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Warum ich mich an der Bundespräsidentenwahl nicht beteiligt habe

Wenn man die Institution des Bundespräsidenten nach der aktuellen Verfassungsrechtslage bejaht (was ich, wie auszuführen sein wird, allerdings nicht uneingeschränkt teile), so ist der Wahlsieger Van der Bellen ohne Zweifel der „präsidiablere“ Repräsentant unseres Landes als der unterlegene Hofer. Insofern bestätigt dieses Wahlergebnis – wie viele andere auch – eine nach meiner Erinnerung meinem akademischen Lehrer der 1970er Jahre, Egon Matzner, zuzuschreibende Formulierung, dass das Volk nicht so dumm sei, wie es die Politiker glauben. Hinzuzufügen wäre wohl „… und Mainstream-Journalisten sowie Meinungsforscher [glauben]“. Insofern ist das Wahlergebnis „systemimmanent“ betrachtet, auch ohne meine Beteiligung ein gutes geworden und als solches einzuschätzen.

Warum ich dennoch nicht zur Wahl hingegangen bin: Aus zwei Gründen:

Erstens: Diese Wahl hat wie kaum eine andere davor regionale und soziale Gegensätze im Wahlverhalten aufgezeigt. Ob diese zu einer bleibenden Polarisierung oder gar Spaltung unseres Landes beigetragen haben oder wenigstens Indiz einer solchen Spaltung sind, kann wohl noch nicht abschließend beurteilt werden. Jedenfalls aber wollte ich durch eine Stimmabgabe zu Gunsten eines der beiden Stichwahlkandidaten nicht auch noch zu einer Vertiefung allfälliger Spaltungstendenzen beitragen.

Man wird wohl lange daran zu arbeiten haben, entstandene Gräben wieder einigermaßen zuzuschütten. Dafür bedarf es wohl mehr als die Ankündigung des Wahlsiegers, dies auch ernsthaft tun zu wollen. Die Analyse der nach regionalen und sozialen Kriterien aufbereiteten Wahlergebnisse lässt aber leichten Optimismus aufkommen, dass die befürchtete Spaltung doch nicht so randscharf ausgefallen sein könnte wie befürchtet. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, an der Überwindung deutlicher Polarisierungstendenzen umso ernsthafter zu arbeiten, weil Österreich nunmehr mit den damit zusammenhängenden populistischen Tendenzen – anders als bei dem in der Vergangenheit stets belächelten sprichwörtlichen Nachhinken hinter internationalen Phänomenen – auf der internationalen Populismusskala nicht nur im Trend liegt, sondern diesen sogar anführt.

Zu dieser Polarisierung haben beide Kandidaten der Stichwahl beigetragen, der eine (VdB) weniger als der andere (Hofer), wobei die Quelle der hässlich(st)en Entgleisungen weniger den Kandidaten selbst (abgesehen vom letzten TV-Auftritt Hofers), sondern ihrem zum Teil undurchschaubaren Umfeld zuzuschreiben ist. Dieses Umfeld setzte sich aus einem breiten Spektrum von Unterstützungskomitees, Statements mehr oder weniger respektabler Persönlichkeiten, ehrlich Besorgten, aber auch von Gutmenschendarstellern und selbsternannten Vertretern eines „gnadenlos Guten“ (der Begriff geht auf den Schriftsteller Antonio Fian zurück), verbunden mit zum Teil großzügigem finanziellen Sponsoring, andererseits aber auch begleitet von skurrilen verschwörungstheoretischen, großteils auch primitiven Hass-Postings im Netz, zusammen.

Dass dabei die Grenzen von Logik und Unlogik, Wahrheit und Lüge, plakativen mehr oder weniger witzigen Sprüchen und Hetze verwischt wurden, ist in solchen Konstellationen leider „normal“, andererseits aber demokratiepolitisch verheerend und höchst bedenklich, weil die demokratische Kultur und den sozialen Zusammenhalt gefährdend. Ich sehe dabei von Einzelaktionen aus der gewaltbereiten Antifa-Anarchistenszene ab, die VdB sicher nicht willkommen waren und deren demokratisches Bewusstsein ja soweit „geschärft“ zu sein schien, dass sie auch noch glaubten, nach der Wahl randalierend gegen Hofers Wahlergebnis protestieren zu müssen. Vergleichbare Aktionen von der rechtsradikalen Szene gegen VdB’s Wahlsieg wurden nicht berichtet.

Fast schon tragisch erscheint mir, dass dabei ein im Prinzip immer bedächtig, ja fast schon sanftmütig sowie ausgewogen „professoral“ auftretender und differenziert argumentierender Mensch wie VdB involviert war (um nicht zu sagen: sich durch seine Bereitschaft zur Kandidatur instrumentalisieren ließ) und damit zu dieser Polarisierung (ungewollt) beigetragen hat. Sie wäre vermutlich nicht in der Intensität aufgetreten, wenn es in der Stichwahl zu einer Paarung Griss/ Hofer gekommen wäre. So betrachtet, wäre es eine staatsmännische Geste gewesen, wenn er von vorneherein von einer Kandidatur Abstand genommen hätte, um nicht zu dieser Polarisierung beizutragen. Diese war freilich vielleicht zu dem Zeitpunkt, als er sich zur Kandidatur entschied, noch nicht absehbar.

Ich kenne Sascha VdB persönlich seit den Anfängen unserer an verschiedenen Orten begonnenen akademischen Karriere, wir sind Fach- und auch Jahrgangskollegen (wie übrigens auch der Nationalbank-Chef Ewald Nowotny) und ich habe am Beginn seiner Wiener Jahre (noch vor Antritt seiner Professur an der Wiener Fakultät 1980) mit ihm in den 1970er Jahren in der Beamtenausbildung an der damals neu errichteten Verwaltungsakademie des Bundes im Schloss Laudon zusammengearbeitet. Nachdem er 1994 in die Politik gegangen war, hatte ich aber keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihm.

Seit ihrem Auftreten nach Auslaufen und Verblassen der Kreisky-Ära und dann auch noch in VdB’s Zeit seiner führenden Funktion bei den Grünen habe ich diese damals innovative Gruppierung gewählt, bis dann (2008 und 2013) neue Gruppierungen aufgetreten sind. Insofern habe ich in meinem Wahlverhalten stets Newcomer unterstützt, sofern sie ein akzeptables Programm präsentiert haben. Und in den Anfangsmonaten ihres parlamentarischen Daseins 1986, als es darum ging, die Übernahme des Vorsitzes im Rechnungshofausschuss des Nationalrats durch die Grünen vorzubereiten, habe ich sie (damals noch als Mitarbeiter des Rechnungshofes) beratend unterstützt.

Während sich VdB’s Persönlichkeitsstruktur in der Politik bis zur Kandidatur um das höchste Amt der Republik – anders wie sonst bei vielen Politikern der Fall – nicht deformiert hat, sind aus dem Präsidentschaftswahlkampf doch einige Dinge kritisch festzuhalten, wie unten noch ausgeführt wird. Das begann bereits mit der ersten Internet-Selbstdarstellung aller Kandidaten am Beginn der ganzen Wahlkampfprozedur vor einem Jahr. Meinem Eindruck nach hatte dabei Frau Griss, was die klare Darstellung ihrer Vorstellungen von der Führung dieses Amtes angeht, die beste Figur gemacht, während alle anderen Kandidaten inhaltsleere, bisweilen auch lieblos anmutende Routine-Leerformeln herunterbeteten, darunter auch VdB (wenn auch in einem etwas origineller inszenierten optischen Ambiente), was ich besonders enttäuschend empfand.   

Zweitens: Der gravierendere Grund meiner Wahlabstinenz besteht jedoch darin, dass ich nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der EU-Mitgliedschaft einen – wenn auch republikanisch konnotierten und zeitlich auf die Wahlperiode begrenzten – Ersatzmonarchen bzw. eine republikanisch verschleierte monarchistische Reminiszenz für historisch überholt und staatsrechtlich redundant halte, gerade wenn man an einen der zahlreichen Fälle typisch österreichischer Selbstbelügung denkt – hier an das Auseinanderklaffen der demokratiepolitisch bedenklichen Kompetenzen dieses republikanischen Ersatzmonarchen zwischen der geschriebenen Formalverfassung und der praktizierten Realverfassung.

Eine zweifellos notwendig Repräsentativfunktion der Republik nach außen und eine noch wichtigere Moderatorenfunktion so eines Organs nach innen zur Überwindung von Polarisierungen könnte genauso gut durch ein Rotationsmodell nach Schweizer Vorbild gewährleistet werden. Abgesehen davon wäre zu fragen, ob die Bezeichnung „Bundespräsident“ überhaupt die logisch konsistente, also korrekte Bezeichnung für so eine Funktion wäre, weil die Republik bekanntlich nicht nur aus den Gebietskörperschaften Bund, sondern auch aus den Ländern und Gemeinden besteht (abgesehen von Selbstverwaltungskörpern wie den Sozialversicherungsträgern), ferner sich nicht nur aus der exekutiven (vollziehenden) Gewalt aller dieser Ebenen, sondern auch aus der legislativen (gesetzgeberischen, also parlamentarischen) und der judikativen (rechtsprechenden) Gewalt zusammensetzt.

Ich habe alle diese Fragen bereits in einem anlässlich der Bundespräsidentenwahlen 2004 in der „Presse“ veröffentlichten Gastkommentar (Bundespräsident oder Republikpräsident?) angesprochen[1] und dabei vorgeschlagen, das Rotationsmodell nicht nur wie in der Schweiz auf die Mitglieder der Bundesregierung zu beschränken, sondern auch auf die Landeshauptleute, die Parlamentspräsidenten und die Präsidenten der drei Höchstgerichte auszudehnen. Die Idee, es (ausschließlich) auf die Landeshauptleute zu beschränken, was historisch mit der Entstehung der Republik aus den Ländern heraus zweifellos zu rechtfertigen wäre, stammt im Übrigen ebenfalls von Egon Matzner.

Mittlerweile trete ich freilich – nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der EU-Mitgliedschaft – für die Abschaffung des potemkinschen Dorfes eines österreichischen Föderalismus ein, weshalb die Landeshauptleute und damit auch der mit ihnen abzuschaffende Bundesrat mit seinem Präsidium aus dem Kreis präsidiabler Kandidaten herausfallen würden.

Meine damaligen Argumente beruhten zum einen auf einem Vergleich mit den großen deutschen Bundesländern, die jeweils eine größere Einwohnerzahl als die Republik Österreich und auch wesentlich umfangreichere Kompetenzen als die österreichischen Bundesländer aufweisen, in sich aber zentralistisch mit Regierungsbezirken konstruiert sind. Im Fall der Abschaffung unserer Bundesländer würden somit die Aufgaben der Ämter der Landesregierung an den bestehenden Standorten auf Regierungsbezirke als regionalisierte Bundesbehörden übergehen.

Zum anderen liegt die ungleich gewichtigere Begründung, für die Abschaffung der Bundesländer zu plädieren, darin, dass die österreichischen Landesfürsten Geld ausgeben, für dessen Aufbringung sie – abgesehen von den alle fünf Jahre stattfindenden Verhandlungen mit dem Bund zwecks Aufteilung des gesamtstaatlichen Steuerkuchens via Finanzausgleich – politisch nicht verantwortlich sind, weil sie sich ja (großteils) weigern, so unpopuläre Maßnahmen wie Steuern auf Landesebene einzuführen.

Abgesehen davon tragen die zahllosen Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung zwischen Bund und Ländern (besonders augenfällig im Bildungsbereich) absolut nicht zu einer effizienten Staatsverwaltung bei und die länderweise differenzierte Gesetzgebung in Randbereichen wie Jagdwesen oder Baurecht eignet sich absolut nicht mehr, um als Bannerträger und Rechtfertigung eines potemkinschen Dorfes namens Föderalismus herhalten zu können.

Sachlich gebotene regionale Differenzierungen könnten wohl zumindest genauso gut auch berücksichtigt werden, wenn die betreffenden Materien bundesgesetzlich zu regeln wären. Unabhängig davon ist es wohl sachlich (besser gesagt: logisch) kaum zu rechtfertigen, dass existenziell wichtige Materien wie die Mindestsicherung je nach Bundesland unterschiedlich gestaltet werden können.

Die legitimatorische Basis, so einen Föderalismus noch zu rechtfertigen, ist daher äußerst fragwürdig geworden. Geradezu skurril und paradox erscheint es daher, dass in der Realverfassung die Landeshauptleute von der schwarzen, aber auch von der roten Reichshälfte, die aber nach aktuellen Meinungsumfragen österreichweit mittlerweile jeweils nicht einmal mehr ein „Reichsviertel“ verkörpern, angesichts der realen Machtbasis ihrer regionalen Parteisekretariate immer noch so zu agieren scheinen, als ob sie sich eine Bundesregierung (oder jedenfalls einzelne Mitglieder davon) nach ihrem Gutdünken aussuchen und nach jeweils vorherrschenden regionalen Opportunitätsgesichtspunkten halten können.

Mit der Abschaffung der Bundesländer würde sich der Kreis der im Rotationsweg zum Zuge kommenden Kandidaten für eine Präsidentschaftsfunktion somit einschränken auf – meinetwegen drei – Mitglieder der Bundesregierung, die man auf Kanzler, Vizekanzler und Außenminister beschränken könnte, sowie auf die drei Nationalratspräsidenten und die Präsidenten der drei Höchstgerichte. Dieser „Neunerrat“ würden quasi ein kollektives Staatsoberhaupt bilden, das aber als Gremium nur beratende Kompetenz hätte, also eine Art „Staatsrat“ (was angesichts der gleichlautenden DDR-Nomenklatur freilich ein belasteter Begriff wäre, auch wenn es inhaltlich etwas völlig anderes verkörpern würde).

Dieses Gremium hätte dann aus seiner Mitte im Rotationsweg einen „Vorsitzenden“ zu nominieren, der die Funktion eines Staatsoberhaupts, also Präsidenten der Republik, für eine Jahresperiode (oder auch länger) nach außen ausübt. Neben der Repräsentation nach außen käme diesem Präsidenten der Republik nach innen im Wesentlichen (nur) eine Moderatorenfunktion nicht zuletzt bei der Regierungsbildung zu, wobei er durch die übrigen Mitglieder dieses „Staatsrats“ beratend zu unterstützen wäre.

Die Moderation würde sich dann eben nicht darin äußern, dass wie nach geltender Verfassungsrechtslage eine dem Präsidenten genehme Person mit der Regierungsbildung beauftragt werden kann, sondern stattdessen die Regierungsbildungsmöglichkeiten zunächst ausgleichend in diesem „Staatsrat“ beraten werden, bevor sie dem Nationalrat zur Bestätigung vorgeschlagen werden. Alle anderen Ernennungsbefugnisse blieben, wie in der bestehenden Rechtslage vorgesehen, unverändert, also an Vorschläge der dafür zuständigen Organe gebunden.

Dadurch würden jene Machtphantasiespielchen, zu denen sich beide Kandidaten der Stichwahl im Wahlkampf wortreich hinreißen ließen, überflüssig, zumal diese von der österreichischen Realverfassung erstens entweder ohnedies unterlaufen werden können (Beispiel: das Austricksen von Klestil durch das Duo Schüssel/ Haider 2000) oder zweitens auf eine manifeste Staats- und Verfassungskrise hinauslaufen würden, wenn man gegen die ungeschriebenen Gesetze der Realverfassung mit dem zu spielen begänne, was die Formalverfassung abstruser- oder gar absurderweise (immer noch) hergibt und worüber man sich nach dem präpotenten Hofer-Sager in der Tat hätte wundern können, was alles (hinzuzufügen wäre: nach der Formalverfassung) möglich ist, nach der Realverfassung aber als potenziell gefährlich einzustufen wäre.

Mit dem ersten meine ich die VdB-Ankündigung, bei einer zu erwartenden relativen FP-Mehrheit dieser Partei keinen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen und sie schon gar nicht angeloben zu wollen (was dann dergestalt abgeschwächt wurde, dass dies an Bedingungen insbesondere bezüglich der EU-Akzeptanz geknüpft wäre). Wie die Klestil-Erfahrung zeigte, kann dies, ohne damit die Verfassung zu verletzen, unterlaufen werden, indem man – umgangssprachlich gesagt – den Präsidenten ganz legal und verfassungskonform sowie via TV-Berichterstattung deutlich sichtbar „deppert sterben lässt“, wenn man mit einer vom Präsidenten nicht goutierten Regierungskonstellation die realistische Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit hat.

Mit dem zweiten meine ich die ungleich problematischere Hofer-Aussage, eine nach seiner Auffassung vermeintlich unfähige Regierung zu entlassen. Der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner, beschrieb in diesem Kontext die Kompetenzen des Bundespräsidenten nach der österreichischen Formalverfassung wie folgt (zitiert nach Christa Zöchling, Macht und Einfluss des Bundespräsidenten, Profil, 22.4.2016):

Diese sind so gewichtig, „dass er die Republik jederzeit mit vier aufeinanderfolgenden Entschließungen in eine ganz andere Lage bringen kann. Dazu hätte er bloß mit der ersten Entschließung (über die er allein entscheiden kann, Anm. der Profil-Redaktion), die gesamte Bundesregierung zu entlassen, mit der zweiten eine ihm genehme Person als Bundeskanzler zu bestellen (worüber er ohne Rücksicht auf die Chancen, dafür im Nationalrat eine Mehrheit zu finden, allein entscheiden kann, Anm. P.H.), mit der dritten auf Vorschlag dieses Bundeskanzlers die übrigen Bundesminister [zu ernennen] und mit der vierten auf Vorschlag dieser neuen Bundesregierung die Auflösung des Nationalrats zu verfügen.“

Dies alles, noch bevor der Nationalrat diese Entschließungskette mit einem Misstrauensvotum gegen die solcherart neu berufene Regierung unterbrechen könnte, um diese damit abzuberufen. Das wäre aber wohl ohne Zweifel fast schon eine putschartig herbeigeführte Staats- und Verfassungskrise. Ein so handelnder Bundespräsident müsste freilich damit rechnen, dass das Volk nicht mitspielt, indem es bei den dann auszuschreibenden Neuwahlen die alten Mehrheitsverhältnisse und damit unter Umständen auch die ursprünglichen Regierungsbildungskonstellationen bestätigt.

Auch wenn es unwahrscheinlich erscheinen mag, dass ein Herr Hofer eine derartige Verfassungskrise mutwillig oder auch nur fahrlässig herbei(ge)führt hätte und seine Ankündigungen wohl eher als vollmundiges Maulheldentum seiner Wahlkampfrhetorik abgetan werden sollten, wäre es durchaus berechtigt erschienen, angesichts der potenziell durch die Formalverfassung, also legal sozusagen als Damoklesschwert, einsetzbaren Befugnisse VdB zu wählen, weil er glaubwürdig explizit oder auch nur konkludent zu erkennen gegeben hatte, diese Befugnisse nicht in Anspruch zu nehmen. Dies hätte aber nichts daran geändert, dass diese problematischen und potenziell gefährlichen Befugnisse weiterhin in der Formalverfassung verblieben wären. Definitiv wäre dies somit nicht durch eine Wahlentscheidung zu Gunsten von VdB, sondern ausschließlich durch eine Verfassungsänderung zu unterbinden, womit das Problem an der Wurzel gelöst wäre, und zwar nur dadurch.  

Wenn man also diese Machtspiele bzw. Machtphantasien ablehnt, was ganz ohne Zweifel absolut berechtigt wäre, weil sie unterlaufen werden können (im ersten Fall) bzw. die Republik in eine existenziell bedrohliche Staatskrise stürzen würden (im zweiten Fall), sollte man konsequenterweise eben die Verfassung ändern, um mit Abschaffung dieser problematischen Kompetenzen diese Möglichkeiten auszuschließen. Dazu bedarf es aber einer Verfassungsmehrheit (zwei Drittel-Zustimmung des Nationalrats). Geschähe dies, würde dann allerdings die legitimatorische Notwendigkeit einer direkten Volkswahl des Staatsoberhaupts wegfallen. Auch dies wäre ein nicht unwesentlicher Grund, auf eine andere Bestellungsprozedur des Staatsoberhaupts überzugehen und dieses Amt in seinen Kompetenzen, wie oben skizziert, entsprechend einzuschränken.

Fazit (samt Ausblick auf die Sinnhaftigkeit europäischer Wahlen):

Ich nehme an Wahlen für Institutionen, die ich aus demokratiepolitischer Sicht konstitutionell (verfassungsbegründend) nicht mehr für notwendig halte, nicht mehr teil. Dies gilt für den österreichischen Bundespräsidenten, aber auch für das Europäische Parlament (EP). Dieses Prinzip habe ich freilich im ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl zu Gunsten meines anderen oben erwähnten Prinzips, rational argumentierenden Newcomern eine Chance zu geben, noch nicht eingehalten, indem ich meine Stimme Frau Griss gegeben habe.

Die Nichtteilnahme an den EP-Wahlen begründe ich damit, dass die EU nach derzeitigem Integrationsstand einen seltsamen Hybrid verkörpert. Sie ist nicht mehr internationale Organisation, andererseits aber noch nicht Staat, und sie wird nicht nur nach der derzeitigen politischen Stimmungslage in den Mitgliedstaaten, aber auch unabhängig davon angesichts nach wie vor dominanter nationaler Egoismen einerseits und mangelnder Zustimmungsbereitschaft der europäischen Völker andererseits, soweit diese im Wege von Referenden überhaupt je gefragt werden sollten, auf (un)absehbare Zeit auch kein Staat werden. (In Österreich bedürfte es dazu wegen der damit verbundenen Gesamtänderung der Bundesverfassung bekanntlich zwingend einer Volksabstimmung.)

Es verwundert daher nicht, dass die Europarechtsexperten für dieses seltsame Gebilde noch nicht einmal einen juristisch exakten und zugleich einprägsamen Begriff gefunden haben.

Diesem Hybrid sind nun freilich im Laufe der Zeit vertraglich (also contrario actu widerrufbar) immer mehr und immer bedeutendere Staatsaufgaben übertragen worden, wobei die Souveränität allerdings nach wie vor bei den übertragenden Mitgliedstaaten verblieben ist, was die vorbehaltslosen EU-Fans und europäischen Gutmenschendarsteller in Politik und Medien geflissentlich übersehen, also wider besseres Wissen schlicht unter den Tisch fallen lassen, sofern man zynischerweise nicht gleich unterstellt, dass sie vielleicht zu dumm sind, um die Komplexität des Prozesses der europäischen Integration zu verstehen.

Gerade die rechtlich denkbare, wenn auch faktisch eher unwahrscheinliche Widerrufbarkeit von der EU übertragenen Aufgaben ist ein wesentliches Kriterium dafür, dass die EU kein souveränes Gebilde wie ein Staat ist, dem Allzuständigkeit zu kommt, und Allzuständigkeit als zentrales Souveränitätsmerkmal bedeutet eben Selbst-Definitionsrecht des Staates, was seine Kompetenzen angeht. Genau dies hat die EU nicht. Daran ändert auch nichts, dass die der EU vertraglich übertragenen Befugnisse rechtlich uneingeschränkten Geltungsvorrang vor einzelstaatlichem Recht jeder Stufe haben. In der politischen Alltagsdiskussion und in der Medienberichterstattung ist in diesem Zusammenhang demgemäß stets die Standardaussage zu hören, dass der EU „Souveränität übertragen worden“ sei. Dies ist unrichtig. Es wurde ihr gerade nicht Souveränität übertragen, sondern in jedem Einzelfall nach dem Prinzip der „begrenzten Einzelermächtigung“ ‚lediglich‘ Kompetenzen (also qualitativ etwas anderes), wobei – um es nochmals zu wiederholen - die Souveränität ungeteilt bei den Mitgliedstaaten verblieben ist.

Die einzige Restriktion einer uneingeschränkten Souveränitätsausübung der Mitgliedstaaten besteht darin, dass als Folge des Beitritts zur EU, also in den Geltungsbereich des EU-Vertrags, die eben erwähnte Widerrufbarkeit von Kompetenzübertragungen an die EU einer einvernehmlichen EU-Vertragsänderung bedarf. Das könnte freilich (theoretisch) unterlaufen werden, indem ein widerrufswilliger Mitgliedstaat eine Exitstrategie, also die Aufkündigung des Vertrages durch Austritt, ins Spiel bringt.

Dies alles führt zu folgender seltsam anmutender Definition: Demnach ist die EU mangels Souveränität staats- und völkerrechtlich als Nichtstaat, ökonomisch hingegen durchaus als Staat und schließlich europarechtlich durch die EU-Verträge (in Relation zu den Mitgliedstaaten) gewissermaßen sogar als Überstaat anzusehen. Der in Deutschland lehrende österreichische Staatsrechtslehrer Georg Jellinek hat vor rund 100 Jahren den Begriff „nichtsouveräner Staat“ gebildet. Er trifft genau dieses labile Zwischenstadium der europäischen Integration nach derzeitigem Stand und den daraus folgenden Hybridzustand dieses Gebildes.

Um diesen seltsamen Status doch noch mit einem „Souveränitätsmäntelchen“ kleidsam zu machen, wird in der neueren politologischen Literatur verschiedentlich der Begriff „transnationale Souveränität“ für die EU gebraucht. Er wird dementsprechend bereitwillig von der herrschenden politischen Klasse der EU aufgegriffen, um den Vorrang von EU-Interessen vor nationalen Interessen zu betonen und Renationalisierungstendenzen anzuprangern. Dabei wird übersehen, dass es sich um einen Kunstbegriff handelt, eine (europa)-politische Wortschöpfung, durch die der Souveränitätsbegriff nach der Völkerrechtslehre und -praxis sowie der Staatsrechtslehre freilich nicht außer Kraft gesetzt werden kann.  

