Eine Anmerkung zur Nächstenliebe: Das Verhältnis von Kirche und Staat am Beispiel einer desaströsen Parteinahme

Man kann über die Wortmeldungen von Kardinal Schönborn über die aktuelle „Nächstenliebe“-Wahlkampagne der FPÖ wieder einmal nur verblüfft sein. Inhaltlich sowieso, aber auch grundsätzlich.

Erzählt man uns denn nicht seit Jahrzehnten, dass sich die Kirche nicht mehr in die Parteipolitik einmische? Dass seit dem Mariazeller Manifest (1952) eine „freie Kirche in einem freien Staat“ existiere und dass keine Partei eine „Protektion“ über die Kirche ausübe? Dass die Kirche keinerlei politische Mittel einsetzen lasse, um ihre Lehre in die Politik umzusetzen? Sagt man uns nicht dauernd, dass laut dem Zweiten Vatikanischen Konzil die irdischen Bereiche eine „legitime relative Autonomie“ gegenüber der Kirche hätten?

Und dann kommen – in den vergangenen Jahren gehäuft – massive Einmischungen seitens der Kirche in die Politik. Und das regelmäßig auf der falschen Seite. (www.kathpress.at/site/nachrichten/database/56635.html?SWS=c30612a2043f9edb7f05d71ddce64be4)

Aus der fast zweitausendjährigen kultur- und zivilisationsprägenden Kraft der Katholischen Kirche auf dem Boden des heutigen Österreich ist in wenigen Jahrzehnten eine Kollaboration mit antichristlichen politischen Kräften geworden. (Man fühlt sich an George Orwells Animal Farm erinnert: Der Rabe Moses, allegorisch für die Russisch-Orthodoxe Kirche der Stalin-Ära, als Propagandist der Mächtigen.)

Den weltanschaulich neutralen Staat gibt es nämlich nicht. Jede politische Ausrichtung hat ideologischen, bekenntnishaften Charakter – gerade die stark antichristliche Legislatur der Gegenwart. Die „freie Kirche im freien Staat“ war von vorneherein eine Illusion. Die Parteinahmen von österreichischen Bischöfen zugunsten der Mächtigen haben somit seit den Tagen von Kardinal König das Mariazeller Manifest sowie die einschlägigen Aussagen des Konzils zum Verhältnis von Staat und Kirche (z. B. Gaudium et Spes) als Makulatur erwiesen.

Ein Rückblick auf die politischen Botschaften von Kardinal Schönborn

Anlässlich der aktuellen politischen Stellungnahme von Kardinal Schönborn gegen die FPÖ-Kampagne sei an einige seiner politischen Botschaften der letzten zehn Jahre erinnert:

  • Kardinal Schönborn ist im Frühjahr 2003 allen in den Rücken gefallen, die einen Gottesbezug in der Präambel der neu zu schaffenden österreichischen Verfassung gefordert bzw. gewünscht haben. Ein Gottesbezug wäre ein Hinweis, dass über dem Staat noch eine Instanz steht, der Staat also nicht allmächtig ist und sich auch nicht so gebärden darf. Es war also ausgerechnet ein Kardinal, der gegen (!) eine invocatio Dei eingetreten ist. Die Begründung war im üblich verdrallten, kryptischen Stil gehalten: http://www.kath.net/news/6501

