Mitterlehners Fehleinschätzung, eine Enteignung und die FPÖ

Weil die ÖVP massiv Stimmen an die Freiheitlichen verliert, glaubt Mitterlehner im Überschwang der Wahl „seines“ Kandidaten Van der Bellen zum Bundespräsidenten, sich verstärkt von der FPÖ abgrenzen zu müssen. Eine kapitale Fehleinschätzung, denn die ÖVP verliert Wähler an die FPÖ, weil sie von Rot und Grün kaum noch unterscheidbar ist. Sie müsste sich vielmehr von SPÖ, Neos und Grünen abgrenzen, will sie Wählerverluste an die Freiheitlichen stoppen.

Doch wenn die FPÖ in entscheidenden Momenten auch fragwürdigste Beschlüsse des von ihr vielfach zurecht kritisierten „Systems“ mitträgt, könnte Mittlerlehners Glückssträhne anhalten. Denn dann kann man getrost bei der ÖVP bleiben.

Am Abend des 14. Dezember hat der Nationalrat die Enteignung des sogenannten „Hitlerhauses“ in Braunau beschlossen – mit den Stimmen der FPÖ, wo es lediglich ein paar Stimmenthaltungen gab, aber keine Gegenstimme. Noch Anfang Dezember hatte die FPÖ im Innenausschuss gemeinsam mit dem Team Stronach gegen die in einem liberalen Rechtsstaat hochproblematische Enteignung privaten Eigentums gestimmt, wie sie durch das bloß hypothetische Szenario eines abstrakt in der Zukunft liegenden möglichen Verkaufs der leerstehenden Immobilie an „rechtslastige Vereine“ keineswegs gerechtfertigt ist.

Ein solch „systemtreues“ Stimmverhalten der FPÖ ist nicht neu: Unter deren Justizminister Ofner wurde das Verbotsgesetz durch eine Verwaltungsstrafbestimmung erweitert. 1992 beschloss die FPÖ das Verbot der Leugnung von NS-Verbrechen mit, und erst 2014 stimmte sie einer massiven Erhöhung der Strafrahmen der erstgenannten Verwaltungsstrafbestimmung zu. Neu ist lediglich der offenbare „Umfaller“ in letzter Minute, wie man ihn sonst eher von der ÖVP kennt.

Schon der Präsidentschaftswahlkampf der FPÖ war ein Schlingerkurs: Zuerst trat Hofer als „Macher“ auf, um die im Kern strukturkonservativen Österreicher zu irritieren. Dabei hätte es, um mit dem ungeschriebenen „Grundkonsens“ der Zweiten Republik einer bloßen Duldung des nationalliberalen „dritten Lagers“ zu brechen, gereicht, das Amt – bloß als Freiheitlicher! – im Stile des Amtsvorgängers auszuüben.

Mit dem Gottesbezug („So wahr mir Gott helfe“) gab Hofer alle Macht symbolisch wieder aus der Hand, mag diese Formel auch der unerwarteten Wiedererlangung der Gehfähigkeit nach Hofers schwerem Sportunfall (als ein Art religiöses Erweckungserlebnis) geschuldet sein. Im nationalliberalen Kernmilieu konnte er damit nicht punkten. Hier trug die Formel eher zum Mobilisierungsproblem bei. Auch konnte sie Bedenken in Richtung einer nationalreligiös-autoritären Politikkonzeption stärken, wie sie europaweit auf dem Vormarsch ist (Russland, Ungarn, Polen, Türkei) und mit Bezug auf Russland und Ungarn unkritisch von der FPÖ unterstützt wird.

Als offenbar die Umfragewerte verhalten waren, wurde der FPÖ-Wahlkampf zuletzt wieder angriffig – und untergriffig. Van der Bellens Vater in den Wahlkampf hineinzuziehen, war nicht nur ein schweres Foul. Es zeigte überdeutlich, dass die FPÖ bereit ist, die „Nazikeule“ noch weitergehender zu verwenden, als ihre ideologischen Gegner sie jemals verwendet hatten. Womit sich der Kreis zum aktuellen Stimmverhalten wieder schließt.

Das alles sagt viel über eine mögliche FPÖ-Regierungsbeteiligung unter deren derzeitiger Führung. Eher würden unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Hass“ um solche wie „Kultur“ oder „Abendland“ erweitert, als dass Verbotsgesetz und Verhetzungsparagraph auf ein für eine liberale Demokratie erträgliches Maß zurückgeschraubt werden.

Hochachtung gebührt – neben den Abgeordneten des Team Stronach – hingegen Niko Alm sowie drei weiteren Mandataren der Neos, die aus liberalen Prinzipien gegen die Enteignung gestimmt haben. Hierdurch haben sie gezeigt, dass der Schutz privaten Eigentums über einem immer gefährlicher zum Selbstläufer aufgeblasenen „Antifaschismus“ und Antinationalsozialismus steht.

Wie sehr ein staatsdoktrinärer Antinationalsozialismus geeignet ist, Züge des NS-Staats zu übernehmen, sieht man gerade am „Hitlerhaus“: Dieses war schon einmal – nämlich von den Nationalsozialisten – den rechtmäßigen Besitzern weggenommen worden. Für die ÖVP als einstige Vertreterin privaten Eigentums kann diese neuerliche Enteignung nur beschämender sein – womit sich auch der Kreis zu Mitterlehner schließt.

Wagen wir eine Prognose: Mitterlehner verhindert tatsächlich Strache als Kanzler – doch weil die FPÖ sich ihrerseits als „Systempartei“ erweist und ihre ideologischen Kernschichten so nicht mobilisieren wird. Hält zugleich Kanzler Kern die rot-blaue Option geschickt offen, wird er nur gering an die FPÖ verlieren. Was resultiert, ist eine knapp vor der FPÖ und nur deutlicher vor der ÖVP liegende SPÖ. Woraufhin die ÖVP sich geschwächt in einer rot-schwarz-grünen Koalition wiederfindet. Doch nachdem ein grüner Bundespräsident als Erfolg der ÖVP gilt, wäre auch dies ein Mega-Erfolg der Mitterlehner-ÖVP.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

Zur Enteignung des „Hitlerhauses“ siehe auch die folgende Stellungnahme des Verfassers: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/SNME/SNME_07035/fname_538484.pdf 

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