Die roten Meinungsmacher (14): Der Himmelskanal: Intellektueller Sturm im Wasserglas

Im Jahr 1984 wird die heimische linke Künstlerelite in helle Aufregung versetzt. Das hat allerdings wenig mit George Orwell zu tun, eher im Gegenteil. Stein des Anstoßes ist der britische TV-Sender SKY CHANNEL oder Himmelskanal, wie ihn einige Zeitungen für ihre Leser ins Deutsche übersetzen.

Die Wiener Kabel-TV will das britische „Kommerzfernsehen“, das seit Anfang des Jahres über den Nachrichtensatelliten ECS/1 ausgestrahlt wird, in ihr Programmangebot aufnehmen. SKY CHANNEL ist der erste TV-Sender, der vom Weltall aus in ein heimisches Kabelnetz eingespeist werden soll. Die öffentlich-rechtlichen Sender aus Deutschland und der Schweiz, die bereits im Wiener Netz zu empfangen sind, werden damals per Richtfunk in die Bundeshauptstadt übertragen.

Mit dem zusätzlichen Privatprogramm will die Kabelgesellschaft ihr bisher recht spärliches Programmangebot erweitern und so neue zahlenden Teilnehmer gewinnen. 1983 sind zwar bereits 270.000 Wiener Haushalte verkabelt, aber nur 90.000 sind tatsächlich zahlende Kunden[i].

Große Aufregung bei den Linken

Das scheinbar harmlose Unterfangen löst aber in weiten Teilen der linken Reichshälfte einen Sturm der Entrüstung aus. Dass erstmals ein ausländisches(!), privates(!!) und kommerzielles(!!!) Fernsehprogramm in Österreich zu sehen sein soll, ist für viele Sozialisten und Intellektuelle einfach nicht hinnehmbar. Eine wilde Diskussion bricht los.

An vorderster Front im Kampf gegen den vermeintlichen britischen Kulturimperialismus und für das heimische Schrebergartenmonopol stehen der ÖGB und die linke Kulturszene. Der ideologische Feind der Linksintellektuellen steht damals schließlich nicht im Osten, sondern im Westen, britisches Kommerzprogramm ist deshalb mindestens genauso kulturzersetzend und abzulehnen wie McDonalds, Walt Disney oder Coca Cola.

Die Interessengemeinschaft der Autoren geht sogar auf die Straße und fordert die sofortige Einstellung des „Analphabetisierungsprogrammes“, wie es die Schriftsteller nennen. Zudem verfassen sie die SKY-CHANNEL-Resolution die unter anderem in dem IG-Autoren-Band „NIE WIEDER 1984“ veröffentlicht wird. Damit hatte George Orwell wohl nicht gerechnet, dass ausgerechnet seine beklemmende Vision dazu missbraucht wird, um ein Rundfunkmonopol zu verteidigen, die Ausstrahlung eines TV-Senders verbieten und damit die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken zu wollen.

Die Autoren, Gewerkschafter und Intellektuellen gehen damit noch einen Schritt weiter als viele andere Monopolbefürworter, sie fordern nicht nur ein Sendemonopol, sondern auch ein ORF-Empfangsmonopol. Eine medienpolitische Maßnahme, die man sonst nur aus kommunistischen, faschistischen und anderen totalitären Systemen kennt.

Angesichts der Richtung, die die Diskussion nimmt, wird selbst dem ein oder anderen hochrangigen SPÖ Politiker mulmig. Helmut Zilk, der in Sachen Rundfunk fast nie die Linie seiner Partei vertritt, warnt deshalb auf einer Diskussionsveranstaltung der IG Autoren: „Und wir werden wohl nicht Gesetze schaffen, die etwa Satellitenprogramme verhindern werden, durch Störsender oder ähnliches, das kann ich mir nicht vorstellen, dass wir das ernstlich wollen.“[ii]

Viel Lärm um nichts

Die Autoren befürchten jedenfalls eine Schwächung des ORF (von dem viele von ihnen, dank seiner Monopolstellung, wirtschaftlich in hohem Maße abhängig sind) und eine allgemeine Verflachung des Programms, ja den Niedergang der heimischen Hochkultur. Dass das etwas zu viel der Ehre für SKY CHANNEL ist, beweisen alleine die Tatsachen, dass der Sender erstens anfänglich für gerade mal 90.000 Wiener Kabelhaushalte empfangbar ist und das Programm nur wenige Stunden pro Tag ausgestrahlt wird.

