Rezension: Occupy Money

Kennen Sie den alten Kalauer, in dem die Frage nach den drei dünnsten Büchern der Welt gestellt wird? Die Antwort lautet:
Sammlung italienischer Heldensagen
Alle Rezepte der englischen Küche
Die amerikanische Kulturgeschichte
Mit Occupy Money mutiert dieses Trio nun zum Quartett.

Von der Umschlagrückseite des dürren Bändchens trifft uns der gütige Blick der in der „DDR“ geborenen Autorin, Margrit Kennedy, die als „bekannte Geldexpertin“ vorgestellt wird. Im Buchinneren erfahren wir, dass es sich um eine Architektin, Städte- und Regionalplanerin handelt. Wer, wenn nicht eine Architektin, so fragt man sich, wäre eher dazu berufen, uns in die Geheimnisse des Geldwesens einzuweihen? Wer indessen Aufklärung in Fragen zur Statik von Hängebrücken erheischt, wendet sich im Gegenzug vertrauensvoll an einen Soziologen. Akademische Bildung verleiht bekanntlich Universalexpertise…

Wie der Titel des schmalen Büchleins verrät, möchte Frau Kennedy etwas – nämlich das Geld (wohl unseres, denn ihr eigenes hat sie ja schon) – „In Anspruch nehmen“, „belegen“, oder „innehaben“ (leo.org). Sie hat nämlich, nachdem sie sich, eigenen Angaben zur Folge, schon 30 Jahre lang an der Frage abgearbeitet hat, was denn an unserem Geldsystem verkehrt ist, zum Ziel gesetzt, zur Geburtshelferin für ein „neues, wertbeständiges Geld“ zu werden.

Die Antwort auf die bohrende Frage, worin denn nun der Fehler im rezenten Geldsystem besteht, wird – um die Spannung des Lesers nicht ins Unerträgliche zu steigern – gottlob bereits auf der ersten Seite des Vorworts gegeben. Es ist – erraten! – der Zins. Wer hätte das gedacht? Mit erfrischender Chuzpe stellt die Autorin ohne alle Umschweife klar, dass ihr scharfer Blick für das, was sie für die Wahrheit hält, aus dem Umstand resultiert, von keinerlei Sachkenntnis getrübt urteilen zu können.

So macht sie sich etwa daran – gestützt auf das abgelutschte Klischee vom Josephspfennig – die Perfidie des Zinseszinseffekts „nachzuweisen“, der langfristig angeblich jedes Geldsystem zusammenbrechen lässt. Dass Zinseszinsforderungen nur dann entstehen, wenn der Debitor nicht einmal die Zinsforderungen bedient (was gewöhnlich nur bei hochgradig dubiosen Schuldnern der Fall ist), bleibt unerwähnt. Auch die in Kreisen von auf dem Gebiet der Nationalökonomie dilettierenden Laien beliebte Herstellung einer Verbindung des Geldsystems mit „Krebszellen“ fehlt nicht.

Dass das derzeit herrschende Schuldgeldsystem selbstverständlich jene staatsnahen Klüngel begünstigt, die am großen Rad drehen, wird von der Autorin zwar richtig erkannt; indes folgen dem korrekten Befund aber nicht die logisch richtigen Schlüsse.

Leider hat Kennedy sich nicht tief genug in die einschlägige Literatur vertieft, sonst wäre ihr kaum verborgen geblieben, dass der Zins keineswegs ein notwendigerweise mit der Existenz eines intermediären Tauschmittels (Geld) verknüpftes Phänomen ist, sondern vielmehr aus der Tatsache resultiert, dass Menschen die augenblickliche Verfügbarkeit einer Sache deren in der Zukunft liegenden Verfügbarkeit vorziehen. Die Differenz beider (Nutz-)Werte resultiert aus der individuellen Zeitpräferenz – das heißt, aus der Bereitschaft, auf den Erwerb und die Nutzung einer Sache zu warten. Folglich würden auch in einem geldlosen Tauschsystem Zinsforderungen nicht verschwinden, sondern eben in Natura eingefordert und abgegolten werden.

Indem sie betont, beim „zinsbasierten Geldsystem“ handle es sich um ein (willkürliches) „Konstrukt“, offenbart Kennedy ein beachtliches Defizit an ökonomischem Basiswissen. Denn noch niemals wurde – bis zum Übergang zu einem staatlich monopolisierten Schwundgeld – ein Geld- oder Zinssystem einfach am grünen Tisch beschlossen. Geld und Zins waren ursprünglich vielmehr das Produkt der „spontanen Ordnung“ (Hayek). Es lohnt an dieser Stelle nicht, die zum Teil recht kuriosen Einlassungen der Autorin in sämtlichen Facetten zu schildern. Alle führen am Ende in ermüdender Weise immer zur Zinskritik zurück.

Die "Lösungen" der Architektin

Wir kommen daher sofort zum furiosen Finale, das der Präsentation von Alternativmodellen gewidmet ist. Tauschringe und Regionalgeldsysteme sind durchaus konventioneller Natur und können – so lange sie nicht ins Radar des um seine Einnahmen bangenden Fiskus geraten – durchaus funktionieren.

Eher in die Abteilung „Skurriles“ sind Ideen à la Bildungs- oder Gesundheitswährung einzuordnen. Hier blüht der staatliche Paternalismus in Reinkultur. Die hoheitliche Regulierung privater Lebensbereiche soll mittels geldwerter Gutscheine oder (erzwungener?) Präventionsmaßnahmen ins Werk gesetzt werden.

Kennedys Vorliebe für die skurrile Gesell´sche Freigeldidee wird offenbar, wenn sie eine „globale Referenzwährung“ vorstellt, die sich auf eine hochkomplizierte Warenkorbdeckung und „Standkosten“ (das bedeutet einen Negativzins für Geldhalter!) stützt. Vollends in die kollektivistische Ecke gleitet die Autorin ab, wenn sie von einer „CO2-Währung“ schwadroniert, die „…jedem Menschen ein gesetzlich garantiertes, individuelles Teileigentum an der gemeinsamen Atmosphäre“ zuspricht.

Wenige Seiten später heißt es dann folgerichtig: „Wenn man es genau nimmt, gehört das Land auf dem wir leben, uns allen. Deswegen würde die Vergabe des Landes über Erbpachtverträge wesentlich größeren Nutzen stiften als der Privatbesitz an Land…“ Kommentar überflüssig. Wer das Privateigentum derart rabiat angreift, legt die Axt an die Wurzeln unserer Zivilisation. Hier probt Kennedy unverhüllt einen Aufstand gegen die Vernunft (K. Popper)!

Die für viele Intellektuelle typische Geringschätzung der Autorin für privates Eigentum und ihr kritikloser Glaube an die Überlegenheit kollektiver („demokratischer“) Entscheidungen – gerade in Geldangelegenheiten – sind schlagende Beweise für die Richtigkeit des Spruchs „Schuster bleib bei Deinen Leisten“. Um Geldexperte zu sein, reicht es nicht, zu wissen, dass man Geld zum Erwerb jenes Krauts benötigt, das man besser nicht in Unmengen rauchen sollte, wenn man gerade an einem Buch arbeitet.

Es bleibt zu hoffen, dass die von der Architektin Kennedy errichteten Bauwerke eine etwas höhere Belastbarkeit aufweisen als ihre Einlassungen auf dem ihr bis heute augenscheinlich fremd gebliebenen Terrain der Geldtheorie.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

Occupy Money
Margrit Kennedy
J. Kampenhausen Verlag 2011
107 Seiten, broschiert
ISBN 978-§-89901-595-9
€ 10,30

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