Die Iden des März: Gefahr im Nahen Osten

Zwischen den Aufregern zur Jahreswende – Wulff und der Untergang eines Kreuzfahrtschiffes – blieb eine Meldung zwischen den Zeilen fast unbemerkt: Nämlich, dass wieder ein iranischer Atomphysiker von Attentätern getötet wurde. Das ist das fünfte derartige Ereignis binnen weniger Wochen. Dass dahinter direkt oder indirekt nur Israel stecken kann, ist vielleicht nicht allzu schwer zu erraten. Nur was das bedeutet, ahnen wahrscheinlich nur wenige. Für die Wirtschaft hat es jedenfalls Megakonsequenzen.

Ich erinnere mich an die frühen sechziger Jahre. Damals hat Ägypten unter Nasser an ballistischen Raketen gebastelt. In seinen Diensten standen damals ein paar deutsche Raketentechniker, die noch auf Erfahrungen aus dem V-2 Programm Wernher von Brauns in Peenemünde zurückgreifen konnten. Eines Tages erreichten diese Leute Postsendungen mit tödlichen Geschenken. Der eine starb, der andere verlor ein Auge und seine Finger etc. Die ausländischen Techniker reisten ab.

Gamal Abdel Nasser beendete sein Raketenprogramm. Dafür hatte er bald eine neue Idee. Die ägyptische Flotte verhängte eine Sperre im Roten Meer und blockierte damit den wichtigen israelischen Hafen Eilath – damals nur für Kenner eine interessante Touristendestination. Nasser fühlte sich stark, weil er die Sowjets an seiner Seite wusste, die eben den Assuan-Staudamm fertiggestellt hatten, und weil er doch mit Nikita Chruschtschows Hilfe im Oktober 1956 die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien aus dem Suezkanal vertrieben hatte.

Also verlegte er jetzt auch schwere Truppenverbände in den Sinai und schloss mit Syriens Machthaber Assad und Jordaniens jungem König Hussein einen Verteidigungspakt. Diese Partner mobilisierten ebenfalls am Golan, in Ostjerusalem und bei Akaba. Die Israelis kamen zu dem Schluss, dass wieder einmal ihre Existenz tödlich bedroht war – und handelten.

Es folgte ein Luftschlag mit modernen zu Bombern umgebauten Mirage-Düsenjägern, welche die kombinierten Luftwaffen von Ägypten, Syrien und Jordanien binnen weniger Stunden vernichteten. Zugleich stießen israelische Panzerverbände im Sinai vor und erreichten nach vier Tagen den Suezkanal, wo sie schon einmal – im Oktober 1956 – halt gemacht hatten. Damals hatte sie US-Präsident Dwight Eisenhower – Oberkommandierender für Europa der Alliierten im Zweiten Weltkrieg – zum Rückzug gezwungen.

Diesmal – Juni 1967 – saß Lyndon Baines Johnson im Weißen Haus, der bereits mit dem Vietnam-Krieg genug Sorgen am Hals hatte. Überraschenderweise hielten nun auch die Russen still. Zwanzig Jahre massenhafter Lieferungen von High-tech-Waffen an die Araber lagen nur mehr als Schrott in der Wüste. So war der israelische Sieg auch zur Niederlage der Sowjetunion geworden.

Die Syrer waren keine leichten Gegner, aber ohne Luftwaffe hatten sie keine Chance und bald hissten die Israelis auf dem 2814 m hohen Hermonberg ihren Davidstern. Am schwierigsten waren die Jordanier zu knacken. In Ostjerusalem wurde von Haus zu Haus gekämpft und dort befand sich ja auch das große islamische Heiligtum, der Felsendom. Nach drei Tagen nahmen die Überlebenden des Holocaust die Klagemauer in Besitz. Nach 1898 Jahren war wieder das ganze Jerusalem in jüdischer Hand.

Iran: Nukleare Bedrohung Israels

Überspringen wir die folgenden leidvollen 45 Jahre mit wenigen genutzten und vielen nicht genutzten Friedenschancen. Wieder sterben heute Wissenschaftler, Techniker und Kommandanten – diesmal von Atomprogrammen. Wieder droht ein nahöstlicher Politiker mit der Sperre einer wichtigen internationalen Wasserstraße, durch die ein Drittel des weltweiten Ölbedarfs geschleust wird. Und wieder bereitet sich Israel auf einen Luftschlag vor. Die Zeichen sind eindeutig. Er wird heuer stattfinden und er könnte auch eine nukleare Komponente beinhalten.

Im Herbst 2008 waren sich George Bush und Bibi Netanjahu einig, dass man gemeinsam gegen den Iran losschlagen sollte. Eine Atommacht im Nahen Osten neben Israel sollte nicht toleriert werden. Könnte sich der Iran als solche etablieren, dann würden auch die Türken, die Saudis und die Ägypter diese Abschreckungswaffen haben wollen. Sogar dem grünen Joschka Fischer wurde bei diesem Gedanken schlecht.

Als ein amerikanisches Suchkommando im Herbst 2003 den grausamen Saddam Hussein aus einem Erdloch zog, beendete kurz darauf der iranische Präsident Mohammad Khatami das iranische Atomprogramm, das schon vom Schah Reza Pahlevi gestartet worden war, und Muammar Ghaddafi enthüllte und beendete sein Atomprogramm und wurde dafür zum Dank nach Rom und Paris eingeladen. Aber der neue iranische Präsident pfiff ab 2005 auf alle Warnungen Israels und des Westens, setzte die Uranzentrifugen wieder in Betrieb. Sein Argument: wenn Pakistan und Israel Atomwaffen haben dürfen, dann können sie ihm nicht verwehrt werden. Da hat er Recht, das ist die Logik der Gerechtigkeit.

Es gibt aber auch eine Logik der Macht. Und hinter der steht immerhin die größte Militärmacht der Welt, die USA, und mit ihr der gesamte Westen. Vor allem aber reizt das die  stärkste Militärmacht im Nahen Osten, Israel, das wahrscheinlich über 200 Atombomben verfügt, genug, um von Marrakesch bis Teheran alles auszulöschen, was einen Schleier trägt. Und die Israelis haben ein starkes Argument: „Die Araber und Perser können sich viele Fehler und Rückschläge erlauben, aber bei uns, in Israel, kann schon ein einziger Fehler zur Vernichtung unseres Landes führen“.

Das war im Herbst 1973 schon beinahe der Fall gewesen. Nassers Nachfolger, Anwar Sadat, erwischte die Israelis auf kaltem Fuß, griff zum höchsten jüdischen Feiertag Yom Kippur überraschend an, überquerte den Suezkanal und brachte die urlaubenden Streitkräfte Israels im Sinai in schwerste Bedrängnis. Als die Amerikaner unter Präsident Richard Nixon und seinem Außenminister Henry Kissinger nicht sofort reagierten, aktivierte Premierministerin Golda Meir die „Samson-Option“ und man begann Atomwaffen aus den Bunkern zu holen und zu aktivieren, während in Südrussland 80.000 sowjetische Fallschirmjäger mobilisiert wurden, um in Syrien zu landen.

Amerika erwachte blitzschnell aus seiner übermäßigen Beschäftigung mit der Watergate-Affäre und erklärte weltweiten „Alarm Orange“ – das heißt: „Volle Bereitschaft für nuklearen Kampf“. Gleichzeitig wurde eine Luftbrücke nach Tel Aviv eingerichtet, über die nun Tag und Nacht militärischer Nachschub nach Israel rollte. So viel, dass dem Kommandanten der Südfront, Arik Sharon, der Kamm schwoll und in einer wagemutigen Aktion 900.000 ägyptische Soldaten bei Port Said einkesselte. Mittlerweile hatte Anwar Sadat auch „Kunde“ von der „Operation Samson“ bekommen. Vier Jahre später hat ihn dieser Schrecken veranlasst, nach Jerusalem zu fliegen und mit den Israelis Frieden zu schließen.

Die Belohnung dafür war der israelische Abzug aus dem Sinai, der Friedensnobelpreis gemeinsam mit dem einstigen Kämpfer der Untergrundarmee Irgun Zwei Leumi, Menachem Begin, und zuletzt eine tödliche Kugel durch die Moslem-Brüder, deren damaliger informeller Anführer Ayman al-Zawahiri als alter ego von Osama bin Laden noch immer in Waziristan oder vielleicht auch in Bangladesh sitzt und auf die nächste Drohne der Amerikaner wartet.

