Frieden und Heil oder Kampf und Gewalt? – Die wahre Leseart des Koran

Nach den Anschlägen von 9/11 ist der Islam wie kein anderes Phänomen ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit gerückt. Zwar beeilte sich Präsident Bush festzustellen, dass nicht der Islam das Problem sei, sondern der Terrorismus, der diesen missbrauchen würde. Aber die Welt begann sich zum ersten Mal flächendeckend für die Glaubensgrundlagen dieser Lehre zu interessieren.

Schnell waren ein paar Koran-Zitate ausfindig gemacht, die als Beleg für den Hang zur Gewaltbereitschaft angegeben wurden. Doch der im Westen weit verbreitete Relativismus und die große Zahl der in Europa und den USA bereits lebenden Muslime konnten eine wirklich kritische Betrachtung des Islam nicht mehr zulassen. „Muslime, die mit überwiegender Mehrheit friedliche Ziele verfolgen und bloß arbeiten und ihre Familie erhalten wollen, dürfen keinem Generalverdacht ausgesetzt werden“, war die neue Parole, der doch wohl kaum etwas entgegengesetzt werden könne. Eine kritische Darstellung des Islam dürfe daher keinesfalls dafür benützt werden, um Muslime zu diskriminieren, ihnen mit Vorurteilen zu begegnen und sie mit Stereotypen zu pauschalieren.

Der Koran enthalte viel Gutes, so der versöhnliche Grundtenor der veröffentlichten Meinung. In ihm sei der Glaube an den einen Gott, der unbedingte Respekt vor der Würde des Menschen als Geschöpf Gottes und die Verbindlichkeit einer Moral grundgelegt, die alle Menschen als gleichwertige Wesen miteinander verbinden würde. All das würde doch die großen monotheistischen, d.h. die „abrahamitschen“ Religionen einen.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wurden dem dankbaren Publikum einschmeichelnde Koranverse vorgeführt, die beweisen würden, dass der Islam die Religionsfreiheit ebenso respektiere wie die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, Frieden als Höchstwert betrachte und Gewalt verabscheue. Sowie dass er die universelle Kooperation der Menschen verfechte und dass alle Verse, die zum Beweis des Gegenteils zitiert werden, missinterpretiert oder aus dem Zusammenhang gerissen werden würden. Selbst hyperkritische Koranrezipienten müssten doch, so lautet die Minimalvariante dieser Entlastungsoffensive, zugestehen, dass man den Koran im ungünstigsten Fall auf zwei verschiedene Arten lesen könne – friedliebend oder aggressiv, tolerant oder dogmatisch, menschenrechtskonform oder schariatisch, rechtsstaatskompatibel oder willkürherrschaftlich.

Die Sicht des Islam liege dann eben im Auge des Betrachters, und das könne nur bedeuten, dass man die gutwilligen Kräfte unter den Muslimen durch Respekt und Dialogbereitschaft stärken und den irregeleiteten Kräften durch wohlwollende Koexistenz und geeignete soziökonomische Maßnahmen jede Basis der Radikalisierung entziehen müsse. Für unerwünschte Verhaltensweisen sei – auf der Basis dieser Beurteilung – nicht der missbrauchte Islam, sondern eine islamophobe, kreuzritterliche oder kolonialistische Grundhaltung des Westens verantwortlich zu machen.

Was steht wirklich im Koran?

Die folgende Kurzanalyse soll die Grundlinien einer religionssoziologischen Bewertung der Mainstream-Position, die wir soeben skizziert haben, in die Topographie des Islam einzeichnen. Sie muss dabei so vorgehen, dass sie zunächst die wichtigsten Koran-Belege, die den Islam-Befürwortern zur offensiven Entlastung und positiven Darstellung dienen, zitiert bzw. zur Geltung bringt und jeweils im Anschluss mit als beängstigend empfundenen Versen kontrastiert. Danach sind objektive Kriterien anzuwenden, anhand derer allfällige Widersprüche aufgelöst werden können bzw. die eine oder die andere Lesart des Koran als „die richtige“ begründbar ist.

Als Quelle für eine repräsentative Wiedergabe von „sympathischen“ Koran-Zitaten wird hier der Vortrag des angesehenen  Univ.Prof. Dr. El Sayed El Iraqi Mansour herangezogen, den dieser unter dem Titel „Die Haltung des Muslims gegenüber dem Anderen gemäß der Qur´anischen Offenbarung“ im Rahmen eines Symposions der Islamischen Religionspädagogischen Akademie in Wien hielt. Diese Arbeit ist mehrfach publiziert worden (z.B. in der Informationsschrift der Islamischen Religionsgemeinde Linz, Nr. 34 – 3/1999) und stützt seither die Argumentation zahlreicher islamfreundlicher Internetforen.

Vier angeblich im Koran grundgelegte Prinzipien des Islam sollen im Folgenden untersucht werden:

  1. Das Prinzip der Respektierung des Menschen als Mensch, ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe oder seine Religion
  2. Das Prinzip der freien Glaubensausübung
  3. Das Prinzips der Kooperation mit anderen Menschen, darunter auch mit den Nichtgläubigen
  4. Das Prinzip, dass der Islam zum Frieden und Heil für alle anderen Menschen in der Welt (sei), ob sie nun Gläubige sind oder nicht

Der besseren Übersicht halber werden „sympathische Verse“ fett  abgedruckt, „problematische“ Verse hingegen kursiv.

