Irgendwie sind die Theoretiker des Kollektivismus in der Schuldzuweisung doch konsequent: Wo immer ein Verbrechen begangen wird, sucht sie die Schuld nicht beim Täter, sondern beim politischen Gegner.
Als in den siebziger Jahren die RAF Deutschland mit ihren Terroranschlägen überzog sollte, „das System“ daran schuld sein. Der Kapitalismus hatte Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Genossen angeblich zu jenen Gegnern des herrschenden Systems gemacht, die nicht anders konnten, als mit Waffengewalt ihrer Frustration Ausdruck zu verleihen.
Wenn heutzutage ein Herr B. in Norwegen einen Terrorakt verübt, sollen wiederum andere daran schuld sein: Nämlich jene, die beispielsweise vor der Islamisierung Europas gewarnt haben. Kaum auszudenken, welche Theorien mit einer Verallgemeinerung eines solches Ansatzes vertretbar wären.
Jede attackierte Schwiegermutter könnte – gesamtgesellschaftlich gesehen – als ein Opfer aller Schwiegersöhne gesehen werden, die durch ein einmaliges böses Wort gegen die ungewollte Verwandte ein Klima der Intoleranz geschaffen haben. Wer die modernen Theoretiker der Kollektivschuldthese agieren sieht, mag sich fragen, was diese den (ewig)gestrigen Theoretikern ähnlicher Thesen intellektuell entgegen zu setzen haben.
Unsere moderne Strafrechtskultur baut auf dem Grundgedanken der Individualschuld auf. „Keine Strafe ohne Schuld“ ist ein Prinzip des Strafgesetzbuchs. Wäre „das System“ oder irgendwelche politische Bewegungen an Verbrechen schuld, dürften wir die Verbrecher gar nicht verurteilen.
Gerade ganz furchtbare Verbrechen rufen uns in Erinnerung, dass Freiheit auch bedeutet, dass sich der einzelne für das Böse entscheiden kann. Manche wünschen sich eine idealisierte Welt herbei, in der das Böse ausgerottet ist und alles Schlechte ein Auswuchs von Krankheit sei. Damit wäre das Prinzip der Verantwortung für das eigene Tun allerdings abgeschafft.
Dass wir Menschen nicht nur frei sind, Gutes zu tun, sondern auch Böses zu verbrechen, mag für einige erschreckend sein. Genau genommen liegt darin das „Drama der Freiheit“, weil uns niemand die Verantwortung für unser eigenes Tun abnimmt. Dass auf der anderen Seite jeder Mensch auch für das Gute, das er begeht, verantwortlich zeichnet, mag für die einen ein Trost sein. Für die anderen ist es eine Quelle von Hoffnung und Gerechtigkeit.
Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt mit Schwergewicht auf Gesellschaftsrecht und Wahrnehmung von Aktionärsinteressen in Publikumsgesellschaften.
Ich musste 1945 als Zwölfjähriger, mit Mutter und Schwester im tschechischen Aussiedlungslager, einen weißen Aufnäher "Nemec" (Deutscher) auf meiner armseligen und verschlissenen Jacke tragen, gleich dem gelben Judenstern der armen Menschen kurz vorher!
Seit damals weiß ich, was mit Kollektivschuld gemeint ist!
gerhard@michler.at
Dieses Missstand ist in den Kontext (lehrbarer!) Beweisumkehr und dem systematischen Aus-dem-Verkehr-Ziehen persönlicher Verantwortung zu stellen. Diese wird relativierbar und damit obsolet.
Der unheilvolle Mechanismus beginnt bereits in der Schule: Schlechte Lernerfolge infolge falsch gewählten Schultypus, nicht gegebener Eingangsvoraussetzungen (Mindesteignung, mangelnde Arbeitshaltung und Belastbarkeit) unterliegen als „insuffiziente Unterrichtserfolge“ des Lehrers zunächst der Verantwortungs-Umkehr“, denn „die Schule“ hat „zu wenig motiviert“, es wurde „nicht begabt“, „zu wenig individualisiert“. In weiterer Folge kommt der „entlastende“ Verweis auf ein „obsolet gewordenes System“, weil ja "der bürgerliche Bildungskanon unwirksam gemacht werden müsse“ (Zitat eines Vertreters in der höheren Entscheidungsebene unseres Bildungssystems, der sich eigentlich weitgehend damit identifizieren müsste).
So wird jedes Scheitern, aber auch voraussehbar nachhaltig-Schädliches dem Bereich der persönlichen Verantwortung entzogen, als „unverschuldete Konsequenz“ dem Kollektiv überantwortet, Opfer-Täterrolle beliebig austauschbar.
Dass selbst bei schwerem Fehlverhalten de facto den Lehrern alle disziplinären Mittel genommen wurden, wird damit begründet, dass es als „Auflehnen gegen ein als ungerecht empfundenes System“ interpretiert wird; tut das eine Gruppe, in der sich der Einzelne in der Anonymität versteckt, darf schon aus formalrechtlichen Gründen nicht vorgegangen werden, da es Kollektivstrafen nicht gibt.
So geht es in vielen Bereichen weiter: Schuld an den Konsequenzen für voraussehbar scheiternde Schuldenpolitik ist „die Krise“, „die Banken“, „die Zocker“, letztlich „das System“ (frei erweiterbar), in jedem Fall irgendeine anonyme Instanz,. der wählerkaufende Politiker ist längst aus dem Amt, um je für objektive ruinöse Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden zu können. Und nötigenfalls hat er diese „aus externen Sachzwängen“ getroffen, um wieder exculpiert, wenn nicht gar „Verdienst-voll“ (man beachte die Doppelbedeutung) gewesen zu sein.
Bei den gesellschaftspolitischen Beispielen wird der Realität entsprechend sehr gut vom Autor aufgezeigt, daß die Kollektivschuld wiederholt eindeutig einer bestimmte Richtung zugeordnet wird (weitere Beispiele wären noch möglich!). Wem diese Instrumentalisierung nutzt, muß wohl nicht detailiert angeführt werden.
So gesehen wird die Freiheit allzuoft durch Eigennutz und Machtpolitik eingeschränkt. Da bleibt nurmehr ein kleiner Spielraum, welchen man denn doch wieder in Eigenverantwortung nutzen muß = klein, aber fein!
Die Erbsünde war immer schon ein gutes Geschäft. Wenn man die Medien in der Hand hat und die Meinung steuern kann, lässt sich damit gut verdienen.