Die Gefährlichkeit des Mahmud Ahmadinejad

Das alles sei erzählt, um besser zu verstehen, was uns in diesem Jahr noch erwartet. Die Ermordung von Menschen, die mit dem iranischen Atomprogramm zu tun haben, ist nur der Auftakt einer größeren von Jerusalem geplanten Operation. Ahmadinejad wird längst begriffen haben, dass es auch ihm persönlich an den Kragen geht. Aber seine Verblendung erlaubt es ihm nicht, daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

Eine Gruppe von Psychiatern in Tel Aviv hat ihn analysiert und sie kamen zu dem Schluss „Er ist ein zweiter Hitler“. Und das ist kein Stammtischgeschwätz, sondern der unausgesprochene Name eines politisch-militärischen Programms zur Köpfung der iranischen Führung. Und Israel hat mit gezielten Tötungen gute Erfahrungen gemacht. Da war der Abbruch des Ägyptischen Raketenprogramms. Man hat sich blutig an den Attentätern des „Schwarzen Septembers“ von den Olympischen Sommerspielen 1972 gerächt. Da wurden solange die Führer der Hamas liquidiert, bis diese endlich Ruhe gaben und die Selbstmordattentate in Israel einstellten.

Und der gelungene Präventivschlag von 1967 ist jedem Israeli noch in guter Erinnerung. Auch die Vernichtung des irakischen Atomreaktors Osirak Anfang der 80er Jahre hatte keine negativen Folgen nach sich gezogen, genau so wenig wie im September 2006 die Ausschaltung eines nordkoreanischen Plutoniumreaktors im Norden Syriens. Russland und China blieben schweigsam (und in Deutschland gab es noch keinen Außenminister Westerwelle).

Dies führt zur Schlussfolgerung, dass sie es wieder tun werden. Und zwar noch heuer, 2012. Erst kurz vor Weihnachten hat der israelische Staatspräsident Shimon Perez das Mantra wiederholt. „Wir werden keine iranische Atombombe dulden“. Und der israelische Generalstabschef rechnete vergangenen Herbst mit der Fertigstellung einer iranischen Bombe für diesen März. Was immer dagegen geschehen muss, es sollte nach Meinung der Israelis noch davor geschehen. An den Iden des März wurde im Jahr 44 vor Christus Julius Cäsar ermordet und seither gilt die Zeit rund um den 15. März als Metapher für drohendes Unheil.

Mahmoud Ahmadinejad, den Peter Pilz beschuldigt, in Wien am 13. Juli 1989 einen ranghohen Kurdenführer und zwei seiner Mitarbeiter ermordet zu haben, und den unser späterer Bundespräsident Thomas Klestil (damals unter Alois Mock Generalsekretär im Außenministerium) still und leise nach Teheran ausreisen ließ, steht also auf jener Liste israelischer Kommandos, die sie bald zu liquidieren haben, darunter auch den religiösen Führer Ajatollah Khamenei und andere radikale Typen, die vor zwei Jahren das Ergebnis einer Parlamentswahl massiv gefälscht haben, um die Hoffnung der Iraner auf mehr Freiheit und Frieden zu begraben und die Konfrontation mit Israel als Staatsräson zu festigen. Der folgende legendäre „grüne“ Protest der Jugend – ein Vorläufer des „Arabischen Frühlings“ – wurde in Blut erstickt.

Was uns im Kriegsfall erwartet

Es wird eine sehr komplexe Operation sein. Noch von der Bush-Regierung her besteht der Plan, den Iran im Fall eines Krieges mit 40.000 Cruise Missiles einzudecken. Falls die Iraner ein US-Schiff angreifen, ist es so weit. Die Zieleinrichtungen sind programmiert, die Raketen und Drohnen befinden sich an ihrem Standort im Indischen Ozean, und alles ist längst ausfinanziert. Bush wollte im Herbst 2008 zuschlagen, und das war einer der Gründe, warum der Ölpreis damals Amok lief und damit die Finanzkrise indirekt auslöste. Der damals neue Verteidigungsminister Robert Gates hatte ein Veto eingelegt.

