Wolfgang Schüssel: Der letzte Staatsmann verlässt die Politik

Ich erinnere mich noch genau an jenen Tag, an dem ich zu einem Anhänger der Politik Wolfgang Schüssels wurde – und zu einem Wähler jener Partei, die ich mit ihm verband. Es war während jener hitzigen Tage der Regierungsbildung der ersten Schwarz/Blauen-Koalition, die von der österreichischen und der vereinten europäischen Linken mit an Niedertracht kaum zu überbietenden Mitteln verhindert werden sollte.

Es waren jene Tage, in denen die Mehrheit meiner politischen Mitschüler einen „Faschismus“ heraufziehen sahen. Wolfgang Schüssel blieb in jenen Tagen ein Fels, ein Fels in einer Brandung der Irrationalität und des hysterischen Gekeifes. Er war das, was Österreich seit Jahrzehnten schmerzlich missen musste: ein Staatsmann.

Heute hat sich Wolfgang Schüssel aus dem Nationalrat verabschiedet – der letzte Staatsmann verlässt die Politik – und mit seinem Abgang wird die ÖVP das, was sie offensichtlich sein will: Eine spießige Opportunisten-Vertretung mit farblosen und faden „Führungs“-Personen. Die ÖVP hat nicht erst seit Michael Spindelegger jeden Rest an konservativer Glaubwürdigkeit eingebüßt. Vergessen sind jene Tage, in denen sich Wolfgang Schüssel klar zu einem konservativen Weltbild bekannte und seine Politik zumindest in Ansätzen konservative Politik umzusetzen versuchte.

Vergessen sind jene Tage, in denen Wolfgang Schüssel die verkrustete Sowjet-artige Republik Österreich aufbrach und eine neue Politik zumindest zu etablieren versuchte. Und vorbei sind jene Tage, an denen man sich alleine rhetorisch nicht schämen musste, wenn der Bundeskanzler den Mund aufmacht. Wolfgang Schüssel war gewiss viel, allen voran ein, in seiner Lebensführung bescheidener, kompetenter Kanzler.

Gewiss, die blau-orange Chaostruppe war immer ein unberechenbarer Faktor. Gewiss, die blau-orange Fraktion war nie das, was man verlässlich nennen konnte und gewiss, es war absehbar, dass es irgendwann in den Reihen des blau-orangen Koalitionspartners zu Schwierigkeiten kommen würde. Aber und das ist das große Aber: welche Wahl hatte Schüssel? Sollte er etwa mit einer SPÖ koalieren, die Österreich an den Rand des Ruins katapultiert hatte? Ein Koalitionspartner bleibt eine eigenständige Partei; die Linke will nun Schüssel anschütten, ob ihr das gelingt bleibt abzuwarten. Die Verbrechen unter der Ägide des „Sonnenkönigs“ Kreisky werden freilich nicht  angesprochen – warum auch, links bleibt man blind.

Zumindest partiell war die Ära Schüssel für Konservative eine kurzzeitige (sehr kurze) Verschnaufpause, man konnte sich in der Gewissheit wiegen, dass Konservatismus und Kompetenz ein Geschwisterpaar sind, daran ist unter anderen auch Martin Bartenstein maßgeblich beteiligt gewesen. Schüssel hätte, wäre die Grüne-Partei eine echte „grüne Partei“ und kein linksextremer Haufen, die Koalition mit den Grünen andenken müssen, aber auch hier hatte er keine Wahl. Dabei wäre eine Schwarz-Grüne Regierung die ideale Konstellation. Denn der ÖVP fehlt in der Tat in weiten Bereichen ökologisches Gewissen, den Grünen fehlt hingegen die gesellschaftspolitische Wertbasis. Dies würde aber voraussetzen, dass die Grünen wirklich „grün“ und die Schwarzen wirklich „schwarz“ wären, was heute beidseitig kaum noch der Fall ist.

Wären wir in einem anderen Land, so könnte man hoffen, dass Wolfgang Schüssel einen konservativen Think-Tank gründet und so seine Ideen weiterverbreitet. Wir leben aber im Österreich des 21. Jahrhunderts und es scheint, dass dem Konservativen nur das Träumen bleibt. Was wir aber tun sollten, ist Wolfgang Schüssel einen ehrenvollen Abschied zu bereiten und uns die Hoffnung zu bewahren, dass er nicht der letzte seiner Gattung ist.

Johannes Auer ist Publizist. Seine Haupt Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind das Verhältnis von Religion und Staat. Auer forscht ebenso intensiv auf dem Feld  des „Traditionalismus“. Auer betreibt zudem aktiv biologischen Landbau.

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)
Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung