Das Ende der Europäischen Union

Bemühungen, die Territorien Europas zu (ver-)einen, sind so alt wie Europa selbst. Ob Julius Cäsar, ob Karl der Grosse, ob Napoleon, sie alle hatten so etwas im Auge, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen politischen Vorstellungen.

Nach der Katastrophe der zwei Weltkriege des zwanzigsten Jahrhunderts fanden sich sendungsbewusste Männer, die in einer dauerhaften europäischen Einigung mit wirtschaftlichem Schwerpunkt den besten Weg sahen, um sicherzustellen, dass von europäischem Boden kein bewaffneter Konflikt mehr ausgehen werde. So edel diese Grundidee, und so positiv die Bemühungen waren: Es zeigt sich, dass diese „Europäische Union“ nicht der richtige Weg in ein geeintes Europa ist, sondern, im besten Falle, ein Transitorium, wenn nicht, wie schon viele Versuche vor ihr, eine Sackgasse.

Die 1957 aus der Taufe gehobene EWG entwickelte sich zur EG und schließlich EU; sie erlebte Erfolge und Stagnationsphasen, missglückte und (scheinbar) gelungene Befreiungsschläge. Eines allerdings ist sicher: Von allem Anfang an gelang jedes Krisenmanagement, jede Überwindung eines toten Punktes nur dann, wenn damit eine Flucht nach vorne verbunden war.

Die Süderweiterung

Die Tatsache, dass die damalige „Konkurrenz“ zur EWG, die EFTA, nicht gerade ein Erfolgsmodell war, spätestens ab dem Zeitpunkt, als ihr das zwar relativ kleine, aber wirtschaftlich starke Dänemark, vor allem aber das Vereinigte Königreich an die EWG abhanden gekommen waren, gab der EWG Auftrieb. Vor allem könnten damals möglicherweise schon vorher vorhandene Überlegungen internationaler sozialistischer Kreise ernste Gestalt angenommen haben, nämlich der „kapitalistischen“ EWG nicht von außen Konkurrenz zu machen, sondern sie von innen zu unterwandern.

Hervorragende Instrumente hiefür bildeten die von ihren diktatorischen Regimes befreiten Staaten Südwest- und Südosteuropas: Spanien, nach einem kurzen bürgerlichen Zwischenspiel vom Sozialisten Gonzales regiert. Portugal, unter der Herrschaft des Sozialisten Soares, letztlich Griechenland, nach dem Sturz der „Obristen" von der – zumindest damals – parakommunistischen „Pasok“ beherrscht (mit Folgen, die wir alle bis heute leidvoll zu spüren bekommen).

Die „Süderweiterung" wurde angepeilt, verhandelt und verwirklicht. Und weiter geschah, außer, dass großzügige Überweisungen nach Spanien, Portugal und Griechenland flossen, zunächst  nicht viel.

Die Neutralen werden umworben

Dringend musste daher nun ein neuer Impetus erfolgen. Neue Kandidaten wurden gefunden: Der Rest der EFTA, die neutralen Staaten Schweden, Finnland und Österreich; die Schweiz und Norwegen lehnten das scheinbar großzügige Angebot dankend ab.

Der EU-Beitritt Österreichs erfolgte sogar mit freudiger 2/3 Unterstützung durch die Bevölkerung. Objektiv gesehen war der Ausgang der damaligen Verhandlungen jämmerlich, und das für Österreich magere Ergebnis trug bereits den Keim aller Probleme in sich, die wir heute mit  Brüssel haben.

Die Osterweiterung

Im Jahre 2004 wurden zehn weitere neue Mitglieder in die Union aufgenommen, der grösste Teil von ihnen früher Satelliten- oder sogar Teilstaaten der Sowjetunion, und viele von ihnen, da man sie in den Jahren 1989 und danach im Stich gelassen hatte, wieder unter stramm sozialistischen Regierungen.

Spitzenpolitiker mehrerer neuer EU-Mitglieder hatten Probleme, ihre kommunistische Herkunft schönzureden. Ein paar solcher ehemaliger Sowjet-Kommunisten bekleideten vorübergehend sogar hohe Ämter in Brüssel. War es daher nur Zufall, dass der formelle Beitritt am ersten Mai, dem traditionellen Fest- und Aufmarschtag der Marxisten, erfolgte?

Somit war – vorerst – das politische Kalkül aufgegangen, allerdings um einen hohen Preis, nicht nur an Subventionsleistungen für die neuen Mitglieder, sondern vor allem durch die Verunsicherung der Bevölkerungen in den bisherigen Mitgliedsstaaten.

Die Sorge, dass sich, ausgehend von den „Neuen“, Kriminalität und durch Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft gewachsenes Mittelmass in die ganze Union ausbreiten könnten, fand volle Bestätigung und ließ die kritischen Stimmen immer lauter werden: Diese Osterweiterung sei zu schnell, zu ungenau, vor allem aber unproportional gewesen (fünfzehn Altmitgliedern standen zehn neue gegenüber!): Alles völlig zutreffende Bedenken; sie wurden von Kritikern, aber auch von klugen Pro-Europäern immer wieder vorgebracht, allerdings stets als Miesmacherei abqualifiziert.

Der missglückte Versuch einer nächsten Erweiterungsrunde

Was nun folgen musste, war  – wir kennen das ja schon – eine neuerliche Flucht nach vorne. Zwei Staaten, Rumänien und Bulgarien, wurden leichtsinnig, im Schnellverfahren und ohne ihren alles andere als europareifen Zustand zu berücksichtigen, in die Union aufgenommen, mit bekannten Folgen.

Im Falle Rumäniens wurde  zudem nicht bedacht (oder  bewusst  in Kauf genommen?), dass man mit seiner Aufnahme die größte Roma- und Sinti- Population Europas (nach Schätzungen – genaue Daten gibt es ja zumindest offiziell nicht – mehrere Millionen Menschen!) zu EU – Bürgern gemacht hat.

Peinliche Mängel an Europareife bestehen aber nach wie vor auch bei anderen Jung- Mitgliedern wie u. a. Tschechien, Ungarn, Slowenien und – leider – auch den Staaten des Baltikums, die durch ihr Verhalten in jüngster Zeit bewiesen haben, dass sie offenbar noch sehr viel zu lernen haben. Dafür muss das bereits wesentlich fortgeschrittenere Kroatien viel zu lange warten – warum wirklich, will offenbar keiner sagen. Und die Frage, ob es ein EU-Mitglied Türkei geben wird, könnte sich mittelfristig relativieren oder ganz erübrigen.

Der Anfang vom Ende

Das – gar nicht so unwahrscheinliche – Szenario könnte sein: Unübersichtlichkeit und Heterogenität von rund dreißig Mitgliedsstaaten bringen es so weit, dass die Union schlicht und einfach unvollziehbar wird. Die Brüsseler Bürokratie trägt redlich das Ihre dazu bei, indem sie sich mit so wichtigen Problemen wie der Normung der Autonummern, dem Verbot von Glühbirnen, der Untersuchung von chinesischem Kinderspielzeug und ähnlichen weltbewegenden Dingen beschäftigt, aber bei der Bewältigung echter Herausforderungen, wie etwa der Ende 2008 ausgebrochenen weltwirtschaftlichen Turbulenzen, jämmerlich versagt.

Besonders deutlich wird die Unfähigkeit der Union in diesen Tagen durch den dilettantischen Umgang mit der Krise um und in Griechenland (zu der es ja überhaupt nicht hätte kommen dürfen, wenn die Brüsseler Bürokraten aufmerksam genug gewesen wären). Auf das beschämend hilflose Stegreiftheater rund um den Euro, der immerhin, ob es uns gefällt oder nicht, unsere Währung ist, einzugehen würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen.

Es ist daher durchaus nicht so unwahrscheinlich, dass Kommission und Bürokratie in Brüssel zu einem – nicht mehr so fernen – Zeitpunkt so sehr mit sich selbst und Problemen von der Wichtigkeit der vorher erwähnten beschäftigt sind, dass sie gar nicht bemerken, wenn ihre Richtlinien zunächst in einzelnen, dann in immer mehr und schließlich in allen Mitgliedsstaaten nicht mehr ernst genommen werden. Wichtige Entscheidungen fallen ohnedies schon heute wieder in den Mitgliedstaaten selbst oder in bilateralen Konsultationen, jedenfalls weit an Brüssel vorbei – siehe Weltwirtschafts- und Griechenlandkrise.

Die Kommission in Brüssel wird aber natürlich weiter kommissionieren, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg weiter judizieren, das Amt für amtliche Verlautbarungen (das gibt es tatsächlich, und es heißt auch wirklich so!) wird weiterhin amtlich verlautbaren, das Parlament wird parlieren, hoch bezahlte Beamte werden auf (auch unsere) Tobin-Steuerkosten kreuz und quer durch Europa düsen und Konferenzen und Enqueten abhalten.

Die im Gefolge des Vertrages von Lissabon erfolgte Bestellung von Mickymaus-Politikern zu den höchsten Repräsentanten der EU bestätigt den Weg Brüssels in Richtung Entenhausen: Was hat, beispielsweise, Herr van Rompuy in den letzten Wochen für eine Rolle gespielt, außer der des Haus(hof)meisters?

Und die Kommissionsmitglieder – allen voran die unselige Frau Reding – verteilen in grandioser Selbstüberschätzung Zensuren, die ihnen nicht zustehen, und zeigen auch sonst, dass sie nicht verstehen oder verstehen wollen, welch geringen Stellenwert sie eigentlich haben.

Fazit

Was bleibt, ist unendlich viel wertloses bedrucktes Papier und eine sinnlos gewordene Europa-Hauptstadt ohne Europa:  Das ehedem gemütlich-provinzielle Brüssel als sinnentleerter Themenpark, wo in hässlichen postmodernen Büropalästen die (teure) Reality-Show „Wie beschäftige ich tausende überflüssige, aber hoch bezahlte Mitarbeiter, ohne, dass sie ernsthaften Schaden anrichten“ gespielt wird: Außer Spesen nichts gewesen.

Schade um die viele Arbeit und die Unmengen von Geld, die in diese Sackgasse investiert wurden. Eine vergebene Chance. Aber zum Trost möge gereichen, dass ja auch alle früheren europäischen Einigungsversuche gescheitert sind. Und so viel klüger als in den vergangenen zweitausend Jahren waren die Menschen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eben auch nicht. Warum hätten sie es auch sein sollen?

Harald Rassl, geboren 1943, lebt in Wien. Er war mehr als 35 Jahre in der Kreditwirtschaft tätig.

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