Ob das gut oder schlecht war, muss sich noch zeigen. Obama hat dann den Israelis auch die Lieferung von bunkerbrechenden Bomben verweigert. Was dazu führen könnte, dass Israel „gezwungen“ ist, die in die Berge hineingetriebenen Teststollen für Atomexplosionen mit kleinen Atombomben „unbrauchbar“ zu machen. Welch Ironie: Die Israelis zünden im Berg nukleare Sprengsätze, um dort die Explosion von Atombomben zu verunmöglichen!

So viel zum Ernst der Lage. Der Iran ist mit russischen Waffen und Flugabwehrsystemen hoch gerüstet und verfügt auch über eine beachtliche Eigenproduktion, was Ahmadinejad dazu verleiten könnte, es darauf ankommen zu lassen. Israel wird bluten, die Amerikaner werden verwundet sein und die Weltwirtschaft könnte einem Kollaps entgegeneilen. Da brauchen wir vom Tourismus gar nicht erst zu reden.

Drei versenkte Öltanker in der Straße von Hormuz reichen für einen katastrophalen Ausfall der Ölversorgung der Welt. Und eine iranische Rakete auf einen US-Flugzeugträger könnte mit einem Schlag tausend Matrosen das Leben kosten. Und dass dann die Hizbollah im Libanon wieder Raketen auf Israel regnen lässt und genauso die Hamas aus dem Gazastreifen, darf erwartet werden.

Offen ist, ob die Perser nicht schon längst über eine Atomwaffe aus anderen Quellen verfügen. Da gab es 1993 Gerüchte über drei nukleare Panzergranaten, die ihren Weg aus sowjetischen Beständen in Tadschikistan nach Teheran gefunden hätten, da gab es 1996 eine Auflistung verschollener Nuklearwaffen in einem Bericht General Lebeds an den russischen Präsidenten: „Der Verbleib von 46 Kofferbomben und 70 Gefechtsfeldwaffen kann nicht mehr eruiert werden“. Und da gibt es die jungen Nuklearmächte Pakistan und Nordkorea, die nachweislich Informationen über den Bau von Atombomben an den Iran weitergegeben haben und – wer weiß – vielleicht auch eine fertige Bombe.

Das würde die Aggressivität und den Leichtsinn von Ahmadinejad erklären, der eine Konfrontation geradezu herbeizulechzen scheint. In einem Spiegel-Interview sagte er es schon vor Jahren ganz offen: „Eine einzige Atombombe genügt, um ganz Israel zu zerstören“. Ob der meist gut informierte Mossad darüber schon etwas weiß? Ahmadinejad glaubt an das Erscheinen des Zwölften Imam im Zuge einer großen Krise. Der Retter des Islam wird dann die Juden vernichten.

Der Einsatz von Nuklearwaffen wird zum Schock des Geschehens eine zusätzliche Dimension beisteuern, auch wenn dabei mitten in einer Bergwüste kaum Menschen zu Schaden kommen werden. Es könnte das Tschernobyl und Fukushima für die Militärindustrie sein. Und es würde den Abrüstungsbemühungen der Großmächte mächtig auf die Sprünge helfen. Für Israel bedeutete es eine Offenlegung seines Nuklearprogramms, und dessen Demontage wäre dann das Hauptthema in den folgenden Verhandlungen über eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten.

Übrigens, ein iranischer Multimilliardär hat auf der Insel Kisch, 20 km nahe der iranischen Küste im Persischen Golf (gegenüber von Qatar und Oman) im Auftrag von Ahmadinejad ein wahres Ferienparadies errichtet, das einen Gegenpart zu Abu Dhabi und Dubai bilden soll. Zu untersuchen wäre dabei wohl auch, inwieweit dort in Camouflage militärische Einrichtungen eingebunkert wurden.

Paul Fischer hat 21 Jahre im Journalismus gearbeitet; er startet nun eine zweite Karriere als Reiseleiter. Demnächst aber nicht im Nahen Osten.

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