Das Meinungskartell

Auf den ersten Blick wirkte das Gruppenbild, das den Bundeskanzler und den Vizekanzler gemeinsam mit den Chefs von sechs prominenten Tageszeitungen (Die Presse, OÖ-Nachrichten, Kleine Zeitung, Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung und Vorarlberger Nachrichten) darstellte, freundlich und nett. Der anfänglich biedere Eindruck verwandelte sich allerdings rasch in Betroffenheit, sobald man sich der näheren Umstände für das trauliche Familienbild von Medien und Politik bewusst wurde.

Der Hintergrund für das Zusammensein sieht so aus: Einer der Chefredakteure (es war jener aus Oberösterreich) kam auf die ihm wahrscheinlich originell erscheinende Idee, seine Kollegen von den anderen Blättern zu einem Hearing von Bundeskanzler und Vizekanzler anzustacheln. Die Kollegen stimmten dem Aufbruch zur Jagd auf die Spitzenkoalitionäre zu, diese nahmen die Herausforderung an.

Soweit, so gut. Wer könnte auch etwas dagegen haben, dass die geballte Intelligenz von sechs Zeitungschefs die Inhaber der Staatsmacht auf Herz und Nieren prüft und sie mit knallharten Fragen schonungslos zur Offenlegung ihres politischen Verstandes und ihrer Konzepte zwingt? Schließlich vertreten die Spitzenjournalisten mit ihren Leserschaften zugleich auch einen beträchtlichen Anteil der österreichischen Wähler. Und diese haben ein Recht darauf, zu erfahren, was auf höchster politischer Ebene gedacht wird.

Das Ergebnis der Politikerbefragung durch die Zeitungschefs fand seinen Niederschlag in zumeist doppelseitigen, groß aufgezogenen, nahezu identischen Berichten. Was man als Leser daraus erfuhr, war allerdings von kaum unterbietbarer Banalität: Man las, dass sich Spindelegger und Faymann gegenseitig mit „Michael“ und „Werner“ anreden, dass sie einander zum Geburtstag gewöhnlich eine Flasche Wein oder ein Buch schenken, dass der Kanzler am Vizekanzler dessen Zuverlässigkeit schätzt und der Vizekanzler den Regierungschef als guten Bergkraxler lobt, dass keiner der beiden Spitzenpolitiker gegenüber dem anderen Neidgefühle verspürt und ähnliche Plattheiten.

Auch die Quasi-Fragen zur Politik waren von rührender Harmlosigkeit: Ob es stimmt, dass sich die Koalition auseinander gelebt hat, (sinngemäße Antwort: „Nein, nein, wir haben das Land durch die Krise geführt, das hat uns zusammengebracht“); ob unser Land da steht, wo es hingehört (Antwort: „Für Selbstzufriedenheit ist kein Anlass, aber man kann stolz darauf sein, wie Österreich dasteht), ob das Land auch nach der Wahl wieder eine große Koalition benötigt (die zustimmende Antwort Faymanns war vorprogrammiert); oder ob man garantieren könne, dass es 2014 kein weiteres Sparpaket geben werde, (Tenor der Antworten: Es wird keines geben, aber wer weiß schon, was passiert, wenn die Weltwirtschaft zusammenbricht…).

Was den Chefredakteuren ansonsten noch ermittlungswert erschien, waren die Fragen nach dem einerseits größtem Wurf und andererseits dem Tiefpunkt der ablaufenden Regierungsperiode, wie man es mit Frank Stronach hält, oder welche symbolhaften Signale des Sparens man der Bevölkerung geben möchte (Antwort: „Wir werden die neue Regierung um zwei Staatssekretäre verkleinern“).

Es ist unschwer zu erkennen, dass die analytische Genügsamkeit der Medienvertreter die beiden Parteichefs nicht in Verlegenheit bringen konnte. So flach wie die Fragen fielen die Antworten aus. Wer sich von der Lektüre der analogen Berichte (einheitliche Fragen, einheitliche Texte, einheitliche Veröffentlichung am 28. Juni) in den sechs Zeitungen einen Erkenntnisnutzen für die eigene Orientierung im Hinblick auf die kommende Wahl und zur genaueren Einschätzung der Koalitionspartner erhoffte, wurde bitter enttäuscht.

Nicht einmal angetippt wurden die Rezepte von Rot und Schwarz zur Sicherung der Arbeitsplätze. Keinerlei Neugier zeigten die Medienvertreter an den Antworten der Regierungspartner, was sie unternehmen wollen, um die Sippenhaftung Österreichs für die maroden EU-Mitglieder zu verhindern, welche Rezepte sie zur Schadensbegrenzung des Alterungsprozesses (Mangel an Ärzten, Ingenieuren, Pflegepersonal, Polizisten, Automechanikern, Installateuren, Kellnern etc.) parat haben, wie sie die Innovationsfreudigkeit einer spätestens ab 2030 vergreisenden Bevölkerung sicherstellen wollen, ob sie das Heil des Landes in einer verstärkt regulierten oder deregulierten Gesellschaft erblicken und anderes mehr.

Man könnte das Kapitel über das publizistische Possenspiel damit abschließen und den Vorgang in den Bereich des Kuriosen und Episodenhaften verweisen, wenn es da nicht auch eine demokratiepolitische Komponente zu bedenken gäbe.

Zum näheren Verständnis ist daran zu erinnern, dass ein funktionierendes demokratisches Staatswesen nicht nur auf der Meinungsfreiheit, sondern auch der Meinungsvielfalt beruht. In einem Land mit lediglich 17 Tageszeitungen, ganz wenigen (noch dazu meinungskonformen) politischen Magazinen und dem Monopol des ORF im audiovisuellen Bereich ist das Erfordernis der Meinungsvielfalt und der Auswahlmöglichkeit unterschiedlicher Standpunkte besonders schwer herzustellen. So betrachtet, war es ein flagranter Verstoß gegen ein demokratisches Grundprinzip, als sich die sechs Printmedien, (also nahezu ein Drittel der Tageszeitungen), zu einem pseudo-kritischen journalistischen Spektakulum verbündeten und den Spitzen der Koalition standardisierte Fragen stellten, die einen minimalen Erkenntniswert besitzen.

Das war kein hartes Kreuzverhör zum Zweck des Informationsgewinns, sondern eine Umarmung derer, die an den Hebeln der Macht sitzen. Es war ein journalistischer Schongang, der durch die Gleichschaltung der Fragen und die einheitliche Verbreitung der Antworten ungewollt an die gelenkte Presse in totalitären Systemen erinnert. Verstärkt wird das fatale Gleichnis durch die Tatsache, dass die vielleicht wichtigste Frage, nämlich jene, worin sich SPÖ und ÖVP angesichts ihrer im Interview bekundeten Gemeinsamkeiten eigentlich unterscheiden, nicht gestellt wurde.

Und noch eine Frage blieb ungeklärt. Sie ist mit einem Trauerflor umhüllt und lautet: Worin unterscheiden sich eigentlich unsere Medien?

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt war langjähriger Leiter des renommierten Meinungsforschungsinstituts Imas.

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