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Gastkommentare

Ukraine: Was sein sollte und was tatsächlich ist

21. August 2025 22:51 | Autor: Andreas Tögel
11 Kommentare

Noch ist nicht absehbar, was die von Donald Trump beim Gipfeltreffen in Alaska angeregten Verhandlungen zwischen den Präsidenten Putin und Selenskyj im Hinblick auf einen Friedensschluss im Ukrainekrieg ergeben werden. Der französiche Staatspräsident Emmanuel Macron hat zuletzt ein Gipfeltreffen zwischen Putin und Selenskyj auf "neutralem Boden" – in der Schweiz – vorgeschlagen. Angesichts der im Moment aus russischer Sicht militärisch günstigen Lage scheint die Kompromissbereitschaft Wladimir Putins allerdings gering zu sein. Er dürfte daher wenig geneigt sein, Abstriche von seinen bislang geäußerten Forderungen zu machen.

In den zurückliegenden Tagen und Wochen haben viele militärisch eher unbedarfte Couchstrategen mit moraltriefenden Statements geglänzt. Der Tenor dieser Einlassungen lautete:

  • Der Kriegsverbrecher Putin darf nicht ungestraft mit seiner Beute davonkommen.
  • Mit dem Essen kommt der Appetit – bald könnten Russenpanzer durch Berlin rollen.
  • Die territoriale Integrität der Ukraine darf nicht angetastet werden und die künftigen Grenzen der Ukraine müssen denjenigen vor der Okkupation der Krim entsprechen.
  • Staatsgrenzen dürfen nicht durch den Einsatz militärischer Mittel verändert werden.
  • Völkerrechtsverletzungen sind nicht hinnehmbar.
  • Der wirtschaftliche Druck auf die Russen muss bis zu ihrem Abzug aus der Ukraine noch weiter erhöht werden

Die Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, spiegelt aber die weit verbreitete Stimmungslage unter Politikern der "Parteien der demokratischen Mitte" und der Hauptstromjournaille wider. Im Fokus steht nicht ihre Beurteilung der Gegebenheiten und was realistischerweise zu erreichen ist, sondern das, was unter in Wolkenkuckucksheim herrschenden Bedingungen sein sollte. Der Kontrast zwischen Traum und Wirklichkeit könnte nicht größer sein.

Der Reihe nach:

► Wer den Täter nicht mit seiner Beute davonlaufen sehen will, muss über die Mittel verfügen, sie ihm wieder abzujagen. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Wer sollte denn die "territoriale Integrität der Ukraine", also deren vor der Okkupation der Krim durch Moskau gegebenen Grenzen - mit welchen Mitteln - wieder herstellen? Sachdienlicher Hinweis: die Bundeswehr verfügt aktuell über weniger als 300 (!) Kampfpanzer. Davon abgesehen, liegt kein Beistandspakt eines NATO-Staates mit der Ukraine vor.

► Wenn mit dem Essen der Appetit kommt, dann bedingt das eine erfolgreiche Verdauung. Davon kann aber im Fall des gegenwärtig tobenden Krieges keine Rede sein. Russland hat – nach dreieinhalb Jahren Krieg! – gerade einmal 20 Prozent des Territoriums der Ukraine erobert. Wie sollten die Russen wohl einen erfolgreichen Feldzug gegen die vergleichsweise deutlich stärker gerüsteten europäischen NATO-Staaten führen?

► Wer will - mit welchen Mitteln - für die Wiederherstellung der völkerrechtswidrig veränderten Grenzen sorgen? Das gilt auch für die 2014 von den Russen annektierte Krim. Wer ernsthaft glaubt, die Russen würden diese für sie besonders wichtige "Beute" (Stichwort Schwarzmeerflottenbasis) je wieder herausrücken, hat jeden Sinn für die Macht des Faktischen verloren.

► Wenn Völkerrechtsverletzungen dieser Tage nicht mehr hingenommen werden dürfen, wie verhält es sich dann mit Verstößen in anderen Weltgegenden – beispielsweise in Tibet oder auf den Golanhöhen? Wie war das mit der völkerrechtswidrigen Invasion des Irak durch die USA im Jahr 2003? Was war – kurz vor der Jahrtausendwende – mit der Nato-Intervention auf dem Balkan, die ebenfalls ohne UN-Mandat erfolgt ist? Was war mit dem Massaker an der Tutsi-Minderheit in Ruanda anno 1994? In all diesen Fällen war das Schweigen der ansonsten so lautstarken Moralapostel geradezu ohrenbetäubend.

► Wenn Staatsgrenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen, dann hätte ich als Österreicher gerne Südtirol zurück. Und die Deutschen könnten dann auch Ostpreußen, Pommern und Schlesien wieder "heim ins Reich" holen. Sollte in diesem Zusammenhang auf nach dem Krieg geschlossene "internationale Abkommen" verwiesen werden, dann läuft allerdings auch der Hinweis auf den in der Verfassung der Ukraine niedergelegten Ausschluss von Gebietsabtretungen ins Leere, denn Papier ist geduldig. Verfassungen können umgeschrieben und angepasst werden.

► Nach bisher 18 von der EU gegen Russland verhängten Sanktionspaketen, die faktisch wirkungslos blieben (wenn man von ihren autodestruktiven Konsequenzen absieht), mit der Forderung nach einem 19. Sanktionspaket daherzukommen, mutet an wie ein schlechter Scherz. Es ist, als ob ein Unfallchirurg einen Oberschenkelhalsbruch durch den Einsatz von Franzbranntwein kurieren wollte, und, nachdem die erwünschte Wirkung ausbleibt, die Frequenz der Einreibungen erhöht. Fährt Euroland mit dem auch auf anderen Politikfeldern (beispielhaft genannt seien der "Green Deal" und das "Gender Mainstreaming") betriebenen Irrsinn fort, könnte seine geopolitische Bedeutung schon bald mit der Vanuatus gleichziehen.    

Ein Glück, dass in Washington derzeit ein Mann das Sagen hat, dem das Hirn nicht durch einen allzu langen Aufenthalt in den Sumpfbiotopen der Politik vernebelt wurde, wie das bei vielen der traurigen Figuren an der Spitze europäischer Regierungen der Fall ist. Denn die Aktivitäten des "Dealmakers" Trump bieten zumindest eine Aussicht darauf, dass demnächst Nägel mit Köpfen gemacht werden und das Sterben im Ukrainekrieg nach dem Motto "Frieden für Land" zu einem Ende kommt. Die europide Kriegstreiberfront dagegen ist wild entschlossen, in diesem längst verlorenen Krieg bis zum letzten Ukrainer weiterzukämpfen.

Es ist an der Zeit, sich den im August 2025 vorliegenden Tatsachen zu stellen, so schmerzhaft es auch sein mag. Die militärische Lage der Ukraine, die nach dreieinhalb Jahren Abnützungskrieg schwer gezeichnet ist, verschlechtert sich zunehmend. Täglich sterben junge Männer in einem aus Sicht der Ukraine inzwischen aussichtslos gewordenen Waffengang. Ein möglicherweise demütigender Friedensvertrag ist allemal besser als ein sinnloser Krieg!

 

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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  1. Alexander Huss
    26. August 2025 21:18

    Sehr geehrter Herr Tögel, der Titel Ihres Beitrages "Ukraine: Was sein sollte und was tatsächlich ist" zählt richtigerweise auf, welche Worthülsen manche Politiker von sich geben.

    Allerdings: Was sein sollte ist, dass Putin niemals die Ukraine hätte angreifen dürfen. Was sein sollte ist, dass Russland die im Budapester Memorandum von 1994 zugesicherten Garantien hätte einhalten müssen.

    Jedoch: Tatsächlich ist, dass Putin unter Bruch aller Zusagen von 1994 im Jahre 2014 den Donbass und die Krim angriff. Tatsächlich ist weiter, dass er 2022 die gesamte Ukraine angriff. Mit dem Ergebnis, dass sich die Ukrainer drei Jahre später immer noch verzweifelt gegen den Aggressor wehren.

    Was auch tatsächlich ist: Hätte der Westen den Ukrainern ab 2022 jene Waffen geliefert, um die gebeten wurde, wäre der Krieg längst zu Ende. Denn die Ukrainer hätten dank der Überlegenheit westlicher Waffentechnologie die Russen aus dem Land geworfen.



  2. elokrat1
    22. August 2025 20:32

    @ Ireneo
    Sie sind wieder einmal langatmig und substanzlos unterwegs. Fällt ihnen nicht auf, dass Sie nicht gelesen werden möchten!!



    • Ireneo
      24. August 2025 08:15

      Ich schreibe nicht für Sie und andere Unbelehrbare.
      Aber danke, dass sie durch Ihre nervöse und destruktive Reaktion die Richtigkeit meiner Zeilen bestätigen.



  3. Ireneo
    22. August 2025 13:56

    Ende des Kommentars:
    , deren Verluste so exorbitant sind dass das viele gute Generäle nicht mehr hinnehmen wollen, aber eingesperrt werden, da zu wenig putintreu. Das Regime ist nicht mehr so stabil, der Kaukasus bricht weg, sogar die alten Feinde Armenien und Azerbaijan haben sich versöhnt – mit Hilfe Trumps. Ich glaube, er will wirklich den Frieden, hat aber mit den bisherigen Treffen Putin nur den Rücken gestärkt und so den Krieg verlängert und brutaler gemacht, statt verkürzt. Gut gemeint, aber nicht gut. Nach jedem Treffen oder Telefonat mit Putin hat dieser noch mehr Raketen und Gleitbomben losgeschickt.
    Das Treffen in Alaska war eine reine Propagandashow für Putin. Sobald das Fernsehen die Bilder im Kasten hatte, die er brauchte, war er weg. Ohne Essen, ohne Fragen bei der Pressekonferenz nach dem Verlesen der üblichen Phrasen. Da ist sogar dem Trump das Gesicht eingeschlafen nach der anfänglichen Euphorie und selbst FOX News ergingen sich in Kritik über dieses Treffen.



