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Gastkommentare

Unabhängige Gerichtsbarkeit und der "Fall Anna"

11. Oktober 2025 14:39 | Autor: Peter F. Lang
3 Kommentare

Ist die Gerichtsbarkeit wirklich unabhängig? Haben wir eine wirklich unabhängige Rechtsprechung in Österreich? Ist speziell unsere Strafgerichtsbarkeit wirklich unabhängig? Die Strafgerichte sind allerdings davon abhängig, dass Anklage erhoben wird. Es gilt: wo kein Kläger, da kein Richter. Wenn die Staatsanwaltschaft untätig bleibt, gibt es kein Gerichtsverfahren (von Beleidigungen und wenigen ähnlichen Ausnahmefällen abgesehen, wo der Geschädigte ein Klagerecht hat). Ein Volksanklage, die jedermann erheben könnte, gibt es im österreichischen Strafrecht nicht. 

Aber darüber hinaus gilt im österreichischen Strafgerichtswesen noch eine weitere Einschränkung. Das Gericht darf eine Tat, einen Sachverhalt, nur im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Staatsanwaltschaft seiner Entscheidung zugrunde legen. Wenn die unrichtig erfolgt, dann ist das Gericht daran gebunden und dann wird auch das richterliche Urteil fehlerhaft sein. Das Gericht kann also nicht (mehr wie früher) die Tat, den Sachverhalt frei rechtlich beurteilen und dabei andere Rechtsvorschriften anwenden als die von der Staatsanwaltschaft vorgegebenen. 

Und das ist jetzt im "Fall Anna" eine Problematik, die noch einer näheren rechtlichen Prüfung bedarf. Und die wird hoffentlich der Oberste Gerichtshof vornehmen, wenn er den Fall jetzt einer Prüfung unterziehen muss. 

Diese erwähnte gesetzlich Vorschrift stellt in der praktischen Auswirkung eine bedeutende Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit dar. Und sie ist offensichtlich eine bewusste Maßnahme einer Regierung, die sich mit Hilfe der ihr weisungsmäßig untergeordneten Staatsanwaltschaft Kontrolle über die (Straf-)Gerichtsbarkeit behalten will. In der Praxis sehen wir die Auswirkung: vom Opferschutzrecht (Opfer ist bei vielen Taten die Gesellschaft als Ganzes) zum Täterschutzrecht. Resozialisierung der Täter geht über alles, selbst wenn da die Rechtssicherheit und der Glaube an eine unabhängige Justiz schwer geschädigt wird. Anzeige auf freien Fuß, bedingte Verurteilungen auch bei Gewohnheits- und Wiederholungstätern, auch bei Gewaltdelikten und jetzt Ausweitung der Fußfessel-Regelung. Was hilft es, wenn die Polizei bei der Anzeigenaufnahme pflichtgemäß ihre Arbeit tut, wenn dann die Justiz ihren eigenen Regeln folgt, von oben gesteuert und politisch, ideologisch ausgerichtet? 

Die Justiz und Rechtssprechung sollte unabhängig sein und unabhängig agieren können. Und diese Forderung gilt auch für den Justizminister und die vom Justizressort dem Parlament vorzulegenden Gesetzesvorschläge. 

 

Dr. jur. Peter F. Lang, Wien, Ministerialrat i.R. bzw. Gesandter i.R. (pensionierter Beamter des Außenministeriums).

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  1. Outback
    11. Oktober 2025 23:57

    Zunächst ein Danke dem Autor für seine exzellente Abhandlung. Zum Punkt Täterschutz vor Opferschutz eine Anmerkung: Das Opfer sollte spätestens am Ende eines Strafprozesses bei der Verurteilung des schuldigen Täters und der tatangemessenen verhängten Strafe das Gefühl haben, dass ihm letztlich Gerechtigkeit widerfahren ist, so dass es mit erhobenem Haupt den Gerichtssaal verlassen kann. Leider gewinnt man immer wieder den Eindruck, dass in der Realität das Gegenteil der Fall ist, und dass das Opfer im Strafprozess selbst bei einem Schuldspruch durch die oft verhängte lächerlich geringe Strafe im Verhältnis zur Straftat neuerlich erniedrigt wird, und stattdessen der Verurteilte mit erhobenem Haupt - und allenfalls zusätzlicher herabwürdigender Gesten - das Gericht verlassen kann. Was für eine Demütigung für das Opfer!



  2. elokrat1
    11. Oktober 2025 17:21

    Das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerungsmehrheit entspricht nicht mehr den Kriterien, welche die Justiz als Grundlage für ihre Entscheidungen auferlegt bekommen hat, ("Das Recht hat der Politik zu folgen", Copyright Herbert Kickl, oh Gott, was für ein Skandal) diese werden aber leider widerstandslos befolgt (Karriere +, Gerechtigkeit -). Am laufenden Band erleben wir Urteile, die dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerungsmehrheit zuwider läuft.
    Die Politik fühlt sich "angewidert", wenn darauf angesprochen und verweist auf ein "Koalitionsabkommen". Die vollständige finanzielle Vergütung von unschuldig Angeklagten, zB. durch die WkstA, als eine der schwächsten und politisch am meisten beeinflussten Teilnehmern im "Justizstadel", sieht keine Notwendigkeit für eine Änderung. Dr. Unterberger hat mehrfach aufgezeigt, dass ein (sehr) hoher Prozentsatz ihrer Anklagen im Sand verläuft und ausschließlich aus politisch motivierten (Vor)verurteilungen bestanden hat.



    • Outback
      12. Oktober 2025 00:20

      Der Staat hat Unterstützungs- und Förderungsfonds oder Ähnliches für alles Mögliche (und Unmögliche) eingerichtet. Das geht hin bis zum Einsatz von Millionenbeträgen für z.B. gekidnappte leichtsinnige Urlauber, die grob fahrlässig und verträumt in Krisengebiete Reisen. Für zu Unrecht Verfolgte oder in weiterer Folge Freigesprochene gibt es aus unverständlichen Gründen keine entsprechenden Einrichtungen. Vom Staat werden lediglich - je nach Verfahren gestaffelt - lächerliche Höchstpauschalbeträge ersetzt, die bestenfalls einen Bruchteil der durchaus oft ruinös hoch entstandenen Kosten von Verteidigern, die dafür in aller Regel brillante Arbeit leisten, ausmachen.






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