Unter dem Titel “Kontroverse” gibt es in jeder Freitag-Ausgabe der Salzburger Nachrichten eine Doppelkolumne, in der Katharina Krawagna-Pfeifer und ich jeweils zum gleichen, von der SN-Redaktion vorgegebenen Thema schreiben. Und zwar ohne dass man gegenseitig die Texte vorher kennt.
Diese Woche steht die “Kontroverse” unter dem Titel:
Soll die Neutralität abgeschafft werden?
In der Folge finden Sie die beiden – unverändert wiedergegebenen – Kolumnen. Dadurch soll dieser kreativen und spannenden Idee auch hier ein Forum gegeben werden.
Neutralität ja, Neutralismus nein
Katharina Krawagna-Pfeifer war Innenpolitikerin der SN, Innenpolitikchefin sowie Leiterin des EU-Büros des “Standard” und SPÖ-Kommunikationschefin. Sie arbeitet jetzt als Publizistin und Kommunikationsstrategin (kkp.co.at).
Österreich ist seit 1955 mit ihr mehr als gut gefahren, sie ist ein wesentliches Element der Identitätsstiftung und außerordentlich beliebt, obwohl sie manch ranghoher Politiker schon vor Jahrzehnten abschaffen wollte. Sie wurde mit Lipizzanern und Mozartkugeln verglichen oder in den „Tabernakel der Geschichte" verwiesen. Doch stur wie sie halt ab und zu sein können, halten die Österreicherinnen und Österreicher an ihrer Neutralität fest. Egal, ob diese nun als „immerwährende" oder als „Kernneutralität" bezeichnet wird. Und recht haben sie, wenn sie auf ihre sicherheitspolitische Selbstständigkeit pochen, sich keinem Militärbündnis anschließen und die Stationierung fremder Truppen nicht zulassen wollen.
Weder der Beitritt zur UNO noch zur EU haben daran etwas geändert. Wobei die Neutralität nicht mit Neutralismus zu verwechseln ist. Seit vielen Jahren sichern heimische Soldaten den Frieden am Golan, im Tschad kümmerten sie sich um die Verbesserung der Sicherheitslage, mit ihrer Hilfe wurden die Grundlagen für den zivilen Wiederaufbau geschaffen, Flüchtlinge und Vertriebene heimgeführt, Personal sowie Einrichtungen der UNO geschützt. Friedenssoldaten wurden in den Kosovo entsandt. An der UNO-Friedensmission im Libanon wird sich Österreich mit 160 Soldatinnen und Soldaten beteiligen. Seit 1960 haben mehr als 90.000 Soldaten und zivile Helfer an über 50 internationalen friedensunterstützenden und humanitären Missionen teilgenommen. Das lang von Neutralitätsgegnern strapazierte Argument, wonach Österreich international ein „Trittbrettfahrer" ist, wird dadurch eindrucksvoll widerlegt. Darüber hinaus bietet die Neutralität zahlreiche diplomatische Möglichkeiten zur Vermittlung. Das alles ist sehr viel mehr wert, als junge Leute in den Krieg zu schicken.
Wer allein steht, ist hilflos
Andreas Unterberger
Die 1955 nach dem Muster der Schweiz beschlossene Neutralität ist längst weitgehend abgeschafft: durch UNO- und EU-Beitritt, durch die „Partnerschaft für den Frieden", durch das Mittun bei friedensstiftenden, also Kampfeinsätzen im Ausland. Nur wagt das kein Politiker den in Sachen Völkerrecht natürlich ahnungslosen Bürgern offen zu sagen. Und angesichts des Widerstands von „Kronenzeitung" & Co. wagt man auch nicht, die letzten Reste der Neutralität zu entsorgen.
Obwohl viele rationalen Gründe dafür sprächen: Dann müsste nicht jedes kleine Land teure eigene Abfangjäger organisieren. In einem deklarierten Bündnis könnte man sich auf einige Spezialaufgaben konzentrieren. In einem solchen Bündnis wäre daher auch die Abschaffung der Wehrpflicht viel leichter.
Neutralität hatte für ein kleines Land zwischen zwei großen hochgerüsteten Blöcken ihren Sinn. Heute ist unsere Sicherheit von ganz anderen Gefahren bedroht, die ihre Wurzeln und Schauplätze zum Großteil weitab unserer Grenzen haben und die nur gemeinsam mit anderen Ländern eingedämmt werden können. Was aber die Neutralität behindert. Dabei geht es um die (weltweit!) organisierte Kriminalität; um lokale Konflikte, die Hunderttausende auch bis Österreich in die Flucht treiben können; um im Alleingang nicht effektiv bekämpfbare Internetattacken, die ganze Länder ohne einen einzigen Schuss lahmlegen kann; dabei geht es um die Seepiraterie, die für exportorientierte Länder wichtige Handelsströme bedroht; dabei geht es um die Energiesicherheit; dabei geht es um den Schmuggel von nuklearem Material; dabei geht es um die Abwehr von bakteriologischen und chemischen Bedrohungen; dabei geht es um einen wirksamen Kampf gegen Terrorismus.
Gegen all diese Gefahren ist ein neutrales Land absolut hilflos.
Für ein kleines Land überwiegen die Vorteile der Neutralität bei weitem. Wir sollten uns auf die Verteidigung konzentrieren und die gegraphischen Vorteile unseres Landes hervorheben und geschickt als Joker gegenüber den großen Mächten einsetzen. Strategisch notwendige Allianzen kann man auch als kleines Land einsetzen.
Wir hätten kaum Einflussmöglichkeiten in einem Militärbündnis. Wir dürfen uns da keiner Illusion hingeben. Keine Mitsprache zu haben und nur als Kanonenfutter für machtgeile Interessenspolitiker zu dienen, dafür sollte jeder Österreicher zu schade sein.
Als Mitglied der Nato hätte wir noch weniger zu bestimmen, wie sich unser Land politisch verhält. Schon die EU-Mitgliedschaft stellt eine weitgehende Fremdbestimmung dar.
Als NATO-Mitglied hätte wir an Sarkozys dummen Krieg gegen Libyen teilnehmen müssen und dort den Islamismus zum Siegeszug verholfen.
Können wir das wollen?
Da die Frau Krawagner-Pfeifer in der Realitätsverweigerung stecken bleibt, kann ich leider nicht erklären, was Sozialisten aller Parteien am viertbesten können.
Sie hat mit allem an Nostalgieerklärungen recht, nur was hat unsere Neutralität mit den Auslandseinsätzen unserer SoldatInnen zu tun?
Die Realität aber verweigert sie dort, wo sie vergißt zu bemerken, daß die Aufrechterhaltung der Neutralität eine aktive und starke Landesverteidigung sprich Bundesheer braucht! Der Staatsvertrag beinhaltet einen Passus, wonach einer der vier Signartarstaaten Österreich militärisch zur "Hilfe" eilen darf, wenn die Souveränität seines Gebietes durch eine andere Militärmacht verletzt wird, und Österreich alleine dem nichts entgegenzusetzen hat.
Da das von der Tschechenkrise 1968 angefangen über unzählige Luftraumverletzungen bis heute X Mal passiert ist, können wir nur von Glück reden, daß uns nicht "geholfen" wurde.
Und Leute wie Frau Krawagner-Pfeifer schaffen es, im selben Atemzug, ohne Luft zu holen, zu verlangen, daß die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft werden soll!
No joa - mit der Abschaffung unserer Neutralität verhält es sich ähnlich wie mit dem EU-Beitritt: Zuerst sind alle einverstanden und wenn uns dann das volle Ausmaß trifft, dann will niemand dafür gewesen sein!
Wenn ich denke, daß vielleicht unsere Söhne & Töchter (!) unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen müssen, weil uns das von diversen Politikern glaubhaft eingeredet wird, sehe ich jedenfalls nicht unbedingt einen unmittelbaren Anlaß!
Daher sollten die Vor- und Nachteile der Neutralität besonders gut abgewogen werden und ich denke in Zukunft überwiegen ganz einfach die Vorteile!
Trotzdem ist bei dieser wichtigen Entscheidung die Bevölkerung zu befragen und wenn man direkte Demokratie wirklich ernst nimmt, müßte man sich der Mehrheit fügen!
Die Neutralität war und ist zu jeder Zeit eine der großen österreichischen Lügen.
In der Volksschule bereits bekamen wir eingetrichtert, dass unsere Neutralität uns schützt. Und unsere Neutralität daher Identität stifte. Beides falsch. Identität stiften können nur Dinge, für die man Anstrengungen unternimmt. Wir haben unsere Neutraltität einfach nur erklärt, aber niemals ernsthaft gelebt, keinen einzigen Tag. Ein wahrhaft neutraler Staat unterhält eine ordentliche Armee (siehe Schweiz, siehe Schweden) - das haben wir zu keinem Zeitpunkt getan und tun es heute weniger denn je.
In der Volksschule haben wir interessanterweise nicht gelernt, was Kreisky (zu der Zeit Staatssekretär im Außenministierium und involviert, wenn ich mich nicht täusche) über die Neutralität gesagt hat (sinngemäß): 1. sie war nur ein Trick, um den Russen aus dem Land zu kriegen, 2. niemand hätte geglaubt, dass sie länger als 5 Jahre halten würde. 3. Unter der Hand erklärtes Ziel war selbstverständlich ein NATO-Beitritt.
Dass die Neutralität so ein Selbstläufer würde, hatte niemand vorhergesehen, das wurde dann einfach weiter aufgebauscht. So wurde es zur selbsterfüllenden Wahnvorstellung, denn zur Prophezeiung (dass also eintrat, was sie vorhersagte) wurde sie definitiv nicht: die Neutralität schützt uns vor gar nichts!
Schützen würde uns einzig eine schlagkräftige Armee, und die haben wir nicht und hatten nie.
Wer also der Meinung ist, dass hier irgendetwas aufgegeben würde (oder worden wäre), der lasse sich gesagt sein, dass er nicht einem Irrtum, sondern einer Propagandalüge aufgesessen ist und sonst nichts.
Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.
Vielleicht noch: sorry.
BG phaidros.vie@gmail.com
Nicht einverstanden.
Einer der wenigen Fälle in denen ich Dr. U. widersprechen möchte.
Mein Standpunkt ist ein durchaus österreich-egoistischer.
Wenn wir an der Neutralität festhalten, wäre das ein sehr gutes Argument an verrückten Kriegen nicht teilnehmen zu müssen.
Man denke nur an den Irakkrieg, der mit Hilfe der Busch-Lügen gestartet wurde. Oder man denke an den Afghanistankrieg, zu dem österreichische Soldaten hätten geschickt werden müssen; ein Krieg, zu dem schon Peter Scholl-Latour vor vielen Jahren geschrieben hat, daß er nicht zu gewinnen ist.
Man denke an die Wahnsinnigen, die sich die Türkei als EU-Mitglied wünschen.
Wenn es dann eine EU-Zentralregierung gibt, die sich viele wünschen, dann müssen österreichische Soldaten, - polemisch: die Söhne österreichischer Mütter -, in einen Krieg gegen kriegerische asiatische Staaten ziehen, egal ob es den schlechtesten, so wie jetzt, oder den bestmöglichen Verteidigungsminister gibt
In all diesen Fällen und weiteren, wäre die Neutralität ein gutes Argument, den Wahnsinn nicht mitzumachen.
Nun zur Landesverteidigung. Wir brauchen mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Panzer gegen unsere Nachbarländer.
Die höchste Wahrscheinlichkeit für den Einsatz eines loyalen Bundesheeres, mit entsprechender Bewaffnung, ist nach innen. Also Aufruhr, Straßenkämpfe, was immer, im Land selbst. Jeder kennt die Beispiele in Frankreich oder England.
Die Polizei wäre da völlig überfordert.
Wenn A.U. schreibt, wegen der Bekämpfung von Kriminalität, Internetattacken, Seepiraterie, Energiesicherheit, Schmuggel von ABC-Waffen, Terrorismus müsse die die Neutralität abgeschafft werden, dann verstehe ich nicht, was diese mit Neutralität zu tun haben sollten.
Zusammenarbeit auf diesen Gebieten ist in jedem Fall möglich.
Keinesfalls möchte ich, dass "unsere" Söhne u. Männer in irgend einen Krieg ziehen müssen, dafür ist mir fast jedes Mittel recht, selbst die Scheinheiligkeit unserer Neutralität.