    • Ireneo
      22. August 2025 13:57

      Nach 2,5 Stunden war Putin weg, statt den geplanten 6-7. Friedensverhandler hatte er gar keine mitgebracht, wozu auch. Ein paar Wirtschaftsleute für „deals“. Für eines hat Putin sich aber Zeit genommen: für einen Besuch des dortigen orthodoxen Bischofs und für russische Soldatengräber. Wo einmal ein russischer Soldat war, ist Russland, sagte uns Putin ja höchstselbst bei der letzten Mai-parade auf dem Roten Platz. Das kann Alaska sein – oder auch Berlin – irgend wann – wer weiß – gell?
      Und die Taktik „gebt’s es auf, ihr habt’s eh keine Chance“ verfolgen die Russen seit Kriegsbeginn. Sie ist leider bei vielen erfolgreich und führt a la longue nicht zu einem gerechten Frieden, sondern zu neuen, noch viel größeren Aggressionen.



  4. Ireneo
    22. August 2025 13:54

    Sehr geehrter Herr Tögel!
    Das sind genau die Dinge, die wir von Putin, der FPÖ, usw. seit Kriegsbeginn hören
    Was Sie und viele andere glauben, klingt plausibel, stimmt jedoch so nicht.
    Natürlich wollen alle den Frieden, aber einen, der hält.
    Das wichtigste ist: Ziel des Krieges ist die Kontrolle über die gesamte Ukraine, das Modell Weißrussland, nicht nur gewisse Territorien. Das würde keinen Frieden, sondern brutale Säuberungswellen auf allen Ebenen bringen. Daher kann und ist auch nicht das Ziel der Ukraine, den Russen die Territorien abzujagen, sondern sie als Ganze so zu schwächen, bis die Armee einbricht und es vor allem auch die Bevölkerung so spürt, dass sie rebelliert. Das ist der schnellste und nachhaltigste Weg zum Frieden. Dieser Weg ist weiter fortgeschritten, als Sie glauben. Diese Strategie verfolgt nun die Ukraine, keine Gegenoffensiven mehr.
    Das Einfrieren von Grenzen funktioniert bei Putin nicht. Genau mit Ihren Argumenten dachte man, die Russen mit dem Stillhalten bei



    • Ireneo
      22. August 2025 13:54

      der Annexion der Krim ruhigzustellen. Wer damals sagte, bei nächster Gelegenheit marschiert er in die Ukraine bis Kiew ein, sobald er wieder kann, wurde im besten Fall mild belächelt. 8 Jahre später war es soweit. Genau das würde auch jetzt passieren. Sobald Russland kann, geht es weiter nach Westen. Natürlich fahren nicht morgen Panzer nach Berlin.
      Das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte „Moskwa“ ist inzwischen ein U-boot, das nicht mehr auftauchen wird. Die Kommandozentrale ist ausgebombt, die größten und wichtigsten Schiffe versenkt, der Rest mit vollen Hosen vor den Drohnen nach Novorossijsk geflüchtet. Die sind also schon weg. Soviel zum „Niemalsaufgeben“ von Sevastopol und der Krim.
      Die Sanktionen wirken sehr wohl. Gazprom, der russ. Geldesel im Minus, 20% Leitzins, Banken-Run. Hohe Inflation. Kartoffelpreis verdreifacht. Benzinverknappung,…Ohne China und Nordkorea wäre es mit Russland schon lange vorbei.
      Weiters tobt ein hier nicht beachteter Krieg zwischen KGB und Armee,



  5. Alois Eschenberger
    22. August 2025 09:21

    Sehr geehrter Herr Tögel,
    vielen Dank für die realistische Einschätzung!

    Das wird den oft gar nicht so ethischen Gesinnungsethikern und -"logikern" diese Forums aber gut schmecken. :-;



  6. Leo Dorner
    22. August 2025 08:55

    Der Schwachpunkt der sonst gelungenen Analyse: "völkerrechtsrichtige" Kriege (und deren Folgen) mit der Erteilung von UN-Mandaten zu verbinden bzw. gleichzusetzen. Nach dieser Logik dürfte Saddam oder dessen übelebende Schergen bald wieder in Bagdad regieren und unzählige Gemeindienste installieren...



    • elokrat1
      22. August 2025 13:32

      Manchmal habe ich das Gefühl, Philosophen können, oder möchten die Realität nicht unkompliziert sehen. Es muss unbedingt eine andere Betrachtungsweise konstruiert werden, auch wenn diese an den Haaren herbeigezogen wird.



  7. Verschwörungssatiriker
    22. August 2025 07:04

    immer wieder, Andreas Tögel spricht es aus wie es in der Realität gegeben ist, aber was soll's, mit jenen "auserwählten" Politschranzen, die da brav vor Trump sitzen.......

    https://ibb.co/qL2QbyLd






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