  • Im Juli 2004 ist Bundespräsident Klestil verstorben. Er war im Jahr 2000 wegen seines unnoblen und unpatriotischen Verhaltens anlässlich der Angelobung der demokratisch legitimiert zustande gekommenen Regierung des Jahres 2000 und der einsetzenden Sanktionen der 14 „EU-Freunde“ (die von einem gewaltbereiten Straßenmob in Wien unterstützt wurden) von einem freiheitlichen Politiker kritisiert worden. Dessen Wortwahl mag ihrerseits unnobel gewesen sein, Kritik und Emotion aber berechtigt. Das muss auch hier klar gesagt werden: De mortuis nil nisi bene ist ein heidnischer Grundsatz, kein christlicher.
    Seit dem ersten Verrat im ersten Schülerkreis war für immer klar, dass ein Verrat klar und deutlich als solcher benannt werden muss. Er ist nicht zu beschönigen – nicht zuletzt, um niemanden (absichtlich oder unabsichtlich) zu einem solchen anzustiften.
    Eminenz bezeichnete den verstorbenen Bundespräsidenten aber unverständlicherweise als „leidenschaftlichen Patrioten“. Die Gesamtaussage des Klestil-Begräbnisses ist daher klar: Die Kirche, oder wenigstens einer ihrer Kardinäle, solidarisiert sich mit einem Staatsoberhaupt, das der eigenen Regierung in den Rücken gefallen und ausländischen Interventionen nicht entgegengetreten ist. Eine desaströse Optik. Eine moralische Schwächung für alle politisch Tätigen, die sich um eine geradlinige patriotische Politik bemühen.
    Ärgerlich ist auch, dass die kirchliche Regie des Requiems durch die Sitzordnung von (geschiedener) Ehefrau und Zweitfrau zu erkennen gab, dass ihr die Verteidigung des Ehebandes offensichtlich kein Anliegen ist. Von der Optik her muss das als moralische Schwächung aller, die sich in schwierigen Situationen um den Erhalt ihrer Ehe bemühen, gewertet werden.

  • Nach dem Wahlsieg der SPÖ bei der Landtagswahl in Salzburg und der Bildung einer Koalition mit der ÖVP im Jahr 2004 wurde umgehend beschlossen, am St. Johanns-Spital (Landeskrankenhaus) eine Abtreibungsmöglichkeit einzuführen. Hatte Frau Landesrätin Doraja Eberle noch angekündigt, die ÖVP werde im Fall dieser Maßnahme die Koalition verlassen, so wurde diese Ankündigung nie wahrgemacht. Der Verein Jugend für das Leben dagegen hat sich in einer aufsehenerregenden Postwurfaktion in der Adventzeit 2004 an die Bevölkerung gewandt und das mörderische Vorhaben scharf kritisiert. Der Dolchstoß von Eminenz Schönborn ließ nicht lange auf sich warten und er distanzierte sich zweimal von den tapferen jungen Leuten (http://religionv1.orf.at/projekt02/news/0412/ne041223_schoenborn_fr.htm). Sogar das Patrozinium des Erzmärtyrers Stephanus im Stephansdom wurde von Eminenz zu diesem Verrat missbraucht. Das wurde natürlich auch international bekannt und stieß auf Konsternation (http://www.cardinalrating.com/cardinal_97__article_630.htm).
    Etwa fünf Jahre später wurde Jugend für das Leben übrigens von der SPÖ wegen einer weiteren Postwurfkampagne zur Wahl 2009 geklagt. Diese verlor aber den Prozess. (http://www.youthforlife.net/detail.php?id=699) In Zeiten politisierter Staatsanwaltschaften und Justizbehörden ist das als Wunder zu werten. (http://www.krone.at/Oesterreich/Salzburger_SPOe_verliert_gegen_Abtreibungsgegner-Parodie_legal-Story-221788)

  • Schließlich griff Kardinal Schönborn – gegen alle Usancen in der II. Republik – anlässlich der Wahl zum Europäischen Parlament 2009 direkt und ausdrücklich in den Wahlkampf ein, als er sich gegen (!) den FPÖ-Slogan „Abendland in Christenhand“ aussprach – und zwar während des Hochamtes zu Christi Himmelfahrt im Stephansdom http://diepresse.com/home/politik/eu/481151/Kardinal-Schoenborn-liest-Strache-die-Leviten.

Aufgrund dieser gespenstischen Bilanz stellt sich die bange Frage: Für wen arbeitet Eminenz eigentlich?

Was gesagt werden müsste

Es ist eine Lebenslüge: Der Kardinal handelt nicht so, wie er handeln sollte. Er sagt nicht das, was er als Hirte der Kirche und hochgebildeter Theologe sagen sollte.

Im Zusammenhang mit der „Nächstenliebe“-Kampagne der FPÖ hätte Eminenz z.B. sagen können, dass er froh ist, daß eine (säkulare) Partei das zentrale christliche Gebot in den politischen Diskurs einbringt. Er hätte sagen können, dass weder die Erzdiözese Wien noch die Caritas ein Monopol auf „Nächstenliebe“ haben und dass es in der Politik eben eine gewisse Autonomie gibt (s. o.).

