Gastkommentare

Eine Wiener Wahlanalyse einmal anders – mit ein paar Faktenchecks

15. Oktober 2020 07:27 | Autor: Günter Frühwirth
6 Kommentare

Das Wiener Wahlergebnis wurde von Experten nach allen Richtungen hin analysiert. Prozentuelle Veränderungen wurden meist nicht relativiert, obwohl z.B. ein Zugewinn von 4 Prozent von 40 auf 44 Prozent eine völlig andere Wertigkeit hat, als eine Verdoppelung des Stimmanteils von 4 auf 8 Prozent. Im ersten Fall hat sich der Wähleranteil um ein Zehntel erhöht, im zweiten Fall jedoch verdoppelt. Wer ist hier also tatsächlich der große Gewinner?

Aber lassen wir diese Prozentspielereien und schauen wir uns einige falsche Interpretationen und die dazugehörigen Fakten an.

Es ist ein ganz grober Fehler, den 11. Oktober 2020 mit dem gleichen Datum des Jahres 2015 zu vergleichen. Ein tatsächlich aussagekräftiger Vergleich kann sich nur auf das Wiener Ergebnis der letzten Nationalratswahl 2019 beziehen.

Denn gegenüber der Wahl 2015 hat sich in Wien in diesen fünf Jahren Entscheidendes verändert. Nicht nur, dass die Wiener Bevölkerung um über 100.000 Personen gewachsen ist, hat sich auch der Ausländeranteil von 26 Prozent auf 31 Prozent erhöht. Dies hat zur Folge, dass trotz eines starken Bevölkerungszuwachses die Zahl der für den Gemeinderat Wahlberechtigten nahezu gleich blieb, genau genommen sogar um 10.000 abgenommen hat.

Das Wiener Wahlvolk hat sich seit 2015 auch ganz natürlich signifikant verändert. Rund 100.000 Erstwähler kamen durch Heranwachsende dazu, während gleichzeitig etwa 80.000 Verstorbene registriert wurden. Das ist eine Änderung von insgesamt 180.000 Personen oder rund 15 Prozent in den Wählerverzeichnissen der Jahre 2015 und 2020.

Dazu noch die Vergleichszahlen der Bevölkerung 2015-2020 in den ‚Flächenbezirken’:

Donaustadt:            von 173.000 auf 195.000
Favoriten:                von 190.000 auf 207.000
Floridsdorf:             von 152.000 auf 168.000 

Auch innerhalb Wiens gab es während der fünf Jahre eine merkbare Mobilität. Wiener verließen die Bundeshauptstadt, neue kamen aus anderen Bundesländern, und auch innerhalb Wiens wechselten vor allem die Jungen ihre Adressen von einem Bezirk in einen anderen.

Diese Fakten lassen einen Vergleich mit der Nationalratswahl 2019 als naheliegender erscheinen, weil sich die Wählerstruktur in einem Jahr eben viel weniger verändert als in fünf Jahren.

Noch weniger eignet sich der von den Experten herangezogene Fünfjahresvergleich, wenn man die politische Ausgangssituation der beiden Wiener Wahltermine betrachtet.

Hier sollten alleine die Stichworte ‚FPÖ’ und ‚Strache’ genügen. 2015 war es ein Wahlkampf auf Biegen und Brechen zwischen links und rechts. Ein Zweikampf Häupl gegen einen auf dem Höhepunkt befindlichen Strache. In diesem Boxkampf spielte die ÖVP nur noch die Rolle des Nummerngirls mit einem Totalabsturz, wie ihn jetzt die Blauen durch einen politischen Selbstmord erfahren mussten.

Mangels eines blauen oder auch andersfärbigen echten Feindbilds hatte es der rote Spitzenkandidat Ludwig diesmal sehr leicht, unangefochten ein tolles Ergebnis zu erreichen.

Ist es aber wirklich so toll? Häupl erreichte 2015 für die SPÖ 39,59 Prozent. Ludwig bekam nach seinem Spaziergang über eine ‚Gmahte Wiesn’ 41,62 Prozent. Eigentlich könnte man erst ab mindestens 45 Prozent von einem tollen Wahlsieg sprechen, nach einem Wahlkampf, in dem die roten Stimmen doch nur abzuholen waren – und nicht nur in den 220.000 Gemeindewohnungen ...

Schauen wir uns die Vergleichszahlen der Grünen an. 14,8 Prozent gegenüber 11,84 Prozent vor fünf Jahren. Da kann schon gejubelt werden mit einem Danke der Frau Vizebürgermeister Hebein, ihrem Popup-Verkehrsressort und der großen Badewanne am Gürtel. Aber Moment mal – wie war das 2019 bei der Nationalratswahl? Da erreichten die Klima- und Umweltaktivisten in Wien 20,69 Prozent!

Faktum ist: Ein Radweg in der Praterstraße, das Planschbecken am Gürtel und eine Mimimispitzenkandidatin haben innerhalb eines Jahres jeden vierten Grünwähler vertrieben.

