen Jubiläum der MJÖ wurde kein geringerer als Tariq Ramadan eingeladen, Enkel des Begründers der ägyptischen Muslimbruderschaft Hassan al-Banna, und „Reform-Salafist“, wie er sich selbst nennt. Ramadan ist die Speerspitze der ideologischen Offensive des politischen Islams im Westen, die Einfluss in den Unis, im Schulwesen, im interreligiösen Dialog und in den Medien sucht. Er hat sich nie von al-Bannas Erbe distanziert und unterstützt die anti-westlichen Ideen des Predigers Yusuf Qaradawi.
  • Die von Hafez mitverfasste Studie Islamophobia Report 2015 wurde von SETA, der Istanbuler Foundation for Political, Economic and Social Research, herausgegeben. Bei dieser Stiftung handelt es sich um einen umstrittenen türkischen Think Tank, dessen intime Verbindung zur AKP in der SWP-Studie des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit (2012) nachzulesen ist. (Der türkischstämmige und Erdogan-kritische frühere Grünen-Abgeordnete Dönmez bemängelte übrigens, dass Hafez' methodisch bedenkliche Islamophobie-Studie zudem von den Grünen, der Stadt Wien und dem Land Salzburg gefördert wurde.)
  • Die AKP fördert also eine akademische Stilisierung des europäischen Islamophobie-Diskurses, während Hafez öffentlich die rechts-nationalistische und anti-demokratische Partei Erdogans als Art „türkische ÖVP“ verharmlost. In einer Podiumsdiskussion im katholischen Figlhaus unter dem Titel „Missbrauch und Chance von Religion in der Politik“ im November 2016, erklärt Hafez ab Minute 1:18:00: "Den politischen Islam, wie wir ihn aus der Literatur kennen, gibt es nicht mehr. (...) Ich kenn kein einziges Land, wo es den noch gibt." Unterdessen befindet sich die Türkei noch immer im Ausnahmezustand und Tausende von Akademikern, Journalisten und Oppositionellen werden entlassen, verhaftet und zum Teil gefoltert. Erdogan ist im Begriff, die Türkei zu einer Diktatur umzubauen, ein Präsidialsystem, das auf einer sunnitisch-nationalistischen Staatsideologie gründet und die legislative und exekutive Macht in einer Person bündelt. Der Genozid an den Armeniern wurde von diversen Historiker-Gremien und europäischen Parlamenten anerkannt. Von Erdogan wird er hingegen noch nach wie vor als westliche Verschwörungstheorie tituliert.
  • Die AKP unterhält zudem enge Verbindungen zur ägyptischen Muslimbruderschaft. Erdogan gewährt ihren Führern Exil in der Türkei, da diese in Kairo als Terroristen gelten. Diese Verbindungen zwischen AKP und der Muslimbruderschaft sind also gut dokumentiert und werden zudem vom deutschen BND beobachtet. (Weitere Hinweise für die Verbindung heimischer Islamisten mit der Muslimbruderschaft werden in einem NZZ-Artikel von Elisalex Henckel beleuchtet. Für Details zum politischen Islam in Österreich, siehe Schmidingers Handbuch.)

Hafez‘ politische Taktik folgt einem zweifarbigen Muster: Die Angst vor dem Islam bis hin zum „Rassismus“ überbewerten und zugleich den politischen Islam bis hin zur Leugnung seiner Existenz unterbewerten.

3. Was ist eigentlich Islamophobie?

Ja doch, es gibt sie, die plakativen Islam-Stereotypen in den Kleinstädten unserer Alpenrepublik. Andererseits tun sich selbst Islamwissenschaftler schwer, einen Überblick über die Vielfalt islamischer Strömungen sowie seiner politisch orientierten oder radikalen Spin-offs zu vermitteln. Da Emotionen schneller kommuniziert werden als sachliche Informationen, erfordert eine fundierte Meinung zu kontroversen Themen neben dem Zugang zu empirischen Daten und der vernunftgeleiteten Reflexion auch klare Kriterien der Evaluierung.

Wenn wir die Religions- und Meinungsfreiheit als Urteilskriterium für den Begriff der Islamophobie wählen, so lassen sich u. a. folgende Probleme in seiner Verwendung durch Vertreter des politischen Islams feststellen: 

  1. Wenn Islamophobie lediglich die pauschale Angst vor einem als gefährlich wahrgenommenen monolithischen Islam bezeichnet, handelt es sich um eine persönliche Meinung, die durch die Meinungsfreiheit geschützt ist. Angst zu haben ist noch kein Verbrechen. Und solange Angst nicht in Hate Crimes übersetzt wird, ist es aus Perspektive der Menschenrechte nicht beurteilbar, inwieweit Angststörungen bzw. private Aversionen von Nicht-Muslimen die Religionsfreiheit von Muslimen einschränkt. (Ein Mangel an Differenzierungsvermögen bietet natürlich eine günstige Voraussetzung für Stigmatisierung und Ausgrenzung, muss aber nicht zwangsläufig dazu führen.)
  2. Wenn der Begriff Islamophobie auch die „Schariaphobie“ inkludiert, bezeichnet er die begründete Ablehnung einer streng konservativen Islamauslegung mit rigidem Staats- und Rechtsanspruch, der das westliche Demokratieverständnis infrage stellt. Bei der Identifikation von „Islamophoben“ bleibt es daher unklar, ob solche den Islam als religiösen Glauben oder aber als politisches Rechtssystem kritisieren. Damit eignet sich der Islamophobie-Begriff wiederum hervorragend zur Verunglimpfung von politisch Andersdenkenden. 
  3. Wenn der Islam tatsächlich als „Rasse“ aufgefasst werden soll, wie es Hafez mit seiner Definition von Islamophobie als „anti-muslimischer Rassismus“ andeutet, dann heißt das umgekehrt, dass kein Moslem seinen Glauben wechseln kann ohne sein Leben zu verwirken. Denn ein Mensch kann seine Rasse per definitionem nicht wechseln. In der islamischen Welt nützt das faschistoide Konzept eines „anti-muslimischen Rassismus“ viel mehr den Radikalen (Taliban, Wahabiten, Salafisten, Ajatollahs) als den Gemäßigten. Denn moderate Gläubige, Reformtheologen, Apostaten oder liberale Intellektuelle können ohne weiteres als Islamophobe, das heißt Volksverräter, überführt werden, wenn deren Zugang zum Islam als „unislamisch“ oder gar „westlich“ beurteilt wird. Wenn das „Muslimsein“ mit der Geburt definiert ist, kann letzten Endes kein Recht geltend gemacht werden, den persönlichen Glauben frei zu praktizieren, zu wechseln oder aufzugeben. Auf diese Weise wird die „Rasse“ eines Moslems von seiner kontingenten religiös-politischen Autorität fremdbestimmt.

Hafez‘ Islamophobie-Begriff als Ausdruck von „Rassismus“ verwischt den Unterschied zwischen mündigem Glauben und biologischer Genetik und mutiert hemmungslos zum Totschlag-Argument im Zeichen islamistischer Identitätspolitik.

4. Die Kopftuchdebatte entschärfen

Kopftuchgegnern einen islamophoben Rassismus vorzuwerfen, entspricht also einer akut mangelhaften Diskussionskultur. Zudem werden Argumente pro und contra Kopftuch sowohl innerhalb als auch außerhalb des islamischen Kontextes kontrovers diskutiert. Abgesehen davon, dass das Tragen eines Kopftuches kein allgemein zwingendes Erfordernis muslimischer Glaubenspraxis darstellt, sehen manche Muslima in diesem ein Symbol der Unterdrückung (Ayaan Hirsi Ali), und andere wiederum ein Symbol der Freiheit (Khola Maryam Hübsch oder Carla Amina Baghajati). Es sei angemerkt, dass letztere in der Regel in Ländern leben, wo im öffentlichen Raum ohnehin volle Freiheit hinsichtlich den persönlichen Kleidungsvorlieben von Frauen und Männern herrscht.

Abseits der Pauschalverunglimpfung von Muslimen (blau) und der tendenziell naiven Verharmlosung des politischen Islams (grün), gibt es noch die Wirklichkeit, die weniger aus mentalen Schubladen und umso mehr aus vielschichtigen sozio-historischen Kontexten besteht. Frei vom Zwang, sich einem politisch binären Weltbild unterordnen zu müssen, dürfen sich liberal Denkende den Luxus leisten, gründlich zu recherchieren, rational zu argumentieren und sich abseits medial vorgegebener Schablonen eine Meinung zu bilden.

Ein eleganterer Weg, für die Entschärfung der Kopftuchdebatte einzutreten, wäre es die Selbstbestimmung der individuellen Frau in den Mittelpunkt zu stellen und die universale Religionsfreiheit als Grundrecht aller Menschen zu betonen. Vom liberalen Standpunkt aus rechtfertigt die subjektive Wertigkeit eines religiösen Identitätsmarkers allein noch nicht dessen Einschränkung. Stattdessen müssen die Prinzipien der individuellen Mündigkeit, der Glaubensfreiheit, und der Gleichheit aller Religionen vor dem Gesetz als Rahmenbedingung für Kopftuchdiskurse und dergleichen gesteckt werden.

Auf diesem Weg kann man frei von ideologischem Zynismus oder rassistischen Unterstellungen für die Wahlfreiheit in dieser Sache appellieren. Doch während Liberale entspannt mit dem Prinzip der Freiheit für das Recht zum Kopftuch argumentieren können, arbeitet Hafez als professioneller Provokateur mit der polarisierenden Rhetorik des politischen Islams.

Dominic Zoehrer hat Religionswissenschaft an der Universität Wien studiert und ist derzeit als Berater bei Human Rights Without Frontiers in Brüssel tätig.

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