Die Wiege der Direkten Demokratie - Die Gemeinde

Meiner Erfahrung (lebend in der Schweiz) und meiner Meinung nach wird ein Staatswesen am besten von unten her verändert. Die Bürger können noch viele Jahrzehnte hoffen, dass eine geeignete politische Partei Mehrheiten bei Nationalratswahlen gewinnen wird, um stärkere und damit leichter herbeizuführende direktdemokratische Elemente in der Bundesverfassung zu verankern. Das Warten würde vermutlich enttäuscht werden.

Deshalb müssen die Bürger beginnen, das Zepter in den kleinsten Organisationseinheiten des Staates selbst in die Hand zu nehmen. Wie eben in der Schweiz, wo die Wiege der direkten Demokratie in den Gemeinden angesiedelt ist.

Direkte Demokratie auf Gemeindeebene mag vielen Österreichern auf den ersten Blick als nicht staatsentscheidend erscheinen. Doch erlebe ich immer wieder, wie unzufrieden Gemeindebürger in Österreich mit gemeindeeigenen Entscheidungen sind. Kaum jemand macht sich die Mühe, von direktdemokratischen Elementen in den Gemeinden Gebrauch zu machen. Gerade in kleinen und mittelgroßen Gemeinden wäre es relativ leicht, diese Instrumente zu benutzen, um den politischen Entscheidungsträgern immer wieder mit Nadelstichen auf den richtigen Weg zu verhelfen.

Und wenn eine Gemeinde einmal konsequent von diesen Instrumenten Gebrauch macht, dann könnte dadurch eine Art „Flächenbrand“ der direkten Demokratie auf Ebene der Gemeinden entstehen. Stellen Sie sich vor, in einer Ihrer Nachbargemeinden würden regelmäßig Volksabstimmungen/Volksbefragungen durchgeführt: Was glauben Sie würde passieren? Die Bürger der umliegenden Gemeinden würden durch diese Vorbildwirkung bald dasselbe tun wollen. Sie würden neidisch auf in die Nachbargemeinde hinüberschielen. Denn Unzufriedenheit über mangelnde Bürgerbeteiligung gibt es zu Hauf.

Man könnte in einem weiteren Schritt sogar daran denken, Bürgerlisten zur Gemeinderatswahl aufzustellen, deren einziger Zweck und einziger Programmpunkt es wäre, alle Gemeindeentscheidungen konsequent einer Volksabstimmung/Volksbefragung (je nach Gemeindeordnung) zuzuführen.

Was glauben Sie würde passieren, wenn zahlreiche Gemeinden über Jahre von diesen Instrumenten Gebrauch machen würden? Richtig! Diese regelmäßige Bürgerbeteiligung hätte über die Zeit einen massiven demokratiepädagogischen Effekt auf die Wahlbürger. Und die gleichen Wahl- und Gemeindebürger sind es doch, die auch Wahlberechtigte sind bei Landtags- und bei Nationalratswahlen. An einem gewissen Punkt könnten die politischen Verantwortlichen der oberen Verwaltungseinheiten (Länder, Bund) nicht mehr umhin, über mehr und erleichterte direktdemokratische Bürgerbeteiligung nachzudenken und solche Elemente auch einzuführen. Das klingt zwar visionär, aber jeder Anfang muss an der Basis gemacht werden. Also in den kleinen Organisationseinheiten des Staates, nämlich den Gemeinden.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nicht einige Gemeinden unter den tausenden in Österreich gibt, in welchen engagierte Bürger dieses Zepter erfolgreich in die Hand nehmen könnten. Vergessen wir dabei die etablierten politischen Parteien (egal welche). Diese sind nur ein Hemmschuh der direkten Demokratie. Die Bürger müssen sich unabhängig von Parteien und ideologischen Gräben mit einzelnen Sachfragen auseinandersetzen lernen. Über Parteigrenzen hinweg. Das wäre Freiheit, wie ich sie mir vorstelle und wie ich sie hier in der Schweiz erlebe.

Nach mehreren Gesprächen mit einem sehr hilfreichen und kompetenten Beamten einer mir nahestehenden österreichischen Gemeinde habe ich mir kurz die Mühe gemacht zu recherchieren, was denn an direkter Demokratie in österreichischen Gemeinden möglich ist. Er hat mich auf die wesentlichen Paragraphen verschiedener Gemeindeordnungen hingestoßen, merkte aber an, dass viele Gemeindebürger nicht einmal wüssten, was denn ihre Rechte seien. Geschweige denn, dass sie davon Gebrauch machen würden. Und dies ist äußerst schade. Es ist eine Verschwendung politischer Gestaltungsmöglichkeiten.

