Gastkommentare

Offene Grenzen und der Wohlstand der Nationen

19. Januar 2024 10:11 | Autor: Andreas Tögel
9 Kommentare

Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, gibt es kaum ein Argument gegen eine Politik der offenen Grenzen. Je größer der Raum, in dem produziert und Handel getrieben wird, desto besser. Reisefreizügigkeit belebt den Arbeitsmarkt und begünstigt die Arbeitsteilung. Größere Arbeitsteilung – ob innerhalb eines Staates oder auch grenzüberschreitend - führt lehrbuchartig zu einem Wachstum der Produktion und damit zu steigendem Wohlstand. Darüber hinaus wird für Gesellschaften mit schrumpfender Bevölkerung zunehmend das Problem des Arbeitskräftemangels virulent, dem durch Zuwanderung begegnet werden soll, wie vielfach gefordert wird. Rein ökonomisch argumentierende Freihandelsbefürworter treffen sich in der Frage der Personenfreizügigkeit mit linken Politikern und NGOs. Die Letzteren reden – getreu ihrer Vorstellung, wonach alle Menschen gleich wären und außerdem jedermann Anspruch auf den von anderen erwirtschafteten Wohlstand hätte – einer ungebremsten Migration das Wort. Ungeachtet der Herkunft und Qualifikation der Zuwanderer.

In einem kürzlich auf der Seite des liberalen US-Mises-Instituts veröffentlichten Essay des Ökonomen und Politikwissenschaftlers Ryan McMaken stellt der Autor fest, dass die Beurteilung der Frage der Migration aus rein ökonomischer Perspektive deutlich zu kurz greift.

Insbesondere für kleine Länder, so seine Analyse, kann eine Politik der offenen Grenzen nachteilige oder gar fatale Konsequenzen haben. Als Beispiele führt er u. a. Lettland/Russland, Botswana/Simbabwe und Vietnam/China an. Nachdem es in jedem der Beispiele ein starkes Einkommens- und Wohlstandgefälle zwischen den genannten Nationen gibt, sind – offene Grenzen vorausgesetzt – massive Wanderungsbewegungen zu erwarten. Im Falle Lettlands mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohnern, würde bereits die Migration von nur eineinhalb Prozent der 144 Millionen starken Population Russlands (das mit 12.246 $ BIP/Kopf eine nur etwa halb so hohe persönliche Wirtschaftsleistung wie Lettland aufweist), die autochthone Bevölkerung im eigenen Land in eine Minderheitenposition drängen. Auch wenn sich dieser Prozess über mehrere Jahre erstrecken sollte, ist es keine Frage, dass damit massive (geo-)politische Konsequenzen für das kleinere Land verbunden wären, die keineswegs wünschenswert ausfallen müssen.

Auch im dünn besiedelten, verhältnismäßig wohlhabenden Botswana, würde eine Massenimmigration aus dem bettelarmen Simbabwe die Bevölkerungsstruktur massiv verändern – mit allen damit verbundenen, vermutlich mehrheitlich negativen Konsequenzen. Die demographischen Veränderungen könnten es in den genannten Fällen mit sich bringen, dass sich die von liberaler Seite postulierte Wohlstandsmehrung durch offene Grenzen, infolge massiv zunehmender ethnischer Konflikte ins Gegenteil verkehrt. 

Wo eine autochthone Bevölkerung ihre kulturelle Eigenart und ihre Eigentumsverhältnisse durch eine ungebremste Massenimmigration bedroht sieht, kann eine praktisch auftretende Vielzahl von Problemen die erwarteten ökonomischen Vorteile offener Grenzen am Ende überwiegen.

Der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig Mises hat bereits vor rund hundert Jahren – damals allerdings mit Blick auf das dünn besiedelte Australien – vor einer Überfremdung des Landes infolge einer ungebremsten Masseneinwanderung aus China, Japan und Malaysien gewarnt. 

Grundsätzlich ist für jedes einzelne Land die Frage zu beantworten, ob Immigration der aufnehmenden Bevölkerung Vorteile bringt oder nicht. Ist das nicht der Fall, hat das Zielland jedes Recht, die Zuwanderung zu bremsen oder ganz zu unterbinden. Ryan McMaken resümiert im zitierten Essay, dass offene Grenzen auf längere Sicht die Tendenz aufweisen, neue politische Verhältnisse zu schaffen, die oft gegen die Interessen derselben Menschen instrumentalisiert werden, die durch ihren Einsatz für offene Grenzen und freie Migration das Wirtschaftswachstum und die Eigentumsrechte stärken wollten.

