Kürzlich äußerte einer der höchsten Offiziere der deutschen Bundeswehr, Generalmajor Christian Freuding, im Zusammenhang mit der militärischen Unterstützung der Ukraine durch Deutschland folgenden Satz: "Alles für die Freiheit aufzugeben, das ist Freiheit." Siehe Youtube-Video hier.
Unterstellt, dass er diese Aussage nicht unter dem Einfluss psychotrop wirksamer Drogen getätigt hat, bleibt als plausible Erklärung für diesen haarsträubenden Irrsinn nur das Vorliegen einer totalen Gehirnwäsche in bester Orwellscher Manier. In dessen dystopischem Roman "1984" heißt es bekanntlich "Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke."
Die Beschäftigung mit dem Werk des vielfach unterschätzten italienischen Denkers und Mitbegründers der kommunistischen Partei Italiens (die Partito Comunista Italiano, PCI wurde im Januar 1921 in Livorno gegründet), Antonio Gramsci (1891-1937), liefert erhellende Einsichten in die Gründe für die seit den 1960er-Jahren erfolgte, immer mehr Fahrt aufnehmende Linksdrift der westlichen Gesellschaften. Nur wenige würden ja den Kommunismus, den historischen Materialismus und den heute insbesondere an Universitäten, in Schulen und Redaktionsstuben tobenden Wokismus in einen direkten Zusammenhang stellen. Antonio Gramsci lieferte das Bindeglied.
Karl Marx betrachtete die Geschichte bekanntlich als Abfolge von Klassenkämpfen und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Seiner Theorie zufolge hätte die Ausbeutung und die dadurch bedingte Verelendung der werktätigen Massen in den hoch entwickelten Industrienationen unausweichlich zur Revolution und zur gewaltsamen Überwindung des bürgerlich-kapitalistischen Systems führen müssen. Diese Prophezeiung war aber ganz offensichtlich falsch, denn zur Revolution kam es ausgerechnet in der wirtschaftlich und politisch rückständigsten Gesellschaft Europas, nämlich in Russland. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte rote Umsturzversuche in Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien, der Slowakei und Finnland blieben erfolglos, weil die von Marx erwartete Unterstützung der revolutionären Kräfte durch die Masse der Arbeiterschaft ausblieb.
Auch in Fernost war der Marxismus nicht etwa im hoch industrialisierten Japan erfolgreich, sondern im bitterarmen, agrarisch geprägten China. In Afrika reüssierten die Roten nach dem Ende des Kolonialismus in wirtschaftlich unterentwickelten Staaten wie Äthiopien, Angola oder Mosambik, nicht aber im wirtschaftlich starken Südafrika.
Antonio Gramsci erkannte, dass Karl Marx´ Fokussierung auf die vermeintliche Zwangsläufigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mit der Realität übereinstimmte. Er erweiterte dessen Theorie daher um die Begriffe "kulturelle Hegemonie" und "Kampf um die Zivilgesellschaft", deren Gewinn er als Voraussetzung für eine Transformation der bürgerlichen Gesellschaften in ein sozialistisches Utopia betrachtete. Die von Rudi Dutschke 1967 erhobene Forderung nach einem "Langen Marsch durch die Institutionen" basiert auf der Theorie Gramscis, die dieser während seiner elfjährigen Haftzeit zwischen 1926 und seinem Tod entwickelte.
Die Erlangung der "kulturellen Hegemonie" kann aus der Sicht der Linken inzwischen als vollständiger Erfolg verbucht werden. Die laut Gramsci von Schulen, Medien und Kirchen gebildete "Zivilgesellschaft" – dieser Tage erweitert durch die zu seiner Zeit noch nicht existenten "Nichtregierungsorganisationen" (NGOs), finden sich so gut wie vollständig in der Hand progressiver Kräfte. Heute einen "Kulturschaffenden" zu finden, der sich politisch nicht links verortet, dürfte schwerfallen. Die sozialistische Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk bezeichnete im Jahr 1994 nicht umsonst das von ihr damals geleitete Kulturressort als "Ideologieressort".
Dass von öffentlichen Gebäuden – ja sogar vor einem Polizeipräsidium –, Schulen und Kirchen heute Regenbogenfahnen, also die Wimpel des kulturmarxistischen Endsieges, wehen, sagt alles – auch wenn viele Bobos und Zeitgeistlinke, die mit dem orthodoxen Kommunismus nach ihrem – mangels eingehender Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen des Marxismus – irrigen Selbstbild, sich dessen gar nicht bewusst sind.
Dass die Lehrerschaft öffentlicher Schulen es vollkommen in Ordnung findet, ahnungslose und leicht lenkbare Schulkinder im Rahmen von "Fridays For Future"-Aktivitäten zum Schulschwänzen zu animieren, spricht Bände. Dass die Medien sich heute dazu berufen fühlen, nicht etwa aus kritischer Distanz zur Regierung zu berichten, sondern ihre Aufgabe darin sehen, die Opposition zu verteufeln und herunterzuschreiben, ebenfalls.
