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Was man (nicht) tut: Gutes Benehmen im Leben und in der Politik

Mit der warmen Jahreszeit tauchen wieder die vielen hässlich-entblößten Menschen auf – von nabelfreien, fettleibigen und gepiercten Frauen in engen Shorts bis zu tätowierten, ungepflegten Männern in Mundl-Leiberl und in Jogging-Hosen – eine tägliche ästhetische Herausforderung. Das ist selbstverständlich ein politisch völlig unkorrekter Beginn eines Artikels; in den USA etwa darf man heute übergewichtige Menschen nicht einmal mehr „dick“ nennen, sondern bestenfalls „horizontally challenged“.

Auch Müll, Graffiti und Hundekot stören im öffentlichen Raum, und es nerven ordinäre und laute Handy-Telefonierer in öffentlichen Verkehrsmitteln, rowdyhafte und aggressive Radfahrer, Handy-telefonierende oder betrunkene Autofahrer, vor sich hinspuckende Halbstarke, übelriechende Fastfood-Speisen, nervend-laute Techno-Rhythmen aus Kopfhörern und was es dergleichen noch alles an Ungehörigem und Unappetitlichem gibt. Manches davon ist bereits verboten, manches nicht, bei manchen Themen (etwa Essen in der U-Bahn) wurden Verbote diskutiert. Über eine Million Kameras kontrollieren bereits das Verhalten im öffentlichen Raum, können aber Gewaltverbrechen oder Vergewaltigungen in der U-Bahn auch nicht verhindern.

Dieser Drang, das zwischenmenschliche Leben zunehmend regulieren zu müssen, entspringt der trivialen Erkenntnis, dass zunehmend viele Menschen nicht mehr wissen, was man tut (oder besser nicht tut). Es gibt – wenn auch nur spärliche – empirische Befunde, dass eine schleichende Erosion rücksichtsvollen Verhaltens zu verzeichnen ist. Vor allem in der Anonymität der Großstädte ist ein unaufhaltsames Vordringen rüpelhaften Benehmens festzustellen, das von der Bürgergesellschaft anscheinend resignierend hingenommen wird.

Die Ursachen für diese Entwicklung liegen wohl in erster Linie darin, dass sich Eltern in mehr oder weniger schlecht funktionierenden Familien um dieses Thema nicht mehr kümmern (können oder wollen), und dies auch seit Jahrzehnten einer permissiven 68er-Pädagogik ziemlich gleichgültig ist. Seit damals werden Begriffe wie Anstand, Benehmen, Respekt und Rücksichtnahme, oder auch Bürgersinn und Bürgertugenden als gestrig belächelt und gezielt heruntergemacht.

Die Konsequenzen ernten heute die Pädagogen selbst, indem das Unterrichten zunehmend schwieriger wird. Schulschwänzen, Zuspätkommen, Stören oder fast unerträgliche Geräuschpegel in Klassenzimmern gehören heute offensichtlich zur Norm. Dass es in diesem Klima – auch für gutmeinende Lehrer – kaum noch möglich ist, den Stoff vollständig zu unterrichten, ist klar; die Kinder zusätzlich auch noch zu „erziehen“, ist damit praktisch nicht mehr möglich; womit sich diese Spirale wohl in den nächsten Jahren weiter drehen wird.

Schulschwänzen in Absurdistan

Ein trauriger Schildbürgerstreich der Spät-68er-Pädagogik ist dieser Tage – nach monatelangen (!) Verhandlungen – in Kraft getreten: Von der Unterrichtsministerin wurde ein „Maßnahmenpaket“ vorgestellt, das nachhaltiges Schulschwänzen eindämmen soll. Ein fünfstufiges (!!) Verfahren ist vorgesehen: Auf ein Gespräch zwischen Schüler/Erziehungsberechtigten/Lehrer folgt Stufe II (die Einschaltung von Schülerberatern oder Schulpsychologen). Nützt das auch nichts, wird erst in Stufe III über die rechtlichen Schritte im Fall weiterer Schulrechtsverletzungen informiert. Ändert sich wieder nichts, wird in Stufe IV die Jugendwohlfahrt eingeschaltet. Nach maximal vierwöchiger Überprüfung könnte es dann zu Stufe V kommen – die Verhängung einer Geldstrafe bis maximal 440 Euro.

