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Gastkommentare

Ein KGB-Überläufer aus 1983 zur aktuellen Krise des Westens

19. September 2025 23:35 | Autor: Michael Breisky
4 Kommentare

Zeitgleich mit dem Ausbruch der Corona-Krise kursierte in Europa ein Video über einen 1983 vor amerikanischem Publikum aufgenommenen Vortrag eines gewissen Tomas Schuman. Das war der neue Name des KGB-Überläufers Yuri Bezmenov; und was er vor rund vier Jahrzehnten zu sagen hatte, hat einen geradezu unglaublichen Gegenwarts-Bezug. Denn Schuman schildert die sowjetische Langzeit-Strategie zur Vernichtung des Westens in einer Weise, die auf die höchst erfolgreiche Übernahme dieser Strategie durch den Geheimdienst des heutigen Russlands schließen lässt.

Dieser Vortrag ist auch auf Youtube zu sehen. Grundgedanke dieser Strategie ist die Anwendung alter chinesischer Kriegskunst, wonach es am einfachsten ist, den Feind durch relativ geringfügige Manipulation seiner eigenen Bewegungen in die Selbstzerstörung zu treiben. Demnach soll der Westen durch sowjetische Lenkung des innenpolitischen Diskurses zunächst demoralisiert werden, indem seine wichtigsten inneren Werte ausgehöhlt und delegitimiert werden; es sind das insbesondere Familie, Religion und die Nation als kulturell orientierter Solidaritätsverband.

Ist das erreicht, wird man in der Phase der Destabilisierung Gegen-Werte solange fördern, bis schließlich in der Phase der Krise die Sowjetunion den Gegner mit geringem physischen bzw. militärischen Einsatz vollends besiegen kann. Laut Schuman werden dann auch "selbstverständlich" die bisherigen Kollaborateure im Westen liquidiert.
Zur Abwehr dieser Strategie empfiehlt Schuman ein "Wehret den Anfängen!" sowie die Hinwendung zu Religion, da von dort aus auch Familie und Nation geschützt werden.
Wie schon erwähnt, handelt es sich dabei um eine Langzeit-Strategie, die laut Schuman – aus der Sicht von 1983 – bis zum Erfolg "mehrere Jahrzehnte" brauchen würde. In den Phasen der Demoralisierung und Destabilisierung würde der KGB diejenigen westlichen Kreise unterstützen, die gegen die erwähnten inneren Werte sind, wobei in den meisten Fällen den Nutznießern sowjetischer Hilfe die wahre Quelle dieser Unterstützung verborgen bliebe. Für diese Informationspolitik soll auch über 80 Prozent des gesamten Auslandsbudgets des KGB verwendet werden – also ein Vielfaches der klassischen Auslandsspionage à la John le Caré.

Schumans Vortrag ist inhaltlich kohärent und plausibel, das Video wirkt technisch und vom äußeren Rahmen her authentisch. Trotzdem sind Zweifel erlaubt, inwieweit die Wiedergabe der KGB-Strategie wahr ist. So ist klar, dass Familie, Religion und Nation als die anzugreifenden westlichen Werte auch die zentralen Werte der Republican Party in den USA sind und die Wiederentdeckung und Verbreitung dieses alten Videos wohl nicht zufällig im Zuge des amerikanischen Wahlkampfes 2020 erfolgt ist. Selbst dass das Video eine reine Erfindung durch US-Geheimdienste oder rechte Think-Tanks wäre, kann nicht ausgeschlossen werden. Das ändert jedoch wenig.

Zum einen an dem Befund, dass der aktuelle Zustand der westlichen Gesellschaften im Einklang mit der beschriebenen KGB-Strategie ein hohes Maß an Demoralisierung, zum Teil auch schon der Destabilisierung aufweist.
Es ist hier nicht der Ort, um eine umfassende Zustandsbeschreibung der westlichen Gesellschaften zu geben, doch lässt sich feststellen: Vor dem Hintergrund einer Mehrheit, die sich primär um ihr ökonomisches Überleben sorgt und gesellschaftspolitisch schweigt, entsteht um die von Schuman angesprochenen Werte der Familie, der Religion und der Nation eine sich verschärfende Polarisierung; stehen sich doch einer als "links" zu verortenden Bewegung mit dem ebenso alten wie utopischen Zukunftsziel des "neuen Menschen" eine Vergangenheits-orientierte Rechte gegenüber.
Wie die USA dem übrigen Westen vorexerziert, findet ein Diskurs zwischen diesen Lagern nicht mehr statt. Und es darf bezweifelt werden, ob ein solcher unter dem Druck neuer Herausforderungen erfolgreich geführt werden kann – was den Eintritt in die Phase der Destabilisierung besiegeln würde.