Ein Recht von Migranten auf eine Teilhabe am Eigentum fremder Menschen im Zuwanderungsland kann es jedenfalls nicht geben. Daher tun insbesondere kleine Länder gut daran, die Zuwanderung zu steuern und sorgsam auf die Herkunft und Qualifikation der Migranten zu achten. Vorteile zieht das Zielland aus der Einwanderung nämlich nur dann, wenn qualifizierte, auf dem Arbeitsmarkt gesuchte Menschen kommen – im besten Fall aus einem vergleichbaren Kulturraum.

Gegenwärtig ist leider das Gegenteil der Fall, da wir es in Europa nicht mit einer Migration in die Arbeitsmärkte, sondern mit einem Sturm auf die Sozialsysteme zu tun haben. Da diese aufgrund der negativen Bevölkerungsentwicklung ohnehin bereits zunehmend unter Finanzierungsdruck stehen, ist Gefahr im Verzug. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Es ist hoch an der Zeit, dass die EU sich nicht länger mit Orchideenthemen wie "Gendergerechtigkeit" oder der Normung von Verschlüssen für Kunststoffflaschen befasst, sondern sich echten Herausforderungen zuwendet – wie etwa die Massenzuwanderung eine darstellt.

 Bereits im September 2021 hat sich Andreas Tögel an dieser Stelle mit der Masseneinwanderung nach Europa auseinandergesetzt: Einwanderung in Geschichte und Gegenwart. Dieser Text enthält weiterführende Gedanken zum Thema. Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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  1. Si Tacuissem
    13. Februar 2024 02:49

    Ob Staaten (oder Gemeinschaften von Staaten), die ihre Grenzen nicht schützen, nicht auch ihr Staatsgebiet zur Disposition stellen und damit schon ihre eigenes Sein in Frage stellen? Zur Abschreckung wird gegen "Reichsbürger" die Staatsmacht meines Erachtens unverhältnismäßig demonstriert.



  2. Si Tacuissem
    13. Februar 2024 02:45

    Wo und von wem der wahre „Geheimplan gegen Deutschland“ tatsächlich besprochen wurde, wissen wir leider nicht!



  3. sokrates9
    21. Januar 2024 23:34

    Warum sperrt jeder seine Wohniung / sein Haus ab?Ist doch toll wenn Leute kommen und helfen die Wohnung zu putzen, den Rasen zu mähen.. leider ist das Sozialromantik.. in der Praxis sieht das anders aus.Im Kleinen verstehen das die grünen, wenn es um eine größere Einheit, einen Staat geht gilt das alles nicht...



  4. Pennpatrik
    20. Januar 2024 06:47

    Nur einmal angenommen, dass die Umvolkung Programm ist und daher gefördert wird. Warum sollte die EU dann etwas dagegen tun?



    • Isis42
      29. Januar 2024 17:08

      @Pennpatrick: Bitte lösen wir uns alle endgültig von der Vorstellung, dass die EU auf "unserer" Seite ist! Die sog. "Umvolkung", die unser selig Jörg Haider vor vielen Jahren vorausgesagt hat und die heftigst belächelt und kriminalisiert wurde, hat sich leider bewahrheitet und in unseren Alltag festgekrallt!!! Wir können nur mehr mit juristisch erlaubten Aktionen gegensteuern, wenn es nur gelingen mag.



  5. eupraxie
    19. Januar 2024 14:11

    Verliert eine Grenze nicht jeden Sinn, wenn diese offen ist bzw offen zu sein hat? Offen Grenzen führen zur nur Grenzenlosigkeit in jeder Hinsicht.



  6. Postdirektor
    19. Januar 2024 11:28

    „Eat the rich“, ein oft und oft plakativ vor sich hergetragener Kernslogan der Linken, wird nun, da die Linken in den Regierungen und in der EU das Sagen haben, in der Förderung der unbegrenzten Zuwanderung durch Menschen, die bei uns (ohne zu arbeiten) auf Kosten derjenigen leben, die etwas erarbeitet haben, bzw. erarbeiten, rasant forciert.
    Bis alles „aufgegessen“ ist, und alle arm sind. Dann wird auch die Zuwanderung aufhören.






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