Die Kultur der Inflation

„Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, verlieren die Menschen ihre Freiheit.“ So lautet ein Aphorismus von Konfuzius. Inflation ist so ein Wort, dessen Bedeutung – sicher nicht ohne Absicht – mit einem völlig neuen Inhalt gefüllt wurde. Aus einem bloßen Symptom erratischen Handelns wurde ein eigenständiges – quasi „naturgegebenes“ – Phänomen konstruiert.

Die Inflationsverursacher bleiben weithin unerkannt. Einige der von der Inflation Betroffenen werden dafür von Politik und veröffentlichter Meinung fälschlich zu Sündenböcken gestempelt.

Inflation ist aber weit mehr als ein rein monetäres Phänomen. Es wäre ein schwerwiegender Fehler anzunehmen, dass der Geldwert ihr einziges Opfer ist…

Wie der deutsche Nationalökonom Guido Hülsmann bereits in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Krise der Inflationskultur“ ausführt, übt Geldinflation nämlich einen maßgeblichen Einfluss auf die politische und kulturelle Entwicklung einer Gesellschaft aus. Inflation führt entscheidende Veränderungen herbei – etwa in Richtung einer zunehmenden Zeitpräferenz.

Zunächst gilt es, eine saubere Begriffsbestimmung vorzunehmen: Inflation ist definiert als eine Zunahme der Geldmenge. Der von der Hauptstromökonomie als Inflation bezeichnete Anstieg des allgemeinen Preisniveaus ist lediglich eine Konsequenz aus der Steigerung des Geldangebots. Ein allgemeiner Preisanstieg ist ohne vorausgehende Ausweitung der Geldmenge nicht möglich. Auf breiter Front steigende Preise sind keineswegs der „Gier der Unternehmer“ geschuldet (deren Einstandspreise ja ebenfalls anziehen), sondern der durch den Geldmonopolisten betriebenen Geldmengenausweitung. Diese hat laut Hülsmann drei Hauptkonsequenzen:

Erstens die Schaffung einer Klasse von Profiteuren. Jene, die „an der Quelle“ sitzen und als erste über die neu geschaffene Liquidität verfügen können, sind die Gewinner, da sie noch zu unveränderten Preisen auf Einkauftour gehen können. Jene staatsfernen Kreise dagegen, zu denen das frische Geld zuletzt „durchsickert“, zählen zu den klaren Verlierern, da sie dank der Geldinflation bereits mit gestiegenen Preisen konfrontiert werden. Es handelt sich um einen unübersehbaren Redistributionseffekt – und zwar von unten nach oben (und/oder von der Peripherie ins Zentrum – der Cantillon-Effekt).

Die Klasse der Profiteure steht dabei von Vornherein fest. Solange es sich um Warengeld (Edelmetalle) handelt, sind das die Regierungen und die in ihrem Auftrag tätigen Münzer. Inflation kann über die Verringerung des Edelmetallgehalts der Münzen ins Werk gesetzt werden. Die römische Silbermünze Denarius ist ein Beispiel dafür: Über einen Zeitraum von etwas mehr als 200 Jahren wurde der Silbergehalt auf unter zwei Prozent vermindert.

Das im 19. Jahrhundert aufkommende „Fiat-money“ beruht zunächst noch auf einer Edelmetallbasis. Die Teilreservehaltung der Geschäftsbanken (Fractional-reserve-banking), gewinnt indes zunehmend an Bedeutung und bringt das Phänomen des „Bank-run“ mit sich. Die Zahl der Bankenneugründungen explodiert und eine neue Klasse von Profiteuren tritt auf den Plan: die Banker. Diese staatsprivilegierte Klasse gewinnt entscheidend an Bedeutung. Regierungen wechseln (durch Wahlen oder Erbfolge), die Geldelite aber hat dauerhaft Bestand.

Die zweite Konsequenz inflationärer Geldpolitik sieht Hülsmann in der Schaffung einer „Schuldenkultur“. Durch die Zunahme der (durch Verschuldung in die Welt tretenden) Geldmenge nimmt die wirtschaftliche Instabilität zu. Bankenzusammenbrüche häufen sich. Die Pleite einer Bank kann sehr leicht auch andere Geldinstitute mit in den Abgrund reißen. „Dominoeffekte“ treten auf. Erstmals kommt es zu zuvor unbekannten „Bankenkrisen“. Bankenfusionen oder Interventionen der Zentralbanken finden statt – mit dem Ziel, Bankenpleiten zu verhindern. Staatlich orchestrierte „Rettungsmaßahmen“ ziehen immer stärkere (staatliche) Regulierungen des Bankensektors nach sich.

Krisenhafte Entwicklungen im Geldsektor wirken sich bis zum Zweiten Weltkrieg allerdings noch nicht über den Bereich der Geldwirtschaft hinaus aus. Die „Realwirtschaft“ bleibt durch deren Krisen bis dahin unbeeindruckt.

