Quo vadis Südtirol?

Bei der Landtagswahl am Sonntag geht es diesmal mehr denn je um die Zukunft des Tiroler Etschlandes.
„Siamo in Italia“ – wie unter ihresgleichen üblich, kanzelt ihn die Polizistin ab. Der Urlauber aus Österreich hatte sie unweit des Bozner Walther-Platzes auf Deutsch gebeten, sie möge, da die Parkzeit für sein Fahrzeug erst seit zehn Minuten abgelaufen sei, doch „Milde“ walten lassen, und zur Antwort ein „Non capisco“ („Ich verstehe nicht“) erhalten. Woraufhin er sie höflich, aber wirkungslos auf das im Südtiroler Autonomiestatut verankerte Zweisprachigkeitsgebot für öffentlich Bedienstete hinwies.

Für Roland Lang vom Heimatbund (SHB) ist das Alltag. Seit Jahren verlangen die Oppositionsparteien Süd-Tiroler Freiheit (STF), Freiheitliche (F) und BürgerUnion (BU) – nicht zuletzt aber auch die seit 1948 regierende Südtiroler Volkspartei (SVP) – die Einhaltung dessen, was gemäß dem mühsam erkämpften, im Statut von 1972 festgeschriebenen sowie nach der österreichisch-italienischen Streitbeilegung von 1992 noch erheblich ausgeweiteten Selbstverwaltungskompetenzen eigentlich verbrieftes Recht ist, aber von Rom oder dessen Statthaltern an Eisack und Etsch mäßig oder gar nicht vollzogen, verschleppt oder einfach ignoriert wird.

Wenn es eines nachhaltigen Beweises für die Missachtung statuarischer Bestimmungen des Autonomie-Pakets durch die römische Politik bedurfte, so lieferte ihn „Übergangsregierungschef“ Mario Monti, als vormaliger EU-Kommissar ein „Vorzeigepolitiker des demokratischen Italien“, der ungeniert in die Selbstverwaltungsrechte der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol eingriff. Das ist zwar schon wieder Geschichte, und Monti hat sogar der von ihm gegründeten Partei SC den Rücken gekehrt. Doch unter dem alerten Enrico Letta, dem am Faden von Berlusconi(s PdL) hängenden Ministerpräsidenten, mit dessen linkslastiger Partei PD die SVP – erstmals überhaupt – ein Bündnis einging, wird der römische Griff nach den Subsidien der „reichen Provinz“ unterm Alpenhauptkamm kaum nachlassen.

Deren Prosperität ist allerdings längst nicht mehr so, wie sie in der zu Ende gehenden „Ära Durnwalder“ zweifellos war. Doch Lettas Hand ist geschmeidig und sein Ton moderater als der Berlusconis und selbst Montis gegenüber dem „Alto Adige“.

Während dort seit Magnagos Zeiten ordentlich regiert und verwaltet wird, schieben Italiens Regierungen und Finanzminister – ganz gleich, wer sie stellt(e) – seit Jahrzehnten einen Schuldenberg vor sich her, der sich an 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bemisst. Was der von der SVP quasi in „vorauseilendem Gehorsam“ unterstützte Letta daher finanz-, steuer-, und sozialpolitisch zu beschreiten gezwungen ist, wird letztlich die Südtirol-Autonomie weiter entwerten.

Aus alldem und anderem mehr leitet sich für die nicht-italienische Opposition zwingend ab, dem maroden Italien ein für allemal den Rücken zu kehren. Für SHB und STF, auch für den Südtiroler Schützenbund (SSB) ist die Autonomie lediglich ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiedervereinigung mit Tirol. Gemeinsam ist STF, F und BU das „Los von Rom“, über den zu beschreitenden Weg gehen die Ansichten auseinander. Daher finden sie auch nicht zur nötigen Geschlossenheit, oder sei es nur zu einer gemeinsamen „Plattform“, wie sie Pius Leitner, Spitzenkandidat der Freiheitlichen, anregt.

Gemeinsam kämpfen sie gegen die SVP, aber jeder kämpft für sich allein. Das mag für das erhoffte Erstarken der jeweiligen Repräsentanz im künftigen Landtag, der am 27.10. neu gewählt wird, zielführend sein, um die absolute Mehrheit (der Sitze) der SVP zu brechen. Für das Fernziel – Unabhängigkeit und Eigenständigkeit als Freistaat, wie ihn die Freiheitlichen anstreben, oder über Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erwirkte Wiedervereinigung mit dem Bundesland Tirol, damit die Rückgliederung an Österreich, wie ihn STF und BU propagieren, mithin also für die Loslösung von Italien – ist die Aufsplitterung der oppositionellen Kräfte allerdings mehr als hinderlich.