Er hätte sagen können, dass etwa der Apostel Paulus zu einer Differenzierung der Nächstenliebe aufruft: „Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind“ (Gal 6, 10).

Er hätte sagen können, dass die Verpflichtung zur Nächstenliebe selbstverständlich auch für die Herren Flüchtlinge, für „Migranten“, für Scheinasylanten, Drogendealer, Schlägerbanden und Messerstecher gilt. Auch sie haben sich gegenüber der angestammten Bevölkerung und gegenüber anderen Einwanderergruppen mit Wohlwollen zu verhalten. Was an sich ohnehin selbstverständlich wäre – wenn da nicht die „doppelten Standards“ wären, die man gewissen Bevölkerungsgruppen stillschweigend konzediert.

Hausverstand, Naturrecht und Ordnung der Nächstenliebe

Kardinal Schönborn hätte sagen können, dass sowohl auf der individualethischen als auch auf der sozialethischen Ebene die Lehre von der „Ordnung der Liebe“ (ordo amoris) gilt, wie sie exemplarisch der hl. Augustinus entwickelt hat – gesunde Vaterlandsliebe mit eingeschlossen. Schönborn hätte daher nur den von ihm selbst (!) endredigierten Katechismus der Katholischen Kirche zitieren müssen:

„Pflicht der Bürger ist es, gemeinsam mit den Behörden im Geist der Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit zum Wohl der Gesellschaft beizutragen. Die Heimatliebe und der Einsatz für das Vaterland sind Dankespflichten und entsprechen der Ordnung der Liebe“ (KKK 2239).

Und in Bezug auf die Einwanderung heißt es dort:

„Die politischen Autoritäten dürfen im Hinblick auf das Gemeinwohl, für das sie verantwortlich sind, die Ausübung des Einwanderungsrechtes verschiedenen gesetzlichen Bedingungen unterstellen und verlangen, dass die Einwanderer ihren Verpflichtungen gegenüber dem Gastland nachkommen. Der Einwanderer ist verpflichtet, das materielle und geistige Erbe seines Gastlandes dankbar zu achten, dessen Gesetzen zu gehorchen und die Lasten mitzutragen“ (KKK 2241).

Man muss kein Theologe sein, um mit dem Licht der Vernunft („Hausverstand“) zu erkennen, dass unser Einsatz zunächst dem Wohl der Strukturen und ihrer Angehörigen gilt, die uns nun einmal näher sind: Dorf oder Stadtteil, Stadt, Bundesland, Kanton oder Region, Staat. Das heißt, dass ein Politiker sich um die legitimen Anliegen der ihm anvertrauten Menschen kümmern muss, ein österreichischer eben um die Anliegen der Österreicher. Betreibt er die Anliegen anderer, fremder oder gar feindlicher Mächte, spricht man von „Vertrauensbruch“ oder gar „Verrat“. Insofern war das Volksbegehren „Österreich zuerst“ von 1993 selbstverständlich legitim, das lächerliche „Lichtermeer“ dagegen eine Vorspiegelung moralischer Überlegenheit mit suggestiv-erpresserischer Tendenz.

Es gibt, wie gesagt, eine Rangordnung in der Nächstenliebe. Denn die Nächstenliebe ist konkret. Eine Übernächsten- oder Fernstenliebe bleibt im individualethischen Bereich immer wirkungslos. Das Gerede von „europäischer“ oder gar „globaler Verantwortung” ist daher im sozialethischen Bereich sogar gefährlich. Jeder Politiker ist für seinen Bereich verantwortlich. Internationale Zusammenarbeit kann löblich sein, vorausgesetzt, alle Beteiligten sind guten Willens. Auf keinen Fall impliziert „Zusammenarbeit“ die Aufgabe von Souveränitätsrechten und die Auflösung der Nationen und Völker in übergeordnete und zunehmend diktatorische Gebilde. Was man zu diesem Thema vom österreichischen und deutschen Episkopat in der letzten Zeit hört, lässt einem die Grausbirnen aufsteigen (etwa die abwegigen Aussagen des Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zum Euro und zur Partei „Alternative für Deutschland“ (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/erzbischof-zollitsch-gegen-afd-eine-wahlempfehlung-12536094.html). Diese Bischöfe haben hier nicht die Autorität der katholischen Soziallehre hinter sich.

