Gastkommentare

Dr. Freud und die Kassentarife

27. August 2023 15:29 | Autor: Günter Frühwirth
7 Kommentare

Vor etwa 55 Jahren bereitete ich als Kulturattaché im österreichischen Kulturinstitut in New York eine Sigmund-Freud-Ausstellung vor. Dabei kam ich auch mit einem Dr. Max Schur kurz vor seinem Tod in der New Yorker Westside in Kontakt. Dieser Dr. Schur war vor seiner Flucht aus Wien der Hausarzt des Dr. Sigmund Freud. Das schien mir zunächst unglaublich, aber Freud hatte eben einen jungen Arzt für seine eigenen gesundheitlichen Anliegen.

Dr. Schur überließ mir für die Ausstellung leihweise einen Brief Dr. Freuds. In diesem Antwortschreiben auf eine Honorarnote seines Hausarztes drohte der große Professor Herrn Dr. Schur bei der Ärztekammer wegen die ärztliche Kunst missachtende zu niedriger (!) Honorare anzuzeigen.

Warum kam mir dieses originelle Ausstellungsstück jetzt wieder in den Sinn?

Weil ich dieser Tage von meiner Krankenkassa die Refundierung für eine vorgelegte Rechnung eines Wahlarztes angewiesen bekam. Für eine gute halbe Stunde Untersuchung, Diagnose und Therapiegespräch hatte ich einem Facharzt 100 Euro bezahlt. Die Krankenkassa erstattete mir hierfür den Betrag, den der Facharzt als Kassenarzt vertraglich erhalten hätte. Bitte jetzt niedersetzen und fest anschnallen! Ganze 12,55 Euro!

Abgesehen davon, dass alleine die Prozedur für eine Refundierung von der Ausstellung einer für die Einreichung geeigneten Rechnung (detaillierte Auflistung der Leistungen, Stempel, ...) bis zur Übersendung an die Kasse, die Überprüfung und Überweisung durch die Kassenexperten diesen Betrag sicherlich um ein weites übersteigt, hätte der Herr Prof. Freud schon längst einen geharnischten Brief an die Ärztekammer geschrieben.

Es ist doch klar, dass in Fällen wie hier aufgezeigt, der Verwaltungsaufwand der Krankenkassa die erbrachte finanzielle Leistung um ein Mehrfaches übersteigt.

Wie kann eine ärztliche Standesvertretung einem Kassenvertrag zustimmen, der für einen Facharzt eine Bezahlung vorsieht, der für andere Dienstleistungen gerade mal das zusätzliche Trinkgeld ist?!

Dieses Beispiel ist für mich auch eine weitere Erklärung, wieso immer weniger Mediziner bereit sind, als Kassenärzte mit allen vertraglichen Verpflichtungen zu arbeiten. Und deshalb haben wir schon jetzt im Gesundheitsbereich eine Zweiklassengesellschaft mit Privatpatienten und Menschen, die einen Kassenarzt aufsuchen müssen.

 

Dr. Günter Frühwirth ist Jurist und begeisterter Bahnfahrer. Die gesellschaftspolitische Entwicklung Österreichs verfolgt er mit aktivem Interesse.  

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  1. Konfrater
    28. August 2023 02:54

    "Zweiklassengesellschaft" trifft es nicht ganz - es sind deutlich mehr Klassen, die allerunterste sind die Notaufnahmen der Wiener Spitäler (wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiß),. Dritte-Welt-Niveau.



  2. Pallas
    27. August 2023 18:28

    Die ÖGK /Krankenkasse refundiert 80% des Tarifs, den ein Vertragsarzt/Kassenarzt für die verrechnete Leistung erhalten hätte.
    Als Begründung für den Rückhalt von 20% wird erhöhter Verwaltungsaufwand genannt . Im Klartext hat die ÖGK daher finanzielle Vorteile, wenn Versicherte Wahlärzte konsultieren. IM Funktionärs- Speech war davon noch nie die Rede. Die Ärztekammern als Vertragspartner haben die Kassenverträge jedoch nicht gekündigt was kraft der kammeramtlichen Degeneration zum Selbstzweck nicht verwundert.



  3. nonaned
    27. August 2023 18:05

    Ich hatte einmal mit einem Wahlfacharzt eine heisse Diskussion. Der hat mir entrüstet erzählt, dass die Patienten wegbleiben.

    Ich hab ihn gefragt, was er denn so im Schnitt für eine Ordination verlangt. Er hat mir eine utopische Zahl genannt, worauf ich ihm erklärt habe, da dürfe er sich nicht wundern, denn die Patienten bekämen ja nur was weiss ich, 8,50 refundiert, da überlegen sie es sich natürlich. Na ja einen Hunderter aller paar Monate einmal kann man u. U. verschmerzen, aber wenn der gute Mann dann 250 verlangt, das ist einfach zu happig. Da bleibt natürlich die Masse weg, die würde man aber zum Abzahlen der Einrichtungskredite brauchen.

    Er meinte dann, mich belehren zu müssen, dass ja die Einrichtung der Ordination soviel gekostet hat und er keine Unterstützung bekommen habe, klar logisch, wenn im Umkreis mehrere Fachärzte aus seinem Gebiet wären, dann wird keine Gemeinde unterstützend eingreifen.

    Geendet hat das Desaster in einer Insolvenz.



  4. Cotopaxi
    27. August 2023 16:58

    Bei manchem Kassenvertragsarzt macht es die Menge. Das Wartezimmer ist voll mit Orientalen, die die ganze Familie samt E-Cards mitbringen. Da glüht das Lesegerät.....



    • nonaned
      27. August 2023 18:00

      @Cotopaxi: soweit ich informiert bin, stimmt das nicht ganz. Wenn die Zahl der Patienten eine gewisse Grenze übersteigt, bekommt der Kassenarzt dann, sagen wir ab dem 1.201 Patienten weniger als für die ersten 1.200. Die Zahl weiss ich nicht mehr genau, aber das Prinzip. Als ob es ab einer gewissen Zahl für den Arzt leichter würde, mitnichten, je mehr Patienten, umso weniger Zeit für den einzelnen, das kann nur auf die Qualität gehen.



  5. Schani
    27. August 2023 16:09

    Danke für diesen Beitrag! Unsereinem (Kassenvertragsarzt) glaubt das ja niemand.



    • Schani
      27. August 2023 16:13

      P.s.: Man muß natürlich verstehen, daß Sozialversicherungspaläste und standesgemäße Gehälter für Kassenchefs und -bedienstete etwas kosten und dafür für Honorare, oder sollte man sie Iocorare nennen, dann nichts mehr da ist.






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