Das „Los von Rom“ bestimmte indes den gesamten Landtagswahlkampf, überlagerte alle anderen Themen. Dies rührte maßgeblich vom seit 1. September bis 30. November quasi parallel laufenden „Selbstbestimmungs-Referendum“ her, welches allein von der STF betrieben wird, beflügelt von Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland und Katalonien und unterstützt von der österreichischen FPÖ, die in Gestalt des „Gesamt-Tiroler“ Nationalratsabgeordneten (und „Bergisel-Bund“-Vorsitzenden) Werner Neubauer häufig bei STF- und SSB-Aktionen anwesend ist.

Vom Wahlerfolg der FPÖ erhoffen sich auch die F unter Spitzenkandidat Pius Leitner stimmungsmäßig Auftrieb; nicht gänzlich bereinigte Animositäten, die auf Andreas Mölzers einstigem Versuch beruhten, im EU-Parlament eine Rechtsparteien-Achse unter Einbindung von Alessandra Mussolini, der Enkelin des Duce, zu schmieden, stehen indes einem engeren Verhältnis zu den „Gesinnungsfreunden“ in Österreich entgegen. Wegen des Übertritts eines bisherigen F-Landtagsabgeordneten (mitsamt Funktionären einer ganzen Bezirksparteiorganisation) zur BU, der es unter Spitzenkandidat Andreas Pöder auch gelungen ist, eine Listenverbindung mit einer Ladiner-Partei einzugehen, müssen die Südtiroler Freiheitlichen allerdings fürchten, einen Teil ihres bei der italienischen Parlamentswahl im Februar erzielten beachtlichen Stimmengewinns wieder einzubüßen.

Worauf die SVP ebenso setzt wie – nach dem Skandal um die Landesenergiegesellschaft SEL – auf den von ihr propagierten „Neustart“ unter ihrem Spitzenkandidaten Arno Kompatscher, der den seit 1988 im Amt befindlichen Landeshauptmann Luis Durnwalder beerben soll. Auffällig massiv warnt die SVP vor dem „Los von Rom“, vor Unabhängigkeitsbestrebungen, vor der Freistaatsidee der F und der Selbstbestimmungskampagne der STF und ihres Spitzenkandidaten Sven Knoll.

Da bemühte die wie ein SVP-Parteiorgan agierende Zeitung „Dolomiten“ zum einen den emeritierten Salzburger Zivilrechtler Franz Matscher, einen gebürtigen Südtiroler, der einst eine wenig rühmliche Rolle als österreichischer Generalkonsul in Mailand spielte, und ließ ihn als „Völkerrechtler“ gegen die (angeblichen Unwägbarkeiten der) Selbstbestimmung Stellung nehmen. Zum andern vereinnahmte die SVP, vom „Wahlerfolg der Schwesterparteien“ – Tiroler ÖVP, CSU in Bayern sowie CDU und CSU im Bund – beflügelt, Edmund Stoiber und Angela Merkel.

So „bestätigte“ der ehemalige bayerische Ministerpräsident im „Dolomiten“-Interview sowie auf einer Veranstaltung des SVP-Wirtschaftsflügels, dass die Sammelpartei „genau auf dem richtigen Weg“ sei und „mit Arno Kompatscher eine große Zugkraft“ habe. Und die deutsche Kanzlerin fand trotz beanspruchender Koalitionssondierungen in Berlin Zeit für Kompatscher und das Unterstützung signalisierende Photo mit ihm in den „Dolomiten“.

Dessen vorgetragener SVP-Konzeption von der „Vollautonomie“ – alle Kompetenzen nach Bozen, lediglich Außenvertretung und Militärwesen sollen in der Zuständigkeit Roms verbleiben – und von der „Zukunft Südtirols in einer Zusammenarbeit der Regionen in Europa“, stimmte die CDU-Vorsitzende pflichtschuldigst bei: Zwar gebe es „in Deutschland wie in Südtirol europafeindliche Tendenzen“, es sei aber „für eine Minderheit der europäische Weg der einzig gangbare“. Man wird am Landtagswahlergebnis auch ablesen können, wie viele Südtiroler diesem Weg folgen wollen.

Herrolt  vom Odenwald ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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