Aus all dem ist zu folgern, dass die legitimatorische Basis europäischen Handelns demokratisch nach wie vor bei den souveränen Mitgliedstaaten anzumahnen und geltend zu machen ist. Es fehlt somit unter diesem Gesichtspunkt die demokratiepolitische Rechtfertigung für ein direkt gewähltes EU-Parlament, nicht zuletzt, weil die EU eben verfassungsrechtlich kein Staat ist. Für eine parlamentarische Kontrolle, die unbestreitbar auch auf europäischer Ebene notwendig ist, würde daher eine Delegiertenversammlung, beschickt von den mitgliedstaatlichen Parlamenten, wie sie vor der Einführung der Direktwahl des EU-Parlaments bis 1978 bestanden hat, völlig ausreichen. Ja, sie wäre sogar effizienter und angesichts der noch relativ hohen Wahlbeteiligung auf nationaler Ebene demokratisch ungleich besser legitimiert als ein direkt gewähltes EP, weil die aus den nationalen Parlamenten delegierten Mitglieder dieser Versammlung ohne Zweifel volksnäher sind als die in Brüssel und kurioserweise auch in Straßburg fern der Heimat und dementsprechend basisentrückt agierenden parlamentarischen Selbstdarsteller.

Die Legitimationsbeschaffung wäre damit dort angesiedelt, wo sie angesichts der nach wie vor aufrechten mitgliedstaatlichen Souveränität notwendig ist, nämlich bei den nationalen Parlamenten. Wenn nun die Proponenten des europäischen Gutmenschentums dies als Renationalisierungstendenz und Rückgängigmachung von Errungenschaften der europäischen Integration anprangern, diffamieren sie damit die nationalen Parlamente als Träger der demokratischen Willensbildung und Repräsentanten des nationalen Souveräns. Sie übersehen damit zugleich, dass es einen europäischen Souverän (noch) nicht gibt und wohl auch auf (un)absehbare Zeit nicht geben wird.

Längerfristig zur Entstehung eines europäischen Souveräns, eines europäischen demos (Gemeinschaftsvolk als wesentliches Staatsmerkmal), alles Denkmögliche beizutragen, ist zweifellos ein löbliches Unterfangen. Ob dazu allerdings ein mit einer Wahlbeteiligung von unter 50% direkt gewähltes Parlament eines „Noch-nicht“-Staates etwas beizutragen vermag, bezweifle ich. Eine naheliegende Gelegenheit, einem europäischen demos als pouvoir constituant (direkt-demokratische Legitimierung einer Verfassungsgebung durch Volksabstimmung) Geltung zu verschaffen, ließ man verstreichen, indem man weder einen Konsens noch den Mut fand, den 2004 unterschriebenen EU-Verfassungsvertrag (der in den nationalen Volksabstimmungen Frankreichs und der Niederlande gescheitert ist) und auch den nach einer „Reflexionsphase“ überarbeiteten und leicht modifizierten Nachfolgevertrag in Gestalt des Ende 2007 unterzeichneten „Reformvertrages“ (besser bekannt als Vertrag von Lissabon) einer gesamteuropäischen Volksabstimmung zu unterziehen (wofür freilich entsprechende rechtliche Vorkehrungen zu treffen gewesen wären).

Man sollte im Übrigen unabhängig von der hier relevierten Souveränitätsfrage darüber nachdenken, ob „Großparlamente“ wie das EU-Parlament allein schon wegen ihrer Größe und der hohen Anzahl der von jedem Abgeordneten zu vertretenden Wähler überhaupt in der Lage sind, effektiv den Volkswillen ihrer Wählerschaft zu repräsentieren. Es wäre daher unter Umständen aus Effizienzüberlegungen, aber auch aus Gründen höherer demokratiepolitischer Effektivität überlegenswert, ab einer Bevölkerungszahl von etwa jener Deutschlands (rd. 80 Mill.), also gerade im europäischen Kontext (bei einer Bevölkerungszahl rd. 500 Mill.), generell von der direkten Wahl auf das Prinzip der Delegiertenversammlung überzugehen.

Dass das Volk bzw. die europäischen Völker in ihrer Gesamtheit auch hier nicht so blöd sind, wie es die Politiker glauben, zeigt sich gerade darin, dass bei einer Wahlbeteiligung von weit unter 50% (Tendenz weiter fallend) die Wahlabstinenzler bei den EP-Wahlen stets die absoluten Wahlsieger sind, was wohl einen demokratiepolitischen Super-Gau verkörpert und die Legitimation eines solcherart gewählten „Parlaments“, den europäischen Volkswillen zu repräsentieren, höchst zweifelhaft erscheinen lässt. Leider gilt dies im Übrigen tendenziell, aber (zum Glück noch) weniger ausgeprägt, auch auf nationaler Ebene. Seit der vorletzten Nationalratswahl haben bei vergleichsweise noch hoher Wahlbeteiligung die Nichtwähler gemeinsam mit den Ungültigwählern die relative Mehrheit „errungen“ und sind damit die „echten“ Sieger dieser Wahlen. Dieses demokratiepolitische Alarmzeichen blieb in der Medienberichterstattung weitgehend ausgeblendet.

Anders als bei den EP-Wahlen und bei den Bundespräsidentenwahlen wäre es bei den nationalen Parlamentswahlen daher zu empfehlen, keine Wahlverweigerung zu üben und im Fall der Unzufriedenheit mit den kandidierenden Parteien ungültig zu wählen. Damit wäre die Unzufriedenheit mit dem politischen Angebot deutlicher als Protestsignal gegen die vorherrschenden Zustände dokumentiert, als es bei einer Wahlabstinenz der Fall ist, die von der politischen Klasse und den Medien erfahrungsgemäß ignoriert wird.

Bei den Parlamentswahlen auf nationaler Ebene werde ich daher künftig die Stimmen der Ungültigwähler vermehren, sofern nicht wie 2008 und 2013 neue Gruppierungen auftreten und ein einigermaßen vernünftiges alternatives Programm als Kontrast zum Einheitsbrei der etablierten Parteien präsentieren. Des Risikos, dass diese Newcomer die Schwelle für eine Vertretung im Nationalrat entweder nicht schaffen (2008) oder sich in ihrer Entwicklung, insbesondere was ihre fast schon dogmatisierte EU-Anbetung angeht, sehr rasch als Enttäuschung entpuppen (2013), bin ich mir bewusst.

Peter Henseler ist Jurist, Ökonom und Universitätslehrer für Finanzwissenschaft (Öffentliche Wirtschaft). Nach einer Assistententätigkeit an der TU Wien (Fakultät für Raumplanung und Architektur) und Prüfungstätigkeit im österreichischen Rechnungshof im Bundesministerium für Finanzen in der Endphase der EU-Beitrittsverhandlungen und der anschließenden Vorbereitung der Währungsunion mit EU-Angelegenheiten befasst, war er zuletzt bis zur vorzeitigen Ruhestandsversetzung 2002 (aus politischen Gründen) als Vertreter des Ministeriums an der Österreichischen Ständigen EU-Vertretung in Brüssel und Delegierter im Haushaltsausschuss des EU-Ministerrats tätig.

[1] Damals hatte die „Presse“ noch einen (eher) konservativen Chefredakteur, Andreas Unterberger, der andererseits aber liberal genug war, um auch für nicht mainstream-konforme Meinungen aufgeschlossen zu sein. Heutzutage werden solche Meinungen von den pseudointellektuellen Machern der tonangebenden Mainstream-Schickeria-Medien in der Regel in den Papierkorb befördert. Dieses Schicksal wird aller Voraussicht nach auch diesem Beitrag widerfahren. Ich benütze den vom Mainstream verfemten, weil aus der Hofer’schen Wahlkampfrhetorik stammenden Ausdruck „Schickeria“ hier bewusst. Er wurde vielleicht gerade deshalb so verfemt, weil der Mainstream angesichts des Wahlerfolgs Hofers vor der Wahlwiederholung zahlenmäßig in die Minderheit zu geraten befürchtete. Genauso bewusst gebrauche ich in diesem Text den Ausdruck „Gutmensch“. Auch dieser ist als rechtspopulistischer Kampfbegriff gegen einen moralisierenden, vermeintlich politisch korrekten Sprachgebrauch von in der Regel selbsternannten Proponenten eines „gnadenlos Guten“ (Antonio Fian) verfemt – in meinen Augen zu Unrecht.    

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