Die Gräben werden immer tiefer

Das Gemeinsame vor das Trennende stellen, Brücken bauen, Ängste ernst nehmen, Hände reichen, Gräben zuschütten. Die Republik gleicht derzeit einer Selbsthilfegruppe. Solche Appelle und Phrasen werden vom neuen Bundespräsidenten abwärts inflationär verwendet. Politiker und Journalisten, die noch vor kurzem auf den politischen Gegner eingedroschen haben, haben plötzlich Peace-Zeichen in den Augen.

Eine gemeinsame gewaltige Kraftanstrengung und internationale Hilfe waren notwendig, damit das heimische Establishment noch einmal die Kurve kratzen konnte. Nun versucht die politische Elite mit viel Symbolik und paternalistischem Gehabe die mittlerweile beängstigend große Zahl an nichtlinken Systemkritikern zu beruhigen. In vielen der derzeit abgegebenen Statements schwingt auch Angst und Unbehagen mit. Das ist nachvollziehbar.

Denn der Preis, einen systemkonformen Kandidaten ins höchste Amt des Staates zu hieven, war hoch. Getrieben von der Angst vor dem Machtverlust wurde mit äußerst harten Bandagen, allerlei Untergriffen und sogar Verleumdungen wahlgekämpft. Man bediente sich genau jener Mittel, die man dem Gegner so gerne vorwirft: Angstmache und Hetze. Wenn Norbert Hofer Bundespräsident würde, dann würde das Dritte Reich wiederauferstehen, die Wirtschaft kollabieren und sich die Sonne verfinstern etc. Immer weniger Österreicher haben sich allerdings von diesen politischen Schauermärchen beeindrucken lassen. Es wurde viel Porzellan zerschlagen.

Jetzt, nachdem man mit knapper Not seine Ziele erreicht hat, einfach auf Kuschelkurs umzuswitchen, funktioniert nicht, vor allem, weil dieser Sinneswandel nicht ernst gemeint ist. Man beschränkt sich auf Gesten, realpolitisch hat man nicht vor irgendetwas zu ändern. Bundeskanzler Christian Kern beleidigt, wenige Tage im Amt, in guter alter SPÖ-Tradition Viktor Orban und Van der Bellen bekräftigt, egal wie die nächsten Nationalratswahlen auch ausgehen mögen, einen FPÖ-Kanzler würde er niemals angeloben. Man macht weiter wie bisher.

Nein, keiner hätte je gesagt, dass Hofer-Wähler Nazis seien, sagte etwa die ehemalige Grüne Monika Langthaler im ORF nach der geschlagenen Wahl, obwohl viele heimische Promis genau das getan haben. Man setzt auf das politische Kurzzeitgedächtnis der Österreicher. Manche behaupten nun, die Gräben seien ohnehin nicht so tief und man könne sie mit etwas gutem Willen wieder zuschütten. Nichts könnte falscher sein. Dazu reicht ein kurzer Blick in die Sozialen Netzwerke oder auf die Postings diverser Newsseiten.

Österreich ist tief gespalten und die gegnerischen Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Dieser Hass beruht auf Gegenseitigkeit und er hat sich nach der Wahl noch weiter verstärkt. Beide Seiten sind zutiefst davon überzeugt, dass die jeweils andere Seite Österreich in den Abgrund führen wird. Da kann man mit seichtem Jetzt-reichen-wir-uns-die-Hände-Geschwurbel á la Van der Bellen oder Schönborn nichts ausrichten.

Das Establishment unterschätzt das enorme Konfliktpotential und die freigewordenen gesellschaftlichen Fliehkräfte völlig. Die Regierung und die Einwanderungslobby haben diesen Graben quer durch die österreichische Gesellschaft während der Flüchtlingskrise aufgerissen, im Wahlkampf wurde er weiter vertieft. Österreich ist nicht mehr wie es war, auch wenn sich das die „Progressiven“ noch so sehr wünschen.

Der gegenseitige Hass hat beängstigende Züge angenommen. Da wird etwa von linker Seite versucht, die Hofer-Wähler zu Untermenschen zu degradieren. Das geschieht in Facebook-Postings ganz offen und direkt, die linken Mainstreammedien, Politexperten und Politiker machen das Gleiche, nur nicht ganz so plump. Da wird permanent darauf verwiesen, dass diese Menschen weniger gebildet sind, an Verschwörungstheorien glauben, Modernisierungsverlierer, Nazis und latente Rassisten, sprich dämliche Vollpfosten sind.

Es geht darum, den Bürger vor die Wahl zu stellen: Willst du zu den Versagern, Kretins und Untermenschen oder zu den intelligenten und wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft gehören? Du musst nur ab und zu das Kreuz an der richtigen Stelle machen, mehr braucht es nicht, um zu den Schönen und Guten zu gehören. Ein verlockendes Angebot. 

Wer will schon ein Kretin sein: „Es sind die hässlichsten Menschen Wiens, ungestalte, unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen, Trainingshosen, Leggins, Pickelhaut, schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe.“ Die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Journalistin Christa Zöchling beschreibt im „Profil“ den typischen FPÖ-Wähler. Dass diese Zeilen außer bei den Freiheitlichen niemanden aufgeregt haben, zeigt, dass Zöchling nur die in diesen Kreisen verbreitete Meinung wiedergegeben und die Verachtung, die man diesen Menschen entgegenbringt, gut skizziert hat.

Hetze betreiben immer nur die anderen. Das Beängstigende ist für diese Menschen nach der nur ganz knapp gewonnenen Stichwahl, dass ihnen plötzlich eine riesige Horde dieser unförmigen, stinkenden Untermenschen gegenübersteht. Immer mehr Österreicher wechseln die Seiten, trotz der von der politischen Elite errichteten Drohkulisse. Das System droht zu kippen. Das macht Angst, die Macht des Establishments erodiert in atemberaubender Schnelligkeit.

Und die bisherigen Strategien und Techniken greifen nicht mehr. Dabei ist es so simpel, seine Vorurteile und Ängste gegenüber diesen Aussätzigen zu bestätigen. Unter den Tausenden von Facebook-Postings findet man immer einige besonders schwachsinnige und dumme. Die ORF-Kamerateams spüren immer ein paar besonders hässliche und dumme FPÖ-Sympathisanten auf. Sich aus einer großen Menge die dümmsten Meinungen und Menschen herauszupicken, um damit die Beschränktheit der Hofer-Wähler beweisen zu wollen, mag zwar das Wir-Gefühl steigern und das eigene Ego anschwellen lassen, ist aber erstens dumm und zweitens genau jene Praxis, die Linke so gerne den Rechten vorhalten: Einzelfälle zu verallgemeinern. Was soll‘s, wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe.

Die Herabsetzung Andersdenkender zum Zwecke der moralischen Selbsterhöhung hat eine lange Tradition. Dass die Linke, oder genauer das linke Kleinbildungsbürgertum, die autochthone Arbeiterschaft und die „Modernisierungsverlierer“ dermaßen verachtet, ist einer der Hauptgründe für den Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie. Sie ist, wie der Präsidentschaftswahlkampf gezeigt hat, vor ihrem nahenden Ende zur Blockpartei der Grünen abgesunken. 

Diese Verachtung der Linken, die angesichts explodierender Staatsschulden und drohenden Machtverlusts selbst von immer größer werdenden Abstiegsängsten getrieben werden, hat mittlerweile erschreckende Dimensionen angenommen. Von der Degradierung zum Untermenschen á la Christa Zöchling bis zum Entzug von Bürgerrechten und Umerziehungslagern ist es nur ein kurzer Weg. Die Linke hat ein bekannt problematisches Verhältnis zu Gewalt und ihrer eigenen Vergangenheit, sie verehrt nach wie vor linke Massenmörder wie Lenin, Mao oder Che Guevara.

Auch das linke Establishment, also nicht der nur geifernde linke Facebook-Mob, verachtet die Rechten, Bürgerlichen und Konservativen. Die linken Spitzenpolitiker tun es nur mit etwas mehr Zurückhaltung. Selbstverständlich halten auch sie FPÖ-Wähler für dumm, verblendet, xenophob und von allerlei anderen irrationalen Ängsten getrieben. Wenn sie im paternalistischem Tonfall davon reden, die Ängste und Gefühle dieser unbedarften Menschen ernst zu nehmen oder sie dort abzuholen, wo sie sind – nämlich ganz unten –, dann schwingt darin sehr viel Verachtung und Abscheu mit. Man sagt damit recht unverblümt, dass man diese Gruppe für beschränkt und gefährlich hält. Diese geistigen Tiefflieger müssen von der linken Elite an der Hand genommen werden, damit kein Schaden entsteht.

Allerdings sind die FPÖ-Wähler nicht ganz so beschränkt, wie die Linken glauben. Solche „gut gemeinten“ Gesprächsangebote, die derzeit von vielen Seiten gemacht werden, bewirken das genaue Gegenteil. Sie vertiefen die Gräben und schüren nur noch mehr Hass.

Wie groß der Vertrauensverlust dieser vom Establishment permanent herabgewürdigten Menschen in das politische System mittlerweile ist, zeigt, dass viele von ihnen nicht einmal mehr die amtlichen Wahlergebnisse ernst nehmen. In den sozialen Medien ist derzeit viel von Wahlbetrug und Manipulation die Rede. Natürlich kann man sich, wie es viele Medien und Politbeobachter tun, darüber lustig machen. Doch man sollte sich einmal ernsthaft damit auseinandersetzen, welch weitreichende Folgen dieses tiefe Misstrauen für das Land, die Gesellschaft und das Zusammenleben hat.  

Ein immer größerer Teil der österreichischen Bevölkerung hat jedes Vertrauen in das politische Establishment, die Medien, die Justiz und andere staatliche Institutionen verloren. Unser politisches System wird nicht mehr kritisiert, sondern als Ganzes in Frage gestellt. Dieses verspielte Vertrauen kann das Polit-Establishment nur noch durch Taten zurückgewinnen. Es muss die Bedürfnisse und Interessen dieser Menschen ernst nehmen und nicht nur so tun als ob. Davon sind die seit der Präsidentenwahl fusionierten Parteien aber weit entfernt. Sie sind dazu vermutlich auch gar nicht mehr in der Lage. Eine gefährliche Entwicklung.

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen

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