Das Prinzip der Respektierung des Menschen als Mensch, ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe oder seine Religion:

„Und wahrlich, Wir haben die Kinder Adams geehrt und sie über Land und Meer getragen und sie mit guten Dingen versorgt und sie ausgezeichnet. Eine Auszeichnung vor vielen, die Wir erschaffen haben“ (Sure Al-Isra – Die Nachtreise 17/Vers 70).

„O ihr Menschen, Wir haben Euch als Mann und Frau erschaffen, und Euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander erkennen mögt. Wahrlich, vor Allah ist von euch der Angesehenste, welcher der Frömmste ist.“ (Al Hugurat – Die inneren Zimmer 49/13).

Hat man hier als Leser das Gefühl, dass in diesen Zeilen ein überzeugendes Plädoyer für die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Unveräußerlichkeit ihrer Würde gehalten wird? Empathie suchen wir in diesen Worten vergeblich. Ist es bloß orientalische Unverbindlichkeit im sprachlichen Ausdruck, die beim westlichen Leser die Frage aufkommen lässt, welches Anliegen denn hier eigentlich vermittelt werden soll?

Als besonderes Verdienst des Islam wird von dessen Vertretern und Sympathisanten stets die Überzeugung kommuniziert, dass das religiöse Bekenntnis keinerlei Einfluss auf die Wertschätzung des Einzelnen haben darf. Die Behauptung einer toleranten und respektvollen Einstellung gegen Juden und Christen besitzt in der islamischen Selbstdarstellung nach außen jedenfalls einen herausragenden Stellenwert. Die juden- und christenfreundliche Einstellung sei in folgenden Versen unauslöschlich zum Ausdruck gemacht:

„Wahrlich, Wir hatten die Thora, in der Führung und Licht war, herabgesandt. Damit haben die Propheten, die sich (Allah) hingaben, den Juden Recht gesprochen, und so auch den Rabbinern und den Gelehrten unter ihnen wurde aufgetragen, das Buch Allahs zu bewahren, und sie waren dessen Hüter.“ (Al Maida – Der Tisch  5/44)

„Wir ließen ihnen Jesus, den Sohn Marias, folgen; zur Bestätigung dessen, was vor ihm in der Thora war, und wir gaben ihm das Evangelium, worin Rechtleitung und Licht war.“ (Al Maida - Der Tisch 5/46)

„Und Er (Allah) befahl mir (Jesus) Gebet und Zakat (Sozialabgabe) solange ich lebe.“ (Maryam – Maria 19/31)

Im Übrigen sei es ein Beweis für die Wertschätzung der anderen Buchreligionen, dass der Koran eine ganze Sure nach dem Namen der Mutter Jesu („Maryam“) benennen und eine andere mit dem Beinamen „Banu Israel“ (Stamm Israel) versehen würde.

Es fällt jedoch auf, dass die hier als vermeintliche Wertegrundlage ins Treffen geführten Verse reine Sachverhaltsdarstellungen enthalten, die mit einer gewissen Distanziertheit vorgetragen werden. Keineswegs wird hier der Eindruck einer zielstrebigen Programmatik vermittelt. Was also soll aus diesen Passagen gefolgert werden?

Ist es möglicherweise das Prinzip des interreligiösen Dialoges? Zum Zweck seiner koranischen Absicherung werden jedenfalls folgende Verse angegeben:

„Sprich: Oh Volk der Schrift, kommt herbei zu einem gleichen Wort zwischen uns und euch, dass wir nämlich Allah allein dienen und nichts neben ihn stellen und dass nicht die einen von uns die anderen zu Herren nehmen außer Allah.“ (Al Imran – Die Familie Amrans 3/64).

Allah allein dienen zu wollen und nichts neben ihn zu stellen (ihm niemanden „beizugesellen“, wie der häufig verwendete koranische Ausdruck lautet), ist allerdings nichts anderes als der Inhalt der Schahada, das heißt des islamischen Glaubensbekenntnisses. Wer dieses spricht, ist automatisch Angehöriger des Islam. Was bei oberflächlicher Betrachtung als Einladung zum Dialog gelesen werden mag, ist in der Tat eine Aufforderung zur Konversion. Dementsprechend ist auch die Dialoganmutung zu verstehen:

„Und streitet nicht mit dem Volk der Schrift; es sei denn auf die beste Art und Weise.“ (Al Atkabut – Die Spinne 29/46).

Als „beste Art und Weise“ muss wohl die Feststellung begriffen werden, dass alle, die das islamische Glaubensbekenntnis verweigern, als „Ungläubige“ begriffen werden. Ungläubige sind also keineswegs einfach nur „Nicht-Gläubige“.

„Diejenigen, die Allah und seinen Gesandten verleugnen und zwischen Allah und seinem Gesandten einen Unterschied machen wollen. … das sind die wahren Ungläubigen.“ (Al Nisa – Die Weiber 4/150-151).

„Und wer nicht an Allah und seinen Gesandten glaubt – siehe für die Ungläubigen haben wir das Höllenfeuer bereitet.“ (Al Fath – Der Sieg 48/13).

Der Koran lässt keinen Zweifel daran, dass er unter „Ungläubigen“ auch „uneinsichtige“ Christen verstanden wissen will:

„Ungläubig sind die, die da sagen, dass Gott der Messias, der Sohn Marias ist.“ (Al Maida – Der Tisch 5/72).

„Ungläubig sind diejenigen, die da sagen, dass Gott der Dritte von Dreien ist.“ (Al Maida – Der Tisch 5/73).

Unter diesem Gesichtspunkt muss gefragt werden, was wohl das Prinzip der religiösen Toleranz bedeuten soll, das der Islam für sich reklamiert, z.B. unter Verweis auf solche Verse:

„O ihr, die ihr glaubt! Lasst nicht eine Schar über eine andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene, noch (lasset) Frauen über andere Frauen (spotten), vielleicht sind diese besser als jene. Und verleumdet einander nicht und gebt einander keine Schimpfnamen.“ (Al Hugarat – Die inneren Zimmer 49/11).

Wenn dies erst genommen werden soll, wieso hält sich dann Allah selbst nicht an diese Vorgabe?

„Wir sprachen zu ihnen (den Juden): Werdet ausgestoßene Affen.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/65, vgl. auch Al Araf – Der Scheidewall 7/166).

Diese Ansage lässt eine erste Ahnung über die Stoßrichtung der Umsetzung des Prinzips der Respektierung des Menschen als Mensch aufkommen. Kann diese Ahnung durch weitere „sympathische“ Verse zerstreut werden? 

Das Prinzip der freien Glaubensausübung

„Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem unrichtigen. Wer nun an die Götzen nicht glaubt, der hat gewiss den sichersten Halt ergriffen, bei dem es kein Zerreißen gibt.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/256).

Dieser Vers wird mit dem wohl am häufigsten zitierten Entlastungsargument eingeleitet. Nicht selten wird dabei mit triumphalistischer Gewissheit skandiert: Jetzt ist wohl jeder Zweifel über die friedliebende Kernkompetenz des Islam beseitigt. Was wird zur Bekräftigung dessen im Koran noch aufgeboten?

„Sprich: O ihr Nichtgläubigen! Ich diene nicht dem, dem ihr dient, und ihr dient nicht dem, dem ich diene. Und werde nicht Diener dessen sein, dem ihr dient, und ihr dient nicht dem, dem ich diene. Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion.“ (Al Kafirun – Die Ungläubigen 109/1-6).

„Und sprich: Es ist die Wahrheit von Eurem Herrn. Wer will soll glauben, wer nicht will, soll nicht glauben!“ (Al Khaf – Die Höhle 18/29).

Sind das überzeugende Belege des Prinzips der Religionsfreiheit? Welches Gewicht haben sie im Gesamtkontext? Diese Frage erhebt sich angesichts von ganz anders lautenden Versen. Denn der Koran sagt auch (und das sogar in derselben Sure, aus der das erste der drei obigen Zitate stammt):

„Wer von euch seiner Religion abschwört, soll getötet werden, er ist ein Ungläubiger. Die Taten solcher Menschen werden noch in dieser Welt vereitelt, eben so wie im anderen Leben. Sie werden die Hölle erben und in ihr bleiben.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/217)

Aber ist nicht der folgende Vers ein Beweis für Hochhaltung des Dialoges als koranische Grundgesinnung?

„Rufe zum Weg deines Herrn mit Weisheit und schöner Ermahnung auf und disputiere mit ihnen auf die beste Art.“ (An Nahl – Die Bienen 16/125)

Wie stellt sich der Koran angesichts dieses einsamen Verses eine schöne Ermahnung vor? Sind die folgenden Verse als Operationalisierung des Konzepts eines offenen Disputes zu begreifen?

„Die Juden sagen: Esra sei ein Sohn Gottes, die Christen sagen, der Messias sei Gottes Sohn. Allah bekämpft sie, von wo aus sie auch lügen.“ (Al Tauba – Die Buße 9/30)

„Bekämpft sie, damit es keine Beigesellung mehr geben wird und bis die Religion nur für Allah sein wird.“ (Al Anfal -Die Beute 8/39, Al Baqara – Die Kuh 2/193)

„Bekämpft die, die nicht an Allah und den jüngsten Tag glauben, die nicht heilig halten, was Allah und sein Gesandter geheiligt haben, und die Religion der Wahrheit nicht anerkennen, von denen, welche die Schrift empfingen, bis sie Tribut (Geziaha) zahlen und gering sind.“ (Al Tauba – Die Buße 9/29)

Aber sind diese drastischen Aufforderungen nicht wenigstens auf ein Jenseits-Regime Allahs beschränkt, während den Gläubigen im Diesseits Toleranz und der Verzicht, über andere zu urteilen, geboten sind? Der folgende Vers könnte doch so verstanden werden:

„Ihre Rechtleitung obliegt nicht dir, sondern Allah leitet recht, wen er will.“ ( (Al Baqara – Die Kuh 2/272)

Doch dieser Interpretation hält der Koran entgegen:

„O Prophet, bekämpfe die Ungläubigen und die Heuchler und sei streng gegen sie. Ihr Aufenthalt ist die Hölle, noch schlimmer ist die Hinreise.“ (Al Tauba – Die Buße 9/73)

Das Prinzip der Kooperation mit anderen Menschen, darunter auch mit den Nichtgläubigen:

„Allah verbietet euch nicht, gegen jene, die euch nicht des Glaubens wegen bekämpft haben und euch nicht aus euren Häusern vertrieben haben, gütig zu sein und redlich mit ihnen zu verfahren; wahrlich Allah liebt die Gerechten.“ (Al Mumtahana – Die Geprüfte 60/8)

Gegen welche Kategorien von Feinden darf nun also gütig und redlich verfahren werden? Wieso wird dieser Vers als prominentester Beleg für das Prinzip der friedlichen Kooperation herangezogen? Soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Kategorie des Verzeihens ein Zentralmoment jeder zivilisierten Form der Konfliktbewältigung ist, ohne die dauerhafte Kooperation unmöglich ist? Aber muss man nicht den Eindruck gewinnen, dass das Prinzip der Vergebung im Islam nicht sehr stark verankert ist, wenn Allah seinem eigenen Propheten folgendes entgegen hält, nachdem dieser ihn um Gnade für die Seele seiner eigenen verstorbenen Mutter gebeten hatte: 

„Nicht steht es dem Propheten und denen, die Glauben, zu, dass sie um Verzeihung bitten für die Götzendiener, und wären sie auch Anverwandte, nachdem ihnen klar wurde, dass sie Genossen des Feuerspfuhls sind.“ (Al Tauba – Die Buße 9/113)

Was hat der Koran noch aufzubieten, um das Prinzip der friedlichen Kooperation mit Anderen, darunter auch Nichtgläubigen, zu untermauern? Prof. Mansour führt ins Treffen, dass die Gleichheit aller Menschen gegenüber Allahs Auftrag ein Angelpunkt sei. Denn alle Menschen seien nach dem Willen Allahs seine Statthalter auf Erden. Dies sei belegt durch:

„Und als dein Herr zu den Engeln sprach: 'Wahrlich ich werde auf der Erde einen Statthalter einsetzen', sagten sie: 'Willst Du auf ihr jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir doch Dein Lob preisen und Deine Herrlichkeit rühmen?' Er sagte: 'Wahrlich, ich weiß, was ihr nicht wisst.'“ (Al Baqara – Die Kuh 2/30)

„Und wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennen lernen möget.“ (Al Hugurat – Die inneren Zimmer 49/13)

Wenn man diesen  relativ aussagelosen Satz schon zum Angelpunkt des Programms einer friedlichen Kooperation machen wollte, müsste man freilich dem Vorgang des „Kennenlernens“ eine speziell optimistische, vorurteilslose Erwartungshaltung gegenüber den „Anderen“ voranstellen. Zum Thema „Abbau von Vorurteilen“ liest man im Koran hingegen:

„Du wirst finden, dass die stärkste Feindschaft gegen die, die glauben (die Moslems) unter allen Menschen die Juden und diejenigen hegen, die (Allah etwas) beigesellen.“ (Al Maida – Der Tisch 5/82)

„Sie (die Ungläubigen) werden nicht aufhören, euch zu bekämpfen, bis sie euch von eurer Religion abgebracht haben, wenn sie es können.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/214)

Was kann einem Moslem also Schlimmeres passieren, als derartige Fremde „kennenzulernen“? Da ist es nur konsequent, das „Prinzip der friedlichen Kooperation“ etwas einzuschränken:

„Du wirst sehen, dass viele von ihnen sich mit Ungläubigen befreunden. Wehe ihnen ob dem, was ihre Seele voranschickt. Darüber entbrennt der Zorn Allahs, und ewig werden sie in der Qual bleiben.“ (Al Maida – Der Tisch 5/81) (Vgl. auch Al Imran – Die Familie Amrans 3/29)

„O ihr Gläubigen, nehmt weder Juden noch Christen zu Freunden; denn sie sind nur einer dem andern Freund (gegeneinander). Wer aber von euch sie zu Freunden nimmt, der ist einer von ihnen, ein ungerechtes Volk leitet Allah nicht.“ (Al Maida – Der Tisch 5/52).

„Ihr Gläubigen! Schließt keine Freundschaft mit solchen, die nicht zu eurer Religion gehören. Sie lassen nicht ab, euch zu verführen, und wünschen nur euer Verderben.“ (Al Imran – Die Familie Amrans 3/119).

Dies muss von Moslems als wirkliche Bedrohung empfunden werden, denn:

„Das Verführen ist viel schlimmer noch als das Töten.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/214)

Der Schutz vor der Verführung ist damit ein Anliegen, dem oberste Priorität zukommt. Dem Schutz vor dem Glaubensabfall und vor der Berührung mit den Ungläubigen ist mit allen zu Gebote stehenden Mitteln Rechnung zu tragen; der Unglaube könnte sich wie eine Ansteckung auf Moslems übertragen.

„Wenn ihr denen begegnet, die ungläubig sind, dann schlagt ihnen den Nacken ab.“ (Mohamed 47/4)

„Bekämpft alle Götzendiener ausnahmslos.“ (Al Tauba – Die Buße 9/36)

„Sie mögen gern, dass ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, sodass ihr (alle) gleich seiet. Nehmt euch daher von ihnen keine Vertrauten, bevor sie nicht auf Allahs Weg auswandern! Kehren sie jedoch ab, dann ergreift sie und tötet sie, wo ihr sie auch findet. Nehmt von ihnen weder Beistand noch Helfer.“ (Al Nisaa – Die Weiber 4/89)

„Greift sie und tötet sie, wir geben euch vollständige Gewalt über sie.“ (Al Nisa – Die Weiber 4/91)

„Tötet sie, wo ihr sie auch findet.“ (Al Bakara – Die Kuh 2/191)

„Schrecken will ich in die Herzen derjenigen setzen, die ungläubig sind. So schlagt ihnen  in die Nacken, schlagt ihnen alle Fingerspitzen ab. Dies, weil sie Allah und seinem Gesandten trotzen. Wer Allah und seinem Gesandten trotzt, wahrlich, für den ist Allah gewaltig in der Bestrafung.“ (Al Anfal – Die Beute 8/12,13)

„Tötet die Ungläubigen, wo ihr sie findet, fangt sie ein, belagert sie und stellt ihnen aus jedem Hinterhalt nach.“ (Al Tauba – Die Buße 9/5)

„Das ist die Vergeltung für die, die Allah und seinen Gesandten bekämpfen, und die Verderben auf Erden anstreben, dass sie erschlagen und gekreuzigt werden, oder ihre Hände und Füße wechselseitig abgeschlagen werden.“ (Al Maida – Der Tisch  5/33)

Die Propagandisten des Islam lassen sich von derartigen Passagen nicht aufhalten, die Tötung im Kampf als bloße Defensivmaßnahme und den Islam als friedliebende Religion darzustellen. Folgende Verse halten sie dabei für ausreichende Belege:

„Und kämpft auf dem Weg Allahs gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/190)

„Wenn sie aber aufhören, so ist Allah allverzeihend, barmherzig.“ (Al Baqara – Die Kuh 2/192)

„Wenn sie jedoch zum Frieden geeignet sind, so sei auch du ihm geeignet und vertraue auf Allah.“ (Al Anfal – Die Beute 8/61)

„Fügt sie sich (die eine Partei der Gegner), so stiftet in Gerechtigkeit Frieden zwischen ihnen und seid gerecht. Wahrlich, Allah liebt die Gerechten.“ (Al Hugurat – Die inneren Zimmer 49/9)

Es bleibt der Beurteilung des Lesers überlassen, ob die letzten vier Aussagen die aggressiven Aspirationen der weiter oben zitierten Verse aufzuheben, zu egalisieren oder auch nur abzuschwächen geeignet sind.

Der Islam ist zum Frieden und Heil für alle anderen Menschen in der Welt (sei), ob sie nun Gläubige sind oder nicht:

Während „Töten im Kampf“ nur als defensive Reaktion gefordert sei, beharren die Islam-Propagandisten im Dialog mit Nicht-Moslems stets darauf, dass das Töten im Allgemeinen nur als eine Art Notmaßnahme zulässig wäre. Denn Leben und Frieden werden als Höchstwerte propagiert.

„Und tötet nicht das Leben, das Allah unverletzlich gemacht hat, es sei denn zu Recht.“ (Al Isra – Die Nachtreise 17/33)

Wann wird die Notmaßnahme des Tötens „zu Recht“ oder „gerechterweise“ ergriffen? Die Islam-Vertreter antworten auch darauf mit einem klaren Koran-Vers:

„Deshalb haben wir den Kindern Israels verordnet, dass wenn jemand einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hätte, oder ohne dass ein Unheil im Lande geschehen wäre, es so sein soll, als hätte er die ganze Welt getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, es so sein soll, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten.“ (Al Maida – Der Tisch 5/32)

Mord ist also jedenfalls „zu Recht“ mit dem Tod zu bestrafen. Das ist allerdings keineswegs der einzige Anlass für eine „gerechterweise“ erfolgende Tötung. Eine solche ist auch geboten, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der als „Unheil im Land“ empfunden wird. Man braucht nicht besonders zynisch zu sein, um zu mutmaßen, dass wohl kaum je eine bewusste Tötung vollzogen wurde, die von deren Vollstrecker nicht als Beseitigung eines „Unheils im Lande“ betrachtet wurde. Dies gilt wohl auch für nahezu jeden Mord selbst. Gibt es daher irgendeine Operationalisierung des Begriffs vom „Unheil im Land“, welche die Tötungsanlässe allenfalls begrenzen würde? Und gibt es eine identifizierbare Instanz, der die Beurteilung des Rechts auf gerechterweise vollzogene Tötung zustehen würde?

Eine erste diesbezügliche Wegweisung geben Prof. Manour und Kollegen mit folgendem Vers, der als moderne Methode der Vermeidung von Vergeltungsexzessen gepriesen wird:

„Und wer da ungerchterweise getötet wird, dessen Erben haben Wir gewiss Ermächtigung (zur Vergeltung) gegeben; doch soll er im Töten nicht maßlos sein; denn er findet (Unsere) Hilfe.“ (Al Isra – Die Nachtreise 17/33)

Die klassische, vom Koran aus dem Alten Testament übernommene, Form des Talionsgebotes ist der logische Umkehrschluss dieser Regel:

„Wir hatten ihnen darin (in der Thora) vorgeschrieben: Leben um Leben, Auge um Auge, Nase um Nase, Ohr um Ohr und Zahn um Zahn, und für Verwundungen gerechte Vergeltung.“ (Al Maida – Der Tisch  5/45)

Das Rache-Gebot wird hier also keineswegs in Abrede gestellt, sondern sogar als Ausdruck eines gerechten Maßhaltens beim Töten bekräftigt. Aber der Vers ist nicht vollständig zitiert. Denn sein zweiter Teil stellt fest, dass die Wahrnehmung der Vergeltung nicht im Belieben des Betroffenen steht.

„Wer es aber als Almosen erlässt, für den ist es eine Sünde. Wer nicht nach dem waltet, was Allah (als Offenbarung) herabgesandt hat, das sind die Ungerechten.“ (Al Maida – Der Tisch 5/45)

Dieses Gebot ist aus der Sicht des Koran nicht verhandelbar: Blutrache ist keine Berechtigung, sondern eine unabdingbare Verpflichtung.

„O ihr Gläubigen, euch ist für Mord Vergeltung vorgeschrieben; für einen Freien einen Freien, für einen Sklaven einen Sklaven, für ein Weib ein Weib.“ (Al Baqara – Die Kuh /178) (Man beachte im Übrigen die Reihenfolge.)

Damit ist die Kette der Logik des Tötens im Islam geschlossen. Jedes einzelne ihrer Elemente wird von den Verteidigern des Islam in paradoxer Weise als Ausdruck der Ordnung des Friedens und des Heils vorgestellt. In der Zusammenschau sollen die einzelnen Elemente nochmals als die Glieder der Kette explizit gemacht werden:

  1. Tötungen sind zur Bestrafung von nicht zu Recht begangenen Tötungen und sonstigem begangenen „Unheil im Land“ zu vollstrecken.
  2. Die Beurteilung, ob ein „Unheil im Land“ vorliegt bzw. ob ein Tötungsakt ungerechter Weise vollzogen wurde obliegt allein dem Betroffenen bzw. dessen Erben.
  3. Die Durchführung der Vergeltung ist ein unveräußerliches Gebot, denn sie ist unmittelbar Ausdruck der Ordnung, die der Koran zu errichten und zu bewahren gedenkt.

Ein gläubiger Durchschnitts-Moslem könnte diese Zusammenfassung kaum als befremdlich empfinden. Und auch ein islamischer Gelehrter müsste eigentlich zufrieden sein, haben wir doch das gesamte Arsenal der verbalen Waffen, die Professor Mansour zur Entlastung des Islam abschießt, wiedergegeben und zur Geltung kommen lassen.

Gegenargumente zur Verteidigung des Islam

Aber die Erfahrung lehrt, dass die Sprache, die gegenüber Nicht-Moslems zum Einsatz kommt, sich von derjenigen des innerislamischen Lehrbetriebes deutlich unterscheidet. Im „interreligiösen Dialog“ wird es daher grundsätzlich nicht geschätzt, wenn die nicht-moslemische Seite Koran-Zitate in den Diskurs einbringt. Denn die Deutungshoheit der islamischen Lehre stünde ausschließlich deren befugten Vertretern, den Imamen, zu. Die Befugnis zur Koran-Interpretation für Nicht-Moslems zu reklamieren  sei definitiv Ausdruck mangelnden Respekts vor dem Dialogpartner und würde die „religiösen Gefühle“ der Moslems verletzen. Dies will selbstverständlich auch der schärfste Kritiker nicht, und so ist der „Dialog“ an dieser Stelle meist auch schon zu Ende.

Die dialogerprobte moslemische Seite hat von der relativistischen Philosophie ihrer westlichen Helfer gelernt und nutzt die betretene Stille ihrer verschüchterten nichtmoslemischen Gesprächspartner, um mit einem erfolgreichen Standardrepertoire jede potentielle Islam-Kritik im Keim zu ersticken:

  1. Unsympathische und bedrohlich wirkende Verse seien grundsätzlich aus dem Zusammenhang gerissen. So könne man theoretisch alles „beweisen“. Im Übrigen seien westliche Leser nicht für das Studium des Korans qualifiziert, da des Hocharabischen nicht mächtig.
  2. Kritiker des Islam würden regelmäßig die positiven, auf Friedensliebe und Koexistenzfähigkeit hindeutenden Verse unterdrücken bzw. nicht zur Geltung kommen lassen. Die wahre Botschaft des Islam sei Friede und Heil. So müsse der Koran auch gelesen werden.
  3. Die Gesamtheit des Islam zu beurteilen und seine wahre Botschaft zu erfassen sei Aufgabe von eigens dazu ausgebildeten Rechtsgelehrten und Theologen. Sie allein seien befugt, scheinbare Widersprüche aufzulösen und die nicht-moslemische Welt adäquat zu informieren. Kein Widerspruch sei letztlich möglich, da der Koran Gottes Wort wäre.
  4. Westliche Beobachter würden zur Generalisierung und damit zur Verkürzung der islamischen Vielfalt neigen. Doch der Islam kenne zahlreiche Ausprägungen und Denominationen. Den Islam (schlechthin) würde es nicht geben.
  5. Die Mehrzahl der Muslime würde sich friedlich und koexistenzbereit sowie in westlichen Gesellschaften integrationsfähig verhalten. Nur eine kleine Minderheit würde den Koran missverstehen und die Religion für radikale politische Zwecke missbrauchen.

Es ist nicht Aufgabe dieser Analyse, vor diesen Argumenten in Ehrfurcht zu erstarren. Vielmehr soll im Folgenden – der Kürze des verfügbaren Platzes entsprechend – kritisch eingegangen werden. 

Ad 1.

Im Koran kann nichts „aus dem Zusammenhang gerissen“ werden, weil es dort keinen Zusammenhang gibt, und zwar weder zwischen den Suren und deren Abfolge noch innerhalb der Suren. Die Suren sind nach dem ausschließlichen Ordnungsprinzip ihrer Länge aneinandergereiht – was soll es da für einen „Zusammenhang“ geben? Auch innerhalb der Suren findet man kaum längere Textpassagen, in denen ein bestimmter Gedanke oder Offenbarungsinhalt (systematisch) entwickelt bzw. entfaltet wird.

(Meist verfälschte) Zitate alttestamentarischer Herkunft werden von allgemeinen ethischen Anweisungen unterbrochen, denen wieder Sequenzen legislativer oder juristischer Andeutungen (Familienrecht, Erbrecht, Strafrecht etc.) folgen, in die wiederum apodiktische Eröffnungen über die Allmacht des einen Gottes oder Imperative zur Tötung von Ungläubigen eingesprenkelt sind. Die Wahrheit ist: Das Ordnungsprinzip des Koran ist nicht etwa das theologische Argument oder die lehramtliche Information über ein zu erschließendes Glaubenssystem, sondern die Errichtung eines rhythmischen (im arabischen Original besonders effektiven) sprachlichen Umfeldes für die Evozierung eines bestimmten Bewusstseins-, Vorstellungs- und Gefühlszustandes des Lesers, d.h. des Gläubigen.

Ad 2.

Aber wenn es im Koran auch keinen „Zusammenhang“ gibt, so gibt es doch sehr wohl einen Geist, der die Substanz der koranischen Botschaft ausmacht und der in diesem sperrigen Buch vorstellig gemacht wird. Dieser offenbart sich in der jeweiligen sprachlichen Färbung, Plastizität und emotionalen Kraft der Abbildung „sympathischer“ Vorstellungen auf der einen und aggressiver Interdikte auf der anderen Seite. Wir haben das gesamte Arsenal der Beleg-Verse der moslemischen Entlastungsoffensive unverkürzt zur Geltung kommen lassen und dabei die hier zur Anwendung kommende relativ schale und ausdruckslose Sprache zur Kenntnis genommen.

Vermeintlich Versöhnliches wird verschwommen, lau, mehrdeutig oder halbherzig zum Ausdruck gebracht. Demgegenüber ist die Sprache der gewaltaffinen, aggressiven und offensiven Verse plastisch, ermutigend, grell und unmissverständlich. Belanglosigkeit dort, Begeisterung hier. Distanzierte Deskription dort – temperamentvolle Handlungsanweisung hier. Die Sprachbilder und die damit in Zusammenhang stehenden Denkfiguren könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie resultieren aus dem Mangel an emotionaler Aufladung im einen und der hochgradigen Präsenz emotionaler Aufladung im anderen Fall.

Das Vergeltungsgebot illustriert dies am Deutlichsten. Maximale emotionale Aufladung liegt vor, wenn die Wut, die Verzweiflung und der Hass des Betroffenen (Geschädigten) zum Referenzkriterium der Durchsetzung einer objektiven Rechtsnorm gemacht werden. Das radikale emotionale Kontrastprogramm dazu bildet das christliche Evangelium: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der Euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn Dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“ (Mt 5, 38-40)

Ad 3.

Seit der Islam die Welt zu unterwerfen versucht, gibt es kein Ende der immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen von Theologen und Rechtsgelehrten um die rechte Lesart der Offenbarungsquellen im Allgemeinen und des Koran im Besonderen. Wer bekommt hier wann und wie jemals Boden unter die Füße? Wo ist die Autorität, die hier endgültige oder zumindest zwischenzeitlich klärende Urteile spricht und bezugsfähige Entscheidungen fällt? Wo sind die Punkte, die etwa im vielgepriesenen Dialog endlich objektiviert und damit „abgehakt“ werden können?

Bereits in der allerersten Entwicklungsphase der islamischen Welt ist der Konflikt um das richtige Verständnis des Koran das dominante Verhaltensmuster aller Beteiligten. Unterschiedliche Rezitationen der zunächst mündlichen Weitergabe der Suren; unterschiedliche Lesarten aufgrund verschiedenster arabischer Dialekte und der (Nicht-)Verwendung diakritischer Zeichen beim Übergang vom Aramäischen ins Arabische; zahlreiche fremdsprachige Begriffe, die unterschiedlich aufgefasst werden können; Konflikte ohne Ende bereits unter den „rechtgeleiteten“ Kalifen und mit denjenigen der Gefährten Mohammeds, die sich als Amtsanwärter gewähnt hatten, jedoch nicht zum  Zug kamen. Noch zu Lebzeiten des Propheten wollte Omar einen der Gefährten töten, weil er über dessen angeblich falsche Suren-Wiedergabe entsetzt war. Der erste Kalif Abu Bakr ließ die unterschiedlichen Sammlungen erfassen und sichten.

Als Kalif ließ Omar diese selektieren und kompilieren. Othman ließ die Sprache des Koran vereinheitlichen, änderte dabei offenbar vieles und setzte sich damit der Todesdrohung von Mohammeds Lieblingsfrau Aisha aus. In der ständigen Auseinandersetzung um den „richtigen Koran“ setzte sich die Geschichte des Islam und seiner Gelehrten – in teils blutigen Auseinandersetzungen – bis zum heutigen Tage fort.

Aber der Mangel an kirchlicher Struktur und Autorität im Islam, das Nichtvorhandensein von Dogmen, von gebotener Objektivierung und verbindlicher Theologie, sind kein Gebrechen des Islam, sondern sein machttechnisches und politisches Erfolgsrezept: Denn der Auslegungsstreit selbst ist der Mechanismus, mit dem der Geist der islamischen Botschaft verbreitet wird, ist das vitale Movens, der zugkräftige Motor, mit dem der Islam seine Ausbreitung findet.

Weil zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem nicht unterschieden werden kann, während der Anspruch gilt, dass der Koran verbindliche Offenbarung Gottes sei, muss jede kleine Abweichung als todeswürdiges Vergehen betrachtet werden. Derartige Vergehen oder ihre Unterstellung sind stets Anlässe für gewaltsame Auseinandersetzungen, im Zuge derer der Anspruch auf die Durchsetzung der wahren Lehre immer mit dem Ziel der Beherrschung eines bestimmten (wachsenden) Territoriums einhergeht. Dieses Strukturmuster des Djihad ist auch die Blaupause des „interreligiösen Dialoges“.

Ad 4.

Das Schlagwort „Den Islam gibt es nicht“, und man müsse das Faktum vielfältiger Formen und Ausprägungen demütig zur Kenntnis nehmen, ist das ultimative Totschlagargument in allen islamkritischen Auseinandersetzungen. Der gebotenen Kürze wegen sei angedeutet, dass dieses plausibel wirkende Argument nur den Zweck verfolgt zu verdecken, dass die Kernelemente des Islam – soweit sie uns als „Außenstehende“ gesellschaftspolitisch interessieren – sehr wohl in allen Denominationen und Rechtsschulen völlig gleich sind.

In der Frage der Stellung der Frau und der Polygamie, im Vergeltungsrecht und betreffend die schariatischen Körperstrafen, in der Stellung der Ungläubigen und in der Behandlung des Glaubensabfalls, im Gottes- und Menschenbild, im Primat unveränderlichen göttlichen Rechts und in der Ritualisierung des Alltagslebens gibt es keine Differenzen. Unterschiede beziehen sich lediglich auf Randphänomene sowie „liturgische“ und formale Aspekte des Glaubensvollzuges.

Solche Divergenzen, die in der Betrachtung durch Außenstehende als belanglos empfunden werden, sind allerdings eine unerschöpfliche Quelle nicht enden wollender Auseinandersetzungen, wie in Punkt 3 gezeigt wurde. Zur Aufarbeitung der gesellschaftlichen und kulturellen Relevanz von islamischen Glaubensgrundlagen ist hier ein deutlich größeres Ausmaß an argumentativem Selbstbewusstsein der nichtmoslemischen Seite unbedingt erforderlich.

Ad 5.

Dass es viele friedliebende, freundliche, koexistenzfähige und harmoniebedürftige Moslems gibt, die auf ehrliche Weise den Unterhalt für ihre Familie zu erwirtschaften trachten, steht außer Zweifel. Wir sind geneigt, solche Muslime als „liberal“ zu bezeichnen und sie damit gegen „fundamentalistische“ abzugrenzen. Unter liberalen Muslimen verstehen wir gemeinhin solche, die Alkohol trinken und sich gelegentlich ein Schweinsschnitzel vergönnen, die ein Spielchen im Casino wagen, deren Frauen keine Kopftücher tragen und deren Töchter sich ihre Freunde bzw. Ehemänner selbst aussuchen und die allenfalls auch Miniröcke tragen.

Wir meinen damit solche, die nicht regelmäßig in die Moschee und zum Freitagsgebet gehen und die den Ramadan äußerstenfalls als Gelegenheit für traditionelle familiäre Zusammenkünfte pflegen. Auf jeden Fall aber meinen wir damit solche, die den Koran nicht lesen und daher auch nicht zum Richtmaß ihres Alltags machen. Solche „liberale“ Muslime sind uns sympathisch, denn sie verstoßen regelmäßig gegen zahlreiche islamische Vorschriften und Regeln, weil sie diese nicht kennen oder weil sie ihnen gleichgültig sind.

Demgegenüber gibt es Muslime, die ganz anders sind, weil sie den Koran regelmäßig lesen. Soweit es sich dabei nicht um professionelle Funktionäre des Islam handelt, haben sie tendenziell gar kein Problem zu verstehen, wie die Botschaft des Islam lautet und wie sie sie umzusetzen haben. Das muss keineswegs in sofortige Gewaltaspirationen münden, hat aber immer eine deutliche Veränderungsdynamik des Lebensalltags zur Folge. Koranlesenden Alltagsmuslimen ist völlig gleichgültig wie „man“ den Koran lesen soll oder kann, denn sie lesen ihn so, wie er durch die Jahrhunderte, quasi im moslemischen Mainstream, immer gelesen wurde.

Und sie lassen sich durch die akrobatischen Übungen dialogerprobter Außenbeauftragter der islamischen Gemeinschaft nicht beeindrucken, die ihren staunenden Gesprächspartnern zu erklären versuchen, dass jetzt eben endlich eine zeitgemäße Lesart des Koran durchgesetzt werde, die mit Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat vereinbar sei – wenn man ihnen dafür nur Ruhe und Unterstützung geben würde. Rechtgläubige Alltagsmuslime sind von keiner dialogischen Dekadenz angekränkelt.

Denn sie wissen: „Siehe, wir machten es zu einem arabischen Koran, auf dass ihr es verstehen möget.“ (Al Zuhruf – 43/2) „Und keinen der Gesandten sendeten wir, außer in der Sprache seines Volkes, auf dass er ihnen verständlich wurde. Und Allah lässt irregehen, wen er will, und leitet recht, wen er will. Denn er ist der Allmächtige und Allweise.“  (Ibrahim 14 /4)

Christian Zeitz ist Betriebswirt, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie und Vorstandsmitglied des Wiener Akademikerbundes.

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