Ein Staat, der in einer solchen Materie ein derart langwieriges (bis zu 14 Wochen!) hochbürokratisches Prozedere vorgibt, nimmt sich wohl selbst nicht ganz ernst. Obwohl dieses System einen gewissen Charme für andere Rechtsbereiche hätte: etwa bei Falschparken, Schnellfahren oder Fahren ohne Vignette. Wäre da nicht erst ein klärendes Gespräch mit dem Parksheriff angebracht, dann vielleicht psychologische Beratung et cetera? Auch so kann man den Rechtsstaat ad absurdum führen.

Der inspirierende und stets gut formulierende Philosoph Rudolf Burger hat dies einmal auf den Punkt gebracht: „Wir leben nicht wirklich in einer liberalen Gesellschaft, sondern in einer Massengesellschaft. Der Liberalismus als konstitutive Lebensform war an das klassische Bürgertum geknüpft, das verschwindet. Was in traditionalen Gesellschaften durch Brauchtum, Traditionen geregelt war, wird in einer atomisierten Massengesellschaft zur Aufgabe einer staatlichen Ordnung.“

„Part of the game“?

Aber nicht nur in den trivialen Niederungen des Verhaltens im öffentlichen Raum werden zunehmend Verbote und Gebote angedacht, auch im Bereich der Wirtschaft und Politik glaubt man immer stärker, mit Regulierungen Verhaltensweisen erzwingen zu müssen. Wo sind die Zeiten, als es etwa noch so etwas wie Handschlagqualität gab oder einen ungeschriebenen, aber allseits stillschweigend akzeptierten Comment?

Am Anti-Korruptionsrecht wird seit 2008 herumgedoktert, weil eben nicht mehr alle Politiker in dem Land wissen, was „part of the game“ ist. Eine Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde eingerichtet und auch das Kartellrecht wurde dramatisch verschärft. Der letztjährige Untersuchungsausschuss zu diversen halbseidenen bis korrupten Vorgängen ist noch in unguter Erinnerung. Aufgrund des Salzburger Spekulationsskandals sollen nunmehr „Spekulationsverbote“ festgeschrieben werden, und es ist noch der Plan in Erinnerung, eine Schuldenbremse in der Verfassung zu verankern.

Selbstverständlichkeiten mit Sanktionen

Ende April beschloss der Salzburger Landtag in Folge des Spekulationsskandals tiefgreifende Reformen in der Verwaltung, wobei ein Punkt besondere Aufmerksamkeit verdient: Hinkünftig sollen – laut Salzburger Nachrichten – „Beamte streng bestraft werden, wenn sie dem Landtag falsche Auskünfte erteilen.“ „Na bumm“, denkt sich der steuerzahlende Bürger und fragt sich, wie das wohl bisher war? In welchen Zeiten, beziehungsweise in welchem gesellschaftlichen Gefüge leben wir, wenn man derartige Selbstverständlichkeiten speziell mit Sanktionen versehen muss?

Wie weit es mit dem politischen Anstand gekommen ist, zeigt auch ein Vergleich bei der Rücktrittskultur, die in Österreich extrem unterentwickelt ist. Der deutsche Bundespräsident Christian Wulff etwa ist im Februar 2012 zu Recht zurückgetreten, weil er Dinge getan hat, die man als Amtsträger nicht tut. Seitdem sind die Ermittler 21 verschiedenen Anlassfällen akribisch nachgegangen und sind in 20 Fällen zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Wulff in seiner Amtszeit als Ministerpräsident weder der Vorteilsannahme, noch der Bestechlichkeit verdächtig gemacht hat. Übrig geblieben ist ein einziger Fall: ein Filmproduzent hatte für ein Hotel-Upgrade, ein Abendessen und Kinderbetreuung die Kosten übernommen. Wulff hatte es abgelehnt, sich mittels einer Spende von diesem Verfahren freizukaufen, es wird also zu einem Verfahren wegen 719,40 Euro kommen.

Blicken wir nach Österreich: Hier haben wir es mit einem Bundeskanzler zu tun, der jahrelang als Stadtrat, Minister und Bundeskanzler dafür gesorgt hat, dass Steuermillionen für Bestechungsinserate in diversen Medien verschwendet werden. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, wir werden wahrscheinlich aber vor den Nationalratswahlen von diesem Verfahren nichts mehr hören. Nach den Wahlen wird es dann wahrscheinlich ebenso still entsorgt werden wie vor kurzem das Verfahren gegen Ministerin Claudia Schmied, die als Managerin maßgeblich an der Milliardenpleite der Kommunalkredit AG, für die nunmehr ebenfalls der Steuerzahler aufkommen darf, mitgewirkt hatte. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat dieses Verfahren zwar mit ihren Untersuchungen gegen andere Beschuldigte bei weitem noch nicht abgeschlossen, sie weiß aber schon jetzt, dass die Ministerin schuldlos ist – eine bemerkenswert prophetische Gabe.

In Deutschland, England, der Schweiz oder Skandinavien wären wohl beide Politiker nicht mehr im Amt, weil sie und ihr Umfeld sowie Medien und Bürger ein Gefühl dafür haben, was eben nicht „part of the game“ ist.

„Napalm“-Wahlkampf?

So ist es auch logisch, warum die SPÖ ein Fairness-Abkommen für den Wahlkampf ablehnt, denn sie hat mit „dirty-campaining“ bereits gute Erfahrungen gemacht: 2006 war es – neben dem schlappen Wahlkampf der ÖVP – vor allem die „Napalm“-Strategie des SPÖ-Wahlkampfleiters Norbert Darabos, der Alfred Gusenbauer damals den überraschenden Erfolg bescherte. Nachdem dieses Rezept gut funktioniert hat, hat es Werner Faymann zwei Jahre später in der Variante eines Gentlemen-Agreement-Bruchs erfolgreich praktiziert.

Wir stehen derzeit mit beiden Beinen bereits im Wahlkampf für die Nationalratswahl. Nicht nur der beachtliche Wahlerfolg von Erwin Pröll macht deutlich, dass mit der ÖVP zu rechnen ist, auch das anständige Ergebnis in Kärnten sowie die Bundesheerbefragung haben gezeigt, dass der Wähler durchaus zu differenzieren imstande ist.

Die Tiroler Wahl, bei der zehn Parteien gegen die ÖVP angetreten sind, brachte nicht den herbeigeschriebenen Absturz; die Wagenburg am Inn hat gehalten, während die SPÖ mit ihren Verlusten wenig überzeugend war. Eine Woche später zeigte sich in Salzburg ein ähnliches Bild, was sogar zu einem Machtwechsel in diesem Bundesland führte. Michael Spindelegger hat 2013 zum „Jahr der ÖVP“ erklärt; der endgültige Befund über diese Ansage steht noch aus. Dass 2013 bislang aber alles andere als das Jahr der SPÖ ist, steht ebenso fest.

Und wenn die SPÖ in einem Wahljahr nervös wird, begeben sich eigentümliche Dinge. So etwa machten Ende April erstaunliche Meldungen die Runde, dass sowohl Kanzler Faymann als auch sein Staatssekretär Josef Ostermayer schon vor Monaten von Luxemburg über die beabsichtigten Änderungen beim Bankgeheimnis informiert worden waren und wohl „vergessen“ haben, die ressortzuständige Ministerin zu informieren. Wenige Tage darauf führte die Causa sogar zu einem ungewöhnlich lauten Theaterdonner Werner Faymanns.

Wie auch immer die Kommunikationsströme in dieser Angelegenheit gelaufen sind, die Taktik, das eigene Land ungeniert international anzupatzen und damit innenpolitisches Kleingeld zu machen, hat in der SPÖ Tradition: man denke noch an die Causa Waldheim (1986) oder die unsäglichen Sanktionen im Jahr 2000. Bewusst wird von der SPÖ – wider allen Koalitionsgeist – bereits die Finanzministerin aufs Korn genommen. Und auch der zugegebenermaßen mehr als ungeschickt agierende Agrar- und Umweltminister wird selbstverständlich vom Koalitionspartner nicht geschont. Da wundert es dann schon niemanden mehr, wenn plötzlich auch die erfolgreiche Gattin des Vizekanzlers und ÖVP-Obmannes Michael Spindelegger thematisiert wird. Die SPÖ dementiert, aber seltsam ist es doch, und manche werden vielleicht schon bedauern, dass Norbert Darabos nicht mehr als glückloser Verteidigungsminister Soldat spielen darf.

Alles Dinge, die man nicht tut – aber wen kümmert das in einem Wahljahr? Und Stan Greenberg wird wieder für die SPÖ tätig sein – man sollte sich noch auf einiges gefasst machen.

Prof. Dr. Herbert Kaspar ist Herausgeber der ACADEMIA, der Zeitschrift des österreichischen Cartellverbandes. Dieser für den Blog aktualisierte Kommentar ist der Mai-Ausgabe entnommen.

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