Das aktuelle Problem der normalen (bisherigen) Demokratie, die vom Souverän namens Volk geführt und regiert wird, nun aber vermehrt in eine Juro-Demokratie abdriftet, ist ebenso bekannt wie unlösbar.
Da sich der Souverän (eine Millionen-Schar) nicht selbst persönlich als Regierender betätigten kann und will, muss er die diesbezüglichen Aufgaben (Rechte und Pflichten) an die Repräsentanten seiner "Souveränität" abgeben – an die Parteien seines Parlaments, an die Organe seiner regierenden Ministerien, an die subalternen Verwaltungen in allen Segmenten der "ausdifferenzierten" modernen Kultur und Gesellschaft. Diese Repräsentanten sollen seinen Willen vollziehen.
Da nun dieser Volonté générale ein vielfältig gebrochener sein muss, der sich überdies in permanenter Veränderung befindet, muss er auch an chronischem Stimmbruch leiden und mit einer vielstimmigen Kakophonie zu seinen Repräsentanten sprechen. Schon dieses Vielfaltsproblem führt daher zur Sehnsucht nach weisen Richtern und neuen Politikern, die endlich wieder "alternativlos" entscheiden, regieren, verwalten und bevormunden. Es soll wieder werden wie in der Kirche, wo die Oberen bestimmen, was die Unteren zu tun, zu glauben und zu denken haben. Doch eine Demokratur dieser Art kennt der altgediente Europäer bereits aus seiner eigenen leidvollen Geschichte, und der sagenhafte "deutsche Michel" müsste sie am allergründlichsten kennen. Doch einen alten Fehler zu kennen, bedeutet nicht, denselben in neuem Gewand nicht wiederholen zu müssen.
Diese Tragikomödie, die das heutige Deutschland öffentlich aufführt, ist aber nur eine, es ist die deutsch-historische Seite des Vielfaltsproblems. Alle anderen sind grundlegender und grundstürzender: Denn diese stürzen wie mächtig strömende Kaskaden auf den Kopf des demokratischen Souveräns, spalten seinen Willen und seine Stimme in viele verschiedene, die nach einer gewissen, geduldig ertragenen Dauer und Weile, nichts mehr voneinander wissen (wollen).
Nicht mehr die Idee (einer Vernunft), und nicht mehr das Ideal (einer Kultur und Religion) sorgen nun für "Zusammenhalt", sondern viele Ideologien suchen in den zersprengten Teilen (der disiecta membra) nach verwertbaren Resten, die sie für ihre neuen Ziele umdeuten könnten, um sich beizeiten als neuer Volonté générale zu präsentieren.
Dieser stürmisch bewegte Zustand ist unschwer als mentaler Bürgerkrieg erkennbar, dessen Gefahren man auch dann nicht kleinreden sollte, wenn man meint, die eigene Blase werde sich schon bald als mächtigste Seifenblase entfalten, oder die eigene Religion sei vor aller Kriegsgefahr schon durch den Adel ihrer Geburt gesichert.
Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.
Lieber Hr. Dorner
Die Tiefe ihrer philosophischen Darstellung ist für die meisten Menschen nur phasenweise erkennbar, wie ich vermute, so wie für mich. Ich bin eher technisch „begabt“, habe aber immer Interesse an ihren Thesen und versuche den tiefergehenden Sinn zu verstehen.
Wenn die „Tiefe“ nur eine der „Darstellung“ ist, hat sie den Sinn des Problems noch nicht begriffen. Aber Sie sprechen natürlich den wunden Punkt des heutigen „Philosophiechinesisch“ an. Ich versuche das Geschwurbel der postmodernen Philosophien klein zu halten, schon weil Andreas Unterberger ein „Master of Realität“ ist....
@ Leo Dorner ***
Sie haben die Gabe sich mit existenziellen Fragen kritisch auseinander zusetzen und Grundprobleme des menschlichen Daseins zu beleuchten.
Werter @elokrat1: Diese Gabe hat jeder Mensch, freilich auf unterschiedlichste Weise.
;-)
"Das aktuelle Problem ... ist bekannt wie unlösbar."
Das kann es nicht geben. Es gibt natürlich eine Lösung. Das Verharren des Kaninchens vor der Schlage mag alternativlos sein, aber der denkende Mensch sollte sich aus seiner Erstarrung lösen können.
Die Masse die zu bewegen ist, macht die Herausforderung nicht einfacher. Weder am Beginn der Bewegung, noch in der Bewegung und das zum Stillstand bringen dieser Masse, um nicht über das Ziel hinauszuschießen.
Die Herausforderung ist sicherlich radikal oder fundamental und wird sich mit dem Streit um Strompreise und Windränder nicht lösen lassen, ja geht daran völlig vorbei. Diese Diskussionen lenken möglicherweise von der notwendig radikalen Lösung ab.
Souverän, dessen gewählte Vertreter und (oberste) Richter sollten ein gleichseitiges Dreieck bilden. An dessen Wiederherstellung ist zu arbeiten und das muss geschafft werden.
Gewiß, eines Tages wird sogar der Nahostkonflikt (ein Ensemble von tausend Konflikten) gelöst sein. Wie doch auch der Dreißigjährige Krieg durch eine Friedenslösung „gelöst“ wurde. Insofern ist die These - „ist ebenso bekannt wie unlösbar“ übertrieben provokant.
Wie Sie richtig erkennen, ist der Knackpunkt natürlich die „Masse“, - ein anderes Wort für den „Souverän“ der Demokratie, dem es nun an den Kragen geht. Noch nicht mit der Guillotine, aber mit der Entschlossenheit von gläubigen Überzeugungstätern. Beweis: Auch das ehrwürdige Wort: „Die Justiz ist blind“, läßt sich unter den heutigen („ideologiefreudigen“) Entwicklungen bereits als potentielles „Hassverbrechen“ denunzieren..