Totgesagte leben länger - Einsatz für schulische Vielfalt

Kürzlich fragte mich eine Schülerin: Stimmt es, dass die Politiker in Österreich das Gymnasium abschaffen wollen? Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so einfach. Also antwortete ich: Einige hochrangige Politiker wollen das, andere sind dagegen. Jedenfalls droht dem Gymnasium Gefahr, weil es eine dem sogenannten Zeitgeist geschuldete Tendenz gibt, die Unterstufe zu beseitigen und eine Einheitsschule einzuführen, die dann „Gemeinsame Schule“ genannt wird. Die, die das Gymnasium in seiner bewährten Form erhalten wollen, müssen darum kämpfen. Das wird voraussichtlich ein langer und zäher Kampf!

Obwohl die Langform des Gymnasiums, gerade seine Unterstufe, nachweislich jene Schulform ist, die bei geringerem Finanzaufwand bessere Ergebnisse liefert, soll sie beseitigt werden, weil der Zeitgeist es so will. Die angeführten Argumente sind bekannt. Zwei davon sind, die Trennung von Gymnasiasten und Mittelschülern erfolge zu früh und die Chancengleichheit werde beeinträchtigt. Diese Argumente sind – genauso wie alle anderen, die in diesem Zusammenhang vorgebracht werden, – gut widerlegbar. Für Österreich gilt, dass mindestens die Hälfte aller Maturanten ihren Abschluss über eine Haupt- bzw. Mittelschule erreichen, und dass die Durchlässigkeit des Systems – die Möglichkeit, die Schulform zu wechseln – in praktisch jedem Alter gegeben ist und damit Benachteiligungen minimiert.

Was für sachliche Argumente gibt es, die den Erhalt des Gymnasiums nahelegen? Besonders begabte und motivierte junge Leute haben ein Anrecht auf entsprechende Förderung. Das Gymnasium vermittelt den Jugendlichen weniger Spezial-, als vielmehr Überblickswissen. Deutsch, Mathematik, mehrere Fremdsprachen, die Geistes- und Naturwissenschaften werden in ihren Grundzügen vermittelt. Allzu frühe Spezialisierung wird bewusst vermieden. Absolventen einer Langform sind in der Lage, sich gut zu orientieren, Zusammenhänge zu erkennen, sich in komplexeren Aufgabenfeldern zurechtzufinden. Das Gymnasium vermittelt mehr Bildung als Ausbildung, es schult die Studierfähigkeit. Der Schultyp Gymnasium in all seinen Facetten und Schwerpunkten stellt deshalb einen unverzichtbaren Bestandteil der österreichischen Schullandschaft dar.

Welche Ziele hat der Verein PRO GYMNASIUM? Wir fordern ein Ende der Strukturdebatte und die Konzentration auf die für die Weiterentwicklung der Bildungslandschaft wesentlichen Inhalte. Unsere Hauptanliegen sind der Erhalt des achtjährigen Gymnasiums, die Änderung der Aufnahmekriterien am Gymnasium – ein längerfristiges Prognoseverfahren soll den Notendruck am Ende der Volksschule verringern und Ungerechtigkeiten vermeiden helfen – die Errichtung zusätzlicher Oberstufen-Standorte, aber auch größere Wertschätzung gegenüber der beruflichen Bildung, verstärktes Erkennen und Beheben von Defiziten im (frühen) Kindesalter und in der Erwachsenenbildung, mehr Unterstützungspersonal in den Schulen und die Stärkung der Schulpartnerschaft, sowie schließlich den qualitativen Ausbau der ganztägigen Angebote und die Verstärkung des kostenlosen Förderunterrichts. Die Konstituierung als bundesweiter Verein und die Wahl eines Vorstandes erfolgte nach einer längeren Vorbereitungsphase im Juli 2015 in Innsbruck. Dem Vorstand gehören Isolde Woolley, Peter Retter, Norbert Mutz, Matthias Hofer, Marina Floriani, Florian Dagn, Johannes Schretter, Thomas Plankensteiner, Wolfgang Türtscher, Ronald Zecha und ich selbst als Obmann an. Wir haben uns vorgenommen, Landesorganisationen zu gründen. Inzwischen konnten folgende Landessprecher bestellt werden: Wolfgang Türtscher in Vorarlberg, Isolde Woolley in Tirol, Gunter Bittner in Salzburg – sein Vorgänger war Hubert Regner – , Helmut Kukacka in Oberösterreich, Gerda Lichtberger in der Steiermark, Franz Stangl im Burgenland und Brigitte Wöhrer in Niederösterreich. Es fehlen also noch Wien und Kärnten; Gespräche sind im Gange.

Und wie geht nun die hohe Politik mit unserem Thema um? Unser Schulsystem – davon war bereits die Rede – zeichnet sich durch seine hohe Durchlässigkeit und die vielen Wahlmöglichkeiten aus. Angesichts der Unterschiedlichkeit der jungen Leute müssen die Differenziertheit dieses Systems und die damit einhergehende Notwendigkeit der Schulwahlfreiheit durch eine seriöse und berechenbare Bildungspolitik gewährleistet bleiben. Die Abschaffung der Unterstufe des Gymnasiums würde eine Einschränkung dieser Möglichkeiten bedeuten.

In Vorarlberg hat sich die Politik darauf festgelegt, die Gesamtschule vorzubereiten und sie in etwa acht bis zehn Jahren flächendeckend einzuführen. Dabei werden die Empfehlungen, die ein Expertengremium im Anschluss an die Auswertung einer Befragung der Schulpartner ausgesprochen hat, als sachliche Begründung angeführt. Am 17. November dieses Jahres war daher die Enttäuschung, ja die Empörung groß, als die Bildungsreformkommission des Bundes bekannt gab, dass der Bund nicht daran denke, Modellregionen für die Gesamtschule zuzulassen, die mehr als 15 Prozent der Schülerpopulation bzw. der Schultypen eines Bundeslandes umfassen. Das sei, so die Argumentation des Landes, eine Missachtung der Eigenständigkeit Vorarlbergs und könne nicht hingenommen werden.

Wenn man sich das näher ansieht, ist das schon eine ganz spezielle Sache. Hierzulande rühmt man sich, einen eigenständigen Weg zu gehen, man pocht auf Selbständigkeit. Außerdem wird man nicht müde zu betonen, wie sehr man das Ohr am Volk habe, sich darum kümmere, was die Leute meinen. So gut wie möglich setze man dann auch um, was den Leuten am Herzen liege.

Werfen wir also einen Blick auf die Meinung der Leute zum Gymnasium! Zuerst verdient da Lustenau Erwähnung. Als die derzeit für Bildung zuständige Landesrätin – gerade eben in ihre Funktion gewählt – verkündete, Lustenau zu einer Modellregion für die Gesamtschule machen zu wollen, scheiterte dieses Unternehmen innerhalb weniger Tage am entschiedenen Widerstand der Schulpartner, also der beteiligten Eltern, Schüler und Lehrer. Dazu muss erwähnt werden, dass der Gesetzgeber derzeit genau regelt, in welchen Bereichen die Mitbestimmung der Schulpartner vorgesehen ist und welche Mehrheiten für Beschlüsse nötig sind. So sind Modellversuche zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe I, etwa in Richtung Gesamtschule, an einer allgemein bildenden höheren Schule zulässig, wenn die Erziehungsberechtigten von mindestens zwei Dritteln der Schüler und mindestens zwei Dritteln der Lehrer der betreffenden Schule dem Modellversuch zugestimmt haben. So weit, so vernünftig.

Und was tut die Politik? Nicht etwa, dass man das Votum der betroffenen Menschen zur Kenntnis oder gar ernst nähme. Nein, weit gefehlt! Zur Einrichtung von Modellregionen soll es eine neue gesetzliche Bestimmung im Schulorganisationsgesetz – ein Bundesgesetz – geben. Das klingt zwar harmlos, ist es aber nicht. Denn hinter dieser Formulierung verbirgt sich nichts anderes, als dass die bisher vorhandenen Mitbestimmungsrechte für Erziehungsberechtigte und Lehrer abgeschafft werden sollen.

Was da droht, ist, dass Rechte, die es derzeit gibt, die im Gesetz stehen, beseitigt werden sollen, weil es nicht dem Zeitgeist der Regierenden entspricht. Ein starkes Stück, ein eigenartiges Demokratieverständnis, das sich da Bahn bricht! Die Entscheidungsträger, in diesem Falle die Abgeordneten zum Nationalrat, werden daran zu messen sein, wie sich in dieser sensiblen Frage verhalten.

Und Vorarlberg? Wo bleibt der Aufschrei gegen das zentralistische Wien? Die Landespolitik schweigt. Nichts ist es da mit der Forderung, das Votum der Leute zu hören. Man stimmt nicht nur zu, wenn gesetzlich verbürgte Rechte eliminiert werden, man will mehr: 15 Prozent sind viel zu wenig, bei uns müssen es 100 sein! Man darf gespannt sein, wie mehrheitsfähig derartiges Agieren ist!

Werfen wir einen Blick in die unmittelbare Nachbarschaft, zunächst ins Nachbarbundesland Tirol. Die Ankündigung der Landesregierung, als Modellregionen für die Gesamtschule möglicherweise das Außerfern oder Osttirol zu wählen, hat zu intensivsten Protesten geführt. So haben sich in einer öffentlichen Umfrage 85% gegen eine Modellregion Osttirol ausgesprochen.

Und wie sieht es bei unseren nördlichen Nachbarn aus? Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Manfred Kretschmann, ein Grüner, also nicht im Verdacht, ein Reaktionär zu sein, meinte zum Gymnasium im Juli 2014: „Wer sich am Gymnasium vergreift, überlebt das politisch nicht. Gegen den Widerstand des Bildungsbürgertums lässt sich diese Schulart nicht abschaffen.“ Für alle, die mitdenken, ist also klar, was Sache ist!

Zur Gerechtigkeitsdebatte: Wenn die Gesamtschule kommt, werden private Anbieter auf den Plan gerufen. Und Privatschulen kosten Geld. Wer kann sich das leisten? Diejenigen, die gut verdienen. Wer verdient gut? Die im sozialen Gefüge höher Gestellten. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass die Geldtasche der Eltern über den Bildungsweg der Kinder weit nachhaltiger entscheidet als im Moment. Siehe etwa England! Das ist kaum das, was die Betreiber der Gesamtschule wollen können.

Kehren wir zurück zum Anfang! Ihr erinnert Euch an die Schülerin, die wissen wollte, ob es stimme, dass man das Gymnasium abschaffen wolle. Meine Antwort, dass man das befürchten müsse, veranlasste sie zu einer weiteren Frage, nämlich: Ja, ist denn das vernünftig? Das Gymnasium funktioniert doch. Darauf gab ich ihr zur Antwort: Könntest Du dir nicht einen Termin im Landhaus geben lassen und für diese einfache Weisheit beim Herrn Landeshauptmann und der Frau Bildungslandesrätin um Sympathie werben?

Dr. Rainer Gögele (1956) unterrichtet Latein und Religion am BG/BRG Dornbirn-Schoren, er ist Vizebürgermeister von Mäder. Von 2004 -2011 war er ÖVP-Landtagsabgeordneter, 2005-2012 ÖAAB-Obmann von Vorarlberg, 2006-2011 ÖVP-Klubobmann in Vorarlberg, 2011-2012 Gesundheitslandesrat. Er steht heute an der Spitze der Initiative „Pro Gymnasium“.

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