Danach jedoch beginnen turbulente Ereignisse im Bereich des Finanzwesens und insbesondere die fortwährende Inflationierung der Geldmenge, auch die Betriebe der produzierenden Wirtschaft zunehmend in Mitleidenschaft zu ziehen.

Zeigt das allgemeine Preisniveau über einen Zeitraum von rund 150 Jahren hinweg eine leicht fallende Tendenz (milde Preisdeflation), kehrt sich dieser Trend nun radikal um. Ist bis dahin die Bildung von Ersparnissen attraktiv (die Kaufkraft des Geldes nimmt ja über die Zeit hinweg ständig zu), wird nun das Schuldenmachen als die intelligentere Strategie erkannt. Eine „Schuldenkultur“ entsteht.

Die Anreize der Schuldenmacherei durchdringen schließlich alle Lebensbereiche und bestimmen die Politik der (demokratischen) Regierungen. Die „Finanzialisierung der Wirtschaft“ ist die Folge. Selbst produzierende Unternehmen investieren einen immer größeren Teil ihrer liquiden Mittel nicht mehr länger in die Entwicklung des eigenen Betriebes, sondern in Finanzprodukte – in den USA mittlerweile zu etwa 40 Prozent.

Die Zunahme der Interdependenzen führt zu einer steigenden Fragilität der Wirtschaft. „Ansteckungsgefahren“ nehmen drastisch zu.

Die um sich greifende Unsicherheit der Wirtschaftsakteure hat Folgen, von denen Otto Normalverbraucher gemeinhin keine Vorstellung hat. Eine davon ist die Urbanisierung. Sicherheit wird jetzt in Ballungszentren erwartet, nicht mehr auf dem flachen Lande. Die Feminisierung der Wirtschaftswelt ist eine weitere Konsequenz: Die bei Frauen im Vergleich zu Männern stärker ausgeprägte Risikoaversion veranlasst viele auf der Suche nach mehr Sicherheit befindliche Großunternehmen zu deren verstärkter Promotion an Spitzenpositionen. Eine eher selten beachtete Begleiterscheinung der Zunahme allgemeiner Unsicherheit ist die „Verhässlichung“ der Architektur. Wer infolge der zunehmenden Instabilität seine Zeitpräferenz erhöht, legt eben weniger Wert auf (optische) Qualität. Da alle Vermögenwerte so flüssig wie möglich gehalten werden müssen, steht schöne (und entsprechend teure) Architektur diesem Ziel im Wege.

Als dritte Konsequenz permanenter Inflation – und deren folgenschwerste – sieht Hülsmann die Zerstörung der Moral. Sparanreize verschwinden. Die einst Wohlstand begründende Sparkultur wird unterminiert. An ihre Stelle tritt eine laufend zunehmende Konsumneigung. Damit einher geht ein immer größerer Verlust an Unabhängigkeit. Schuldner stehen letztlich in der „Knechtschaft“ ihrer Kreditoren.

Das wiederum führt zum immer lauter ertönenden Ruf nach „hilfreichen“ Interventionen der Regierungen, dem diese nur allzu gerne nachkommen, um ihre Macht bei dieser Gelegenheit noch weiter auszudehnen. Ergebnis ist die „kollektive Korruption“ der Gesellschaft. „Rationalitätsfallen“ führen zu immer stärkeren Anreizen, sich nicht länger mit produktiver Arbeit abzumühen, sondern im Finanzsektor das Glück zu suchen.

Dadurch werden überkommene Moralvorstellungen auf den Kopf gestellt. Es kommt zum Konflikt zwischen dem Bewusstsein, was getan werden soll und dem, was man – wenn auch rational begründet – tatsächlich tut. Diese in der Inflation wurzelnden Widersprüche führen letztlich zur Demoralisierung der Gesellschaft.

Geld gegen Souveränität – das ist der gegenwärtig laufende Deal. Das „Kreditkartenhaus“ kann indes nicht dauerhaft bestehen, weil die Zunahme der neu geschaffenen Werte mit der Aufblähung der Schuldensumme niemals schritthält…

Zu Optimismus besteht – angesichts der vorliegenden Fakten – wenig Hoffnung. Die ganze Welt hängt an der Inflationsnadel. Ein Entzug erscheint, besonders im Lichte der in Demokratien herrschenden Anreizsysteme (wer als Politiker einer sich abzeichnenden Rezession nicht stante pede mit der Notenpresse entgegenwirkt, wird von den Wählern aus dem Amt gejagt), so gut wie ausgeschlossen. Die Weltwirtschaft gleicht derzeit einem Seiltänzer, der – ohne Balancestange – auf immer höher gespannten Seilen turnt, wobei er immer kleinere Sicherheiznetze benutzt. Eines ist dabei sicher: Der Absturz wird umso dramatischer ausfallen, je später er erfolgt…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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