Zum anderen erweckt das heutige Russland unter der Führung des früheren KGB-Offiziers Wladimir Putin u.a. mit den zahlreich kolportierten Hacker-Angriffen auf westliche Institutionen durchaus den Eindruck, die Schwächung Europas und der USA aktiv zu betreiben.

Daher ist dringender Handlungsbedarf gegeben, soll das auf Individualität, Menschenrechten und demokratischem Pluralismus beruhende Gesellschaftsmodell des Westens überleben. Nun ist aktives Bekennen zu diesen Werten gefragt.


Dr. Michael Breisky, österreichischer Botschafter i.R., der 1992 maßgeblich an der Lösung des Südtirolkonflikts 1992 beteiligt gewesen ist. In Kürze erscheint: "Europa verstehen und lieben lernen”.

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  1. elokrat1
    21. September 2025 17:56

    Werter Dr. Michael Breisky
    Soweit erkennbar sind Sie parteifrei gewesen, was für ihre Qualifikation spricht. Ich bin kein Diplomat, wie auch unsere Frau Beate Meine Reisinger, aber auch Hr. Schallenberg nicht!! Sie hatten / haben offensichtlich Voraussetzungen, die das Land damals - wie auch heute - benötigt, um es international wirkungsvoll zu vertreten.
    Zu ihrer Meinung bezüglich der gegenwärtigen Krisen bin ich (großteils) nicht ihrer Meinung. Leider gibt es im gegenwärtigen Umfeld keine Alternativen, bist du dafür, oder dagegen sind die gängigen Argumente, auch in diesem Forum.
    Zu Südtirol hätten Sie heute möglicherweise Argumente, die besonders von politisch linker Seite nicht geteilt werden würden, das vermute ich zumindest. Vielen Dank für ihren Beitrag.



  2. Peregrinus
    20. September 2025 17:51

    Danke Herr Botschafter! -Die fünfte Kolonne dieses Blogs werden Sie aber trotz Ihrer sachlichen Ausführungen nicht überzeugen können. - Für diese gibt es keine russischen Drohnen, die in den Luftraum Polens eingedrungen sind. Für diese gibt es keine russischen Flugzeuge, die die Hoheit baltischer Staaten über deren Luftraum beeinträchtigen.



  3. Verschwörungssatiriker
    20. September 2025 07:00

    .....und wer steht heute hinter der "Schwächung" von allem was in Europa DEUTSCH ist?

    ....und z.B. wer steht hinter der Verweigerung einer effizienten Energieversorgung, .......der Massenzuwanderung kulturfremder "Asyl"- suchender aus fernen Landen, .......???

    ...und wer hat sich das mit dem Treibhauseffekt und der Erwärmung durch CO2 ausgedacht?

    ...und fragt sich eigentlich wer, warum es nach sommerlichen über 25° Temperaturen vom Vortag heute morgens nur Temperaturen von unter 10° angezeigt sind?



    • Leo Dorner
      20. September 2025 07:39

      Parteien stehen nicht "dahinter", sondern vornedran und mittendrin. Sie propagieren öffentlich und durchsetzungskräftig, was das für sie Gute und Werthafte ist. Ab einem gewissen Zeitpunkt sind dann die endlosen Diskussionen über Meinungsfreiheit illusorisch ("nicht hilfreich“), weil die führenden Gegenmeinungen nicht mehr "hinterm Berg" (also "dahinter") halten. Dieser Zeitpunkt ist offenbar in den USA, in Deutschland und Österreich usf. erreicht.
      Und keineswegs ist das "dahinter-davor" Problem in den Fraktionen der EU anders gelagert. Im Gegenteil.






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