Mehr als ein Prozent Marktanteil in den Wiener Kabelhaushalten sollte das böse ausländische Analphabetisierungsprogramm aber ohnehin nie erreichen. Trotzdem: Damals beschäftigt es die gesamte Innenpolitik und Kulturszene. Selbst Bundeskanzler Fred Sinowatz schaltet sich ein und schreibt  einen beschwichtigenden Brief an die IG Autoren. Inhalt: Man werde die Forderungen der Kulturschaffenden genau prüfen.

Auch die AKM[iii] ist anfänglich gegen die Ausstrahlung, allerdings aus anderen Gründen, sie will die Urheberrechtsfragen geklärt wissen. Von den Protesten der IG Autoren distanziert sie sich.

Wie sieht das Programm, das von Gewerkschaftern und Intellektuellen so heftig bekämpft wird, nun konkret aus? Ein Fernsehprogramm aus der damaligen Zeit gibt Auskunft [iv]

Harmlose TV- und Zeichentrickserien, Musikvideos oder Sportübertragungen erregen also die Gemüter der linken Kulturpessimisten. Warum der ORF mit der Ausstrahlung von „Drei Engel für Charlie“ seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nachkommt, während SKY CHANNEL mit „Charlies Angels“ zur Analphabetisierung beiträgt, obwohl es sich um die selbe Serie handelt, einmal in Synchronfassung und einmal im Original, bleiben uns die kämpferischen Autoren schuldig, zumal ja die englische Version auch zusätzliche pädagogischen Effekte hat. Schließlich sind die Englischkenntnisse der meisten Österreicher ohnehin eher mangelhaft.

Schützenhilfe bekommen die doch nicht ganz so weltoffenen heimischen Autoren von den linken ORF-Kuratoren, die unverhohlen fordern: „Wir müssen jetzt sehr gut und schnell überlegen, wie wir verhindern, dass Ausländer in den österreichischen Markt einbrechen.“[v]

Selbst die Wiener SPÖ, die ja quasi über die Gemeinde am Wiener Kabel-TV beteiligt ist, spricht sich de facto gegen die Verbreitung von SKY CHANNEL aus. Bürgermeister Leopold Gratz ist zwar grundsätzlich für die Einspeisung, allerdings nur, wenn „die Werbeblöcke (…) herausgenommen“[vi] werden. Das Prinzip von kommerziellen Free TV Sendern dürfte Gratz damals noch nicht ganz (oder sehr wohl) verstanden haben.

Jedenfalls ist die Forderung nach einem werbefreien „Kommerzsender“ entweder unglaublich dumm oder unglaublich zynisch. Zudem hätte Gratz wissen müssen, dass das Entfernen von Werbespots aufgrund der Gesetze, die seine eigene Partei 1977 beschlossen hatte, rechtlich gar nicht möglich ist.[vii]

Das ÖVP-Rundfunkprogramm

Die ÖVP versteht die Aufregung in der linken Reichshälfte nicht und setzt sich für SKY CHANNEL ein. In einer Aussendung heißt es: „dem Fernsehkonsumenten wird am besten gedient mit einem möglichst breiten Programmangebot. Neben den ORF-Programmen sollen daher auch andere Programme in möglichst großer Vielfalt in den Kabelnetzen zugänglich sein. Das gilt für in- und ausländische, öffentliche und private Fernsehprogramme (…)“[viii]

Bereits unmittelbar vor der SKY Channel Debatte und aus Anlass der Rundfunkliberalisierung in Deutschland hatte ÖVP Mediensprecher Heribert Steinbauer eine Monopoldiskussion losgetreten. Er hatte die möglichst rasche Einführung von Privatrundfunk gefordert, am besten noch im Jahr 1984. Die wichtigsten Forderungen Steinbauers:

  • Die Post muss die Verkabelung in Österreich erleichtern,
  • Neu zu vergebende Hörfunkfrequenzen zwischen 100 und 108 MHz sollen nur an private Interessenten vergeben werden,
  • Das Parlament soll binnen Jahresfrist ein zweites Kabelrundfunkgesetz vorlegen.

[ix]

„Es lässt sich auf Dauer kein Zaun um Österreich ziehen. Ich halte die Entwicklung für unweigerlich“[x], argumentiert Steinbauer.

Doch genau das würden SPÖ und Gewerkschaft am liebsten tun, Ansätze und Vorstöße in diese Richtung hat es immer wieder gegeben. Die Sozialisten, durch die Umbrüche in den Rundfunkmärkten quer durch Europa ohnehin verunsichert, reagieren auf Steinbauers Vorstoß äußerst gereizt.

Von „mehr als seltsamen Forderungen“[xi], der Zerschlagung des ORF und der Zerstörung von Arbeitsplätzen oder dem „totalen Chaos im Äther“[xii] ist da die Rede. Gegen die Brachialargumentation der regierenden Sozialisten haben Steinbauers Einwände freilich wenig Chancen. So meint der ÖVP-Mediensprecher etwa: „Eine Stärkung der Privatinitiative und eine Verbreiterung des Informationsangebotes würde die Demokratie beleben und die Gefahr der Einseitigkeit verhindern.“[xiii]

Nur Parteilinie darf in den Äther

Aber genau das ist ja der Kern des Problems: die Meinungsvielfalt. So führt etwa AZ-Chefredakteur Peter Pelinka[xiv] neben altbekannten sozialistischen Vorurteilen und Mythen als Argument gegen den Privatrundfunk ins Treffen, dass in Deutschland bei einem der neuen Privatsender „die Nachrichten von Leuten der konservativen „FAZ“ gestaltet werden“[xv].

Noch Fragen? Dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung, neben der Neuen Zürcher Zeitung, die renommierteste Tageszeitung im deutschsprachigen Raum ist und es in ganz Österreich kein einziges Medium gibt, das auch nur annähernd an die hohe journalistische Qualität der FAZ herankommt, kümmert den Chefredakteur des vor sich hin dümpelnden sozialistischen Parteiblattes offenbar wenig.

Er zeigt damit lediglich, dass es ihm und seinen Genossen in der Diskussion um die Rundfunkliberalisierung, entgegen aller Behauptungen in diversen Sonntagsreden, weder um journalistische Qualität, noch um Objektivität und schon gar nicht um Meinungsfreiheit, sondern lediglich um Macht, Ideologie und Propaganda geht, oder wie es Franz Manola in der Presse schreibt: „um die Angst vor elektronischen Medien, die sich ihrer Kontrolle entziehen (…)“[xvi]

Die Einstellung der Sozialisten dazu hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in keiner Weise geändert. Bereits 1963 stellte der sozialistische Abgeordnete Josef Kratky unmissverständlich fest: „Für uns sind Rundfunk und Fernsehen Machtfragen“[xvii].

Die Sozialisten haben auch im symbolträchtigen Jahr 1984 ihre strikte Haltung gegen die Rundfunkliberalisierung und gegen die Pressefreiheit mehr als deutlich formuliert. Den von ihnen gesteuerten Monopolrundfunk wollen sie mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Trotzdem erleiden sie eine kleine Niederlage. Der verhasste SKY CHANNEL geht, mangels rechtlicher Handhabe und dank des Einsatzes von Unterrichtsminister Helmut Zilk, wie geplant im Wiener Kabelnetz auf Sendung.

(Die „Roten Meinungsmacher“ erscheint – wie am 6. November erläutert – im wöchentlichen Abstand als Serie im Gastkommentarbereich des Tagebuchs.

Literatur

Brandacher, Stefan: Der Österreichische Rundfunk unter besonderer Berücksichtigung des Kabel- und Satellitenfernsehens. Dissertation Innsbruck 1993

IG Autoren (Hg.): Nie wieder 1984! „Enquete „Neue Medien und ORF“ – Dokumentation einer Veranstaltungsreihe vom 9.-13. April 1984 der Interessensgemeinschaft Österreichischer Autoren und der Österreichischen Hochschülerschaft. Wien 1984

Mocuba, Jutta: Gerd Bacher als Theoretiker und Praktiker des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diplomarbeit, Wien 2000

Endnoten

[i] Siehe Austria Presse Agentur; 20.1.1984.

[ii] IG Autoren (Hg.). 1984, Seite 64.

[iii] Die AKM ist eine Verwertungs- und Urheberrechtsgesellschaft für Komponisten, Autoren, Musikverleger.

[iv] Sky Channel Programm vom 6.2.1984 (Arbeiter Zeitung).

[v] Siehe Die Presse; 26.1. 1984.

[vi] Sozialistische Korrespondenz; 31.1.1984.

[vii] Siehe Brandacher. 1993; Seite 144.

[viii] ÖVP Parteisendung; 25.1.1984.

[ix] Neues Volksblatt; 5.1.1985.

[x] Siehe Die Presse; 4.1.1984.

[xi] Siehe Wiener Zeitung; 4.1.1984.

[xii] Siehe Neues Volksblatt; 5.1.1984.

[xiii] Siehe Neues Volksblatt; 5.1.1984.

[xiv] Pelinka arbeitet später auch für den ORF, sein Sohn Niko Pelinka sorgt Jahre später mit seiner Bestellung zum Büroleiter von ORF Generaldirektor Alexander Wrabetz für große Aufregung.

[xv] Arbeiterzeitung;  4.1.1984.

[xvi] Die Presse; 6.2.1984.

[xvii] Siehe Mocuba. 2000, Seite 17.

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