Fazit

  1. Würde jeder einzelne die Nächstenliebe im Sinne der intentio benevolentiae, der „Absicht des Wohlwollens“, praktizieren, hätte das segensreiche Folgen für Individuen und Gesellschaft, die kaum überschätzt werden können.
  2. Würden sich die Verantwortungsträger in Kirche und Staat an die Rangordnung der Nächstenliebe (ordo amoris, s. o.) halten, wäre viel Verwirrung beseitigt und vor allem würden konkrete Effekte dieses Wohlwollens schnell greifbar werden. Da aber heute viele von „globaler Verantwortung”, „niemanden zurücklassen”, „Bewegungsfreiheit für alle” u. dgl. herumschwadronieren, ohne ihre ideologischen Grundlagen und Ziele offenzulegen, ist viel Konfusion eingetreten. Oder anders gesagt: Nicht jeder, der die FPÖ-Spitze wegen „Ausländerfeindlichkeit” und „Rassismus” kritisiert, will deswegen schon seinem eigenen Nächsten wohl. Eher im Gegenteil.
  3. Die politische Einmischung von Kardinal Schönborn auf Seiten von Mächten, die mit Christentum und Naturrecht nichts zu tun haben, gegen eine Oppositionspartei, die legitimerweise mit christlichen Inhalten wirbt, ist inakzeptabel und skandalös. Sie gibt Katholiken und Nicht-Katholiken ein völlig falsches Bild der katholischen Soziallehre. Sie ist selbstverständlich auch für das Wahlverhalten unerheblich. Bischöfliche Aussagen binden die Gläubigen nur dann im Gewissen, wenn sie ihrerseits in Übereinstimmung mit der katholischen Lehre stehen.

Ein Postskriptum aus aktuellem Anlass

Ein Staat und dessen Bevölkerung sind, wie oben gesagt, selbstverständlich berechtigt, bei der Aufnahme von Flüchtlingen auszuwählen. Es kann nicht hingenommen werden, dass einem Staat mit christlicher Mehrheitsbevölkerung die Bevorzugung christlicher Flüchtlinge verwehrt werden soll. Westliche Mächte haben jihadistische Gruppen zum Krieg gegen die legitime syrische Regierung angestachelt und ausgerüstet. Dabei wurde eine Christenverfolgung ungeahnten Ausmaßes fahrlässig oder bewusst in Kauf genommen: Das Beispiel Irak war ja bekannt.

Syrien ist – bei allem Kritikwürdigen – ein Land, das für arabisch-islamische Verhältnisse Minderheiten umfassend schützt und aufgrund einer säkularen Rechtsordnung Christen nicht als Dhimmis prinzipiell von der politischen Partizipation ausschließt (wenigstens weitgehend). Das wurde von außen bewusst zerstört. Die österreichische Bundesregierung muss unmissverständlich klarmachen, dass sich Flüchtlinge islamischen Bekenntnisses an islamische Aufnahmeländer wenden mögen. Es kann nicht sein, dass durch den Import von Jihadisten aus aller Herren Länder hierzulande genau dieselben Zustände entstehen, vor denen die Menschen in ihren Heimatländern geflohen sind.

Sollen z. B Flüchtlinge aus der mehrheitlich katholisch-melkitischen Stadt Maaloula http://katholisches.info/2013/09/06/nach-islamisten-ueberall-sind-christen-von-maalula-auf-der-flucht-dschihadisten-reissen-kreuze-von-klosterkuppeln/ in Österreich denselben Jihadisten begegnen (http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1448843/Zehn-SyrienKaempfer-in-Oesterreich-gelandet?from=suche.intern.portal), denen sie mit knapper Not entkommen sind?

Einer Destabilisierung Österreichs und Europas ist im Interesse aller, der angestammten Bevölkerung als auch der Schutzsuchenden, unbedingt entgegenzutreten.

MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe und Philosoph, kirchlich gesendeter Katechist. Umfangreiche Vortrags- und Publikationstätigkeit.

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