Ausgerechnet das Burgenland ist ein Vorreiter der direkten Demokratie in den Gemeinden. Zumindest den Möglichkeiten nach.

§ 54 der Burgenländischen Gemeindeordnung ermöglicht den Gemeindebürgern nicht nur eine unverbindliche Volksbefragung, sondern eine Volksabstimmung zu erzwingen. 25 % der zum Gemeinderat Wahlberechtigten können sich zusammentun, um eine Volksabstimmung zu erzwingen. Und visionär gedacht: Sollte es eine parteiunabhängige Wahlliste schaffen, mehr als 50 % der Gemeinderatsmandate zu erlangen, könnte diese (wie oben angemerkt) als einziges Wahlziel die Volksabstimmung zu jedem Sachthema für die gesamte Legislaturperiode anordnen. Denn der Gemeinderat kann mit Mehrheit einen Beschluss für Volksabstimmungen fassen. Eine Seitenbemerkung für alle, denen das zu viel an Aufwand erscheint: In der Schweiz wird in den einzelnen Gemeinden jedes Wochenende zu eigentlich fast jedem Sachthema abgestimmt. Ohne Mühe gibt es keine Belohnung. Von Nichts kommt Nichts.

AUSZUG aus der Burgenländischen Gemeindeordnung:

§ 54 Volksabstimmung

(1) Das Recht der Volksabstimmung ist das Recht der Gemeindemitglieder zu entscheiden, ob ein Beschluss des Gemeinderats in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde Geltung erlangen soll. § 26 Abs. 1 und 2 bleibt unberührt.

(2) Eine Volksabstimmung ist durchzuführen, wenn sie

1. anlässlich der Beschlussfassung vom Gemeinderat oder

2. schriftlich vom Bürgermeister oder

3. schriftlich von 25 % der zum Gemeinderat Wahlberechtigten verlangt wird. Die Volksabstimmung ist mit Verordnung des Gemeinderats anzuordnen.

(3) Haben an der Volksabstimmung mindestens 40 % der zum Gemeinderat Wahlberechtigten teilgenommen und lautet mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen auf „Nein", wird der der Volksabstimmung unterzogene Beschluss des Gemeinderats nicht wirksam.

Die oberösterreichische Gemeindeordnung enthält leider nur die Möglichkeit einer Volksbefragung. § 38 der Oberösterreichischen Gemeindeordnung ermöglicht es, wenn 25 % der wahlberechtigten Gemeindemitglieder es verlangen, eine Volksbefragung zu einem bestimmten Thema abzuhalten. Auch der Gemeinderat kann beschließen, die Behandlung einer bestimmten in seinen Aufgabenbereich (§ 43) fallenden Angelegenheit vom Vorliegen des Ergebnisses einer Volksbefragung in der Gemeinde abhängig zu machen.

Obwohl das Gemeindevolk in Oberösterreich nur Volksbefragungen erzwingen kann, so kann in oberösterreichischen Gemeinden zumindest der Gemeinderat mit Mehrheit beschließen, Entscheidungen von einer Volksbefragung abhängig zu machen.

Hier wären wir wieder bei dem Thema Bürgerlisten. Wenn Bürgerlisten (die Bürger sind wir alle!) mit dem einzigen Wahlziel der größtmöglichen Ausschöpfung der direktdemokratischen Elemente 50 % oder mehr der Gemeinderatssitze erlangen würden, so könnten diese Bürgerlisten auch in Oberösterreich für die gesamte Legislaturperiode Entscheidungen der Gemeinden von Volksbefragungen abhängig machen. Und von einer Sache bin ich überzeugt. Eine Bürgerliste, die alle wichtigen Entscheidungen dem unzufriedenen Wahlvolk über die gesamte Legislaturperiode vorlegen würde, würde vermutlich wieder gewählt werden.

Revolutionen beginnen unten, nicht oben. Erkundigen Sie sich in Ihrem Bundesland und lesen Sie die relevanten Bestimmungen der Gemeindeordnungen. Wenn ein paar Gemeinden konsequent all diese Mittel ausschöpfen würden, so wäre der Vorbildeffekt nicht zu überschätzen.

Capricorn ist Pseudonym eines aus Österreich stammenden Wirtschaftsexperten, der nach Stationen in New York, London und Frankfurt heute in der Zürcher Bankenbranche tätig ist.

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