Die Manstein-Bombe

Seit der missglückten Bestellung von Niko Pelinka zum Büroleiter in der ORF-Chefetage erahnen wir, auf welch tönernen Füßen das Selbstbewusstsein unseres etablierten Journalismus steht. Wirklich wichtig ist die eigene Unabhängigkeit und Unangreifbarkeit – Kritik an der eigenen Zunft hört dieser Teil der vierten Gewalt hingegen gar nicht gerne.

Als nun Hans-Jörgen Manstein in HORIZONTonline die „Amtsmissbrauchs-Journaille“ wegen der penetranten Enthüllungspolitik ins Visier nahm (http://www.horizont.at/home/horizont-access/detail/amtsmissbrauch-journaille.html), leistete eben jene den Offenbarungseid. Mansteins Behauptung, dass sich der Berufsstand wegen des Degradierens „zum selbstgerechten Warten auf den Amtsmissbrauch“ ruiniere; seine Andeutung, dass es in den Ermittlungsbehörden einen Journaldienst für Geheimnisverrat gäbe und seine in den Raum gestellte Befürchtung, dass Bestimmungstäterschaft nicht auszuschließen sei, sprengten die Toleranzgrenzen des Enthüllungs-Establishments.

Ein Ignorieren war nicht mehr möglich. Statt sich mit der scharfzüngigen Kritik allerdings sachlich-niveauvoll auseinanderzusetzen, benahm sich die journalistische Twitter-Gemeinde wie eine Gruppe von Klosterschwestern, an denen gerade ein Mann im Adamskostüm vorbeigehuscht ist. Man versuchte einander in der nach oben offenen Empörungsskala zu übertreffen und genoss das Gemeinschaftsgefühl der wechselseitigen Solidaritätsbekundungen. Den Vogel schoss ein Falter-Journalist ab, der Manstein schlicht als „ahnungslos, dumm, verleumderisch“ sowie als „Schande für die Branche“ bezeichnete.

Diese Empfindlichkeit steht Journalisten, die sich für Sauberkeit und Aufklärung einzusetzen vorgeben, nicht gut an. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wer Amtsmissbrauch anprangert, muss sich auch sagen lassen, Nutznießer jenes Amtsmissbrauches zu sein, den undichte Stellen regelmäßig im Namen höherer Werte begehen. Wo ständig Krieg für den Frieden geführt wird, kann der Verdacht der Heuchelei nicht ewig unterdrückt werden.

Im Namen – angeblich – höherer Werte? Kann man einer Bevölkerung, die Journalisten und Politiker oft auf der gleichen moralischen Ebene sehen, verübeln, wenn sie im Geheimnisverrat keine edles Motiv erkennt, sondern den Verdacht des zielgerichteten Anfütterns mehr oder weniger deutlich artikuliert? Können diejenigen, die die Öffentlichkeit mit selektiven Informationen speisen, noch gut schlafen, oder haben sie von denen, die sie verfolgen, genug gelernt, um sich nicht mehr fürchten zu müssen?

Erlaubt muss auch die Frage sein, für wie verlässlich man eine Quelle halten darf, die offensichtlich das Amtsgeheimnis bricht? Wie wendet man die journalistische Sorgfaltspflicht auf einen Beamten an, der sich gerade strafbar macht? Zeigte nicht das seinerzeitige Interview mit einer falschen Pflegerin in der Familie Schüssel, dass auch ein Aufklärungsmagazin nicht vor zweifelhaften Informationen gefeit ist?

Immer dann, wenn die Maschinen der Empörungsindustrie angeworfen werden, weiß der unbeteiligte Dritte, dass die Gegenseite mundtot gemacht werden soll. Wenn jemand auf Kritik nicht mit Argumenten antwortet, dann meist deshalb, weil es keine Argumente gibt.

Manstein hat mit seiner Stellungnahme eine Bombe gebaut. Gezündet haben sie die Betroffenen, als sie die Nerven verloren.

Manstein ist nicht die Schande der Branche.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt mit Schwergewicht auf Gesellschaftsrecht und Wahrnehmung von Aktionärsinteressen in Publikumsgesellschaften.

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