Dass das sozialistische Utopia – ganz gleich ob es gewaltsam oder mittels eines friedlichen "langen Marsches durch die Institutionen" – errichtet wird, am Ende scheitern muss, liegt auf der Hand. Nicht nur, weil die vorliegende historische Evidenz dafürspricht, sondern weil der Marxismus die conditio humana ignoriert und stattdessen eine unmenschliche, rein materialistisch fundierte atheistische Religion etabliert, in der das Individuum – übrigens wie im Islam – keinerlei Wert (außer dem eines unbedeutenden Rädchens im Getriebe oder der "Umma") besitzt.
Wer sich mit dem Ideengebäude Antonio Gramscis auseinandersetzen möchte, ohne dessen Tausende Seiten umfassende Schriften zu lesen, dem sei dieses Programm des konservativen US-amerikanischen Podcasters und Influencers Nick Freitas ("Making the Argument with Nick Freitas") wärmstens empfohlen. Es handelt sich um knapp zwei Stunden einer tiefgehenden Analyse.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.
Sehr geehrter Herr Tögel, herzlichen Dank für Ihre profunde Analyse. Es ist klar, dass der Marxismus auf allen Linien scheitern wird.
Jedoch, bis zu diesem endgültigem Scheitern wird er noch eine Spur der geistigen Zerstörung und des Blutvergießens nach sich ziehen.
Jetzt wollte ich doch wissen, wer der Urheber dieses "hochphilosophischen" Satzes ist. Google weiß es: Der Satz "Alles für die Freiheit aufgeben, das ist Freiheit" stammt aus dem Lied "Freiheit" von Marius Müller-Westernhagen. Dazu Google weiter: Der Satz "Alles für die Freiheit aufgeben, das ist Freiheit" ist ein Paradoxon und keine allgemein akzeptierte Definition von Freiheit. Es ist ein idealistischer, oft romantischer Gedanke, der impliziert, dass wahre Freiheit darin besteht, alle Bindungen und Einschränkungen abzulegen, selbst wenn dies bedeutet, alles zu verlieren. Diese Vorstellung ignoriert jedoch oft die Notwendigkeit von Regeln, Verantwortung und sozialen Bindungen für ein funktionierendes Gemeinwesen und eine individuelle Lebensqualität.
Der "einer der höchsten Offiziere der deutschen Bundeswehr" hat vor der leichtfertigen Verwendung dieses Zitates, noch dazu im nicht unproblematischen Ukraine-Zusammenhang, offenbar nicht (einmal) gegoogelt.
Danke!
Antonio Gramsci. hätte der jüngere Bruder von Benito Mussolini sein können. Beide Marxisten, beide bewunderten den Roten Terror der Bolschewiki, beide Politiker. Mussolinis Weg war kürzer, Gramsci noch immer aktuell. Nicht als Person, sondern sein transformiertes Gedankengut inspiriert die Roten Hegemonen.
Beim Spruch des deutschen Militaristen, muss sich die Assoziation, "Arbeit macht frei", zwingend einstellen.
Danke Herr Tögel, Sie haben die Wurzeln der Linken zu Papier gebracht. Gramsci ist mir namentlich als linker Agitator ein Begriff, auch Herr Heinzelmaier hat ihn schon mehrmals erwähnt. Aber egal, die Tatsache ist, die Bürgerlichen haben sie marschieren lassen und der Marsch und die Gaukeleien gehen weiter, nun marschieren sie sogar schon mit, wie lange noch?
Übrigens Sie sind mein Lieblingsautor.
Gramsci wurde in der Rede Junckers zur Einweihung der Marx-Statue sehr wohlwollend erwähnt.
Herzlichen Dank dem Autor für diesen hervorragenden Artikel. Das Interview mit Generalmajor Christian Freuding habe ich mir jetzt ungläubig zweimal angesehen. Der nördliche Nachbar würde sagen: "Der hat einen an der Klatsche!"
Der nördliche Nachbar selbst ist es, der einen an der Klatsche hat.
@Alois Eschenberger
Da haben Sie natürlich vollkommen recht.
Und so jemand ist Generalmajor bei der Bundeswehr ????armselig.
Danke für diesen exzellenten Beitrag; Herr Tögel! Mir wird von meiner nächsten Umgebung immer vorgeworfen, überall nur Ideologie zu wittern. Ihr Artikel sagt mir, daß wenigstens nicht ganz alleine bin.
Schani, Sie sind nicht alleine.
Da leidet die Umgebung an mangelhaftem Geruchssinn, wenn sie nicht allerorten die übelriechenden Schwaden ideologischen Gehorsams wittert.