Ähnliches sehe ich bei den Pinken. Herr Wiederkehr kam aus dem Jubeln gar nicht mehr heraus. Sensationelle 8 Prozent, eine Steigerung um ein Drittel, so ließ er es in die Kameras dröhnen. Das Endergebnis ließ den Sieg dann zu seinem Pech noch auf ein Plus von nur 1,3 Prozent schrumpfen. Und das bei massivster Medienunterstützung, vom "Standard" bis zum ORF.

Noch größer die Enttäuschung, wenn Herr Wiederkehr jetzt hier lesen muss, dass seine Neos vor einem Jahr bei der Parlamentswahl 2019 in Wien sogar schon 9,86 Prozent erreichten – naja, er muss es ja nicht lesen ...

Es scheint müßig, das Schicksal der FPÖ und der ‚Ichpartei’ HC näher zu betrachten. Alles wurde dazu schon gesagt und noch mehr geschrieben. Aber eines möchte ich doch noch aufzeigen. Erneut einen Vergleich der Wählerzahlen der Nationalratswahl 2019 und der Wienwahl ein Jahr später bemühend. Im Herbst 2019 war Ibiza und das schlechthin nur als idiotisch zu bezeichnende Agieren des H.C. in aller Munde und für die Wahl auch entscheidend. Die FPÖ ohne Strache kam damals in Wien auf 12,83 Prozent (nach 21,35 Prozent bei der Nationalratswahl 2017).

Die Probleme Ibiza und Strache haben sich für die Blauen innerhalb des letzten Jahres eher nur noch verschlechtert, auch durch Straches selbstvernichtender Versuch einer Parteispaltung.

Und trotzdem kamen beide Blaue (Nepp und Strache) am 11. Oktober zusammen noch auf 10,38 Prozent. Eigentlich ein erstaunliches ‚bei der Stange bleiben’ der rechten Kernwähler.

Noch ein Wort zu den mit viel Graphik dargestellten Wählerstromanalysen, wie viele Wähler die Farben gewechselt haben, wer weshalb diesmal anders gewählt hat als vor fünf Jahren. Aber das Wahlvolk des 11. Oktober 2020 ist eben nicht ident mit dem des Jahres 2015.

Daher fände ich es viel interessanter und aussagekräftiger zu hinterfragen, weshalb jeder vierte Grün-Wähler vom Herbst 2019 diesmal nicht Grün gewählt hat, und wieso sich auch ein bemerkenswerter Teil der Neos-Wähler vor einem Jahr jetzt nicht für die Pinken erwärmen konnte.

Zum Schluss noch eine Betrachtung des Abschneidens der türkisen ÖVP unter Gernot Blümel.

Ja, die ÖVP hat sich mit dem Wandel von Schwarz zu Türkis gegenüber 2015 auf 20,43 Prozent sogar mehr als verdoppelt. Punktgenau, wie es die Sonntagsfragen erwarten ließen.

Böse Zungen meinen, dass die Türkisen dieses Resultat trotz Blümel erreicht haben. Nun gab es in der Tat im türkisen Fußvolk ausreichend Widerstand gegen einen Bundesfinanzminister als Spitzenmann in der oppositionellen Bundeshauptstadt. Viele glaubten nicht, dass es gescheit und glaubhaft sei, in der Zeit einer österreichischen und europäischen Budget- und Wirtschaftskrise den Schlüsselminister ins Wiener Rathaus zu schicken, am Ende gar nur als Nichtamtsführenden Stadtrat.

Die Parteiführung setzte jedoch auf den Ministerbonus, der den roten Bürgermeisterbonus wettmachen sollte. Dabei wurde aber eines übersehen: Blümel konnte gar nicht gegen einen Ludwig kämpfen. Zu sicher war Ludwig schon vor der Wahl als Bürgermeister im Rathaus einzementiert. Stattdessen musste Blümel sich gegen alle anderen Parteien und Spitzenkandidaten zur Wehr setzen. Er musste statt eines Angriffs- einen persönlichen Abwehrkampf führen.

Wie ist nun das türkise Endergebnis mit Blümel zu werten?

Vergleichen wir die 20,43 Prozent wieder mit dem viel naheliegenderen Wiener Ergebnis der Nationalratswahl 2019 vor einem Jahr. Damals erreichte die ÖVP mit dem Strahlemann Sebastian Kurz als Kanzlerkandidat in den 23 Wiener Bezirken 24,63 Prozent Nur um ganze vier Prozent mehr als jetzt Blümel.

Ich wage daher abschließend die Behauptung, dass eine ÖVP am 11. Oktober auch mit einem anderen Spitzenkandidaten, wobei zumeist an den Wiener Wirtschaftskämmerer Ruck gedacht wird (der aber selbst gar nicht in die Rathauspolitik einsteigen will – er macht sich das mit Ludwig viel lieber zu zweit aus), kein markant besseres Ergebnis erzielt hätte.

Meine Kaffeesudvorhersage für die kommende Regierungskoalition? Never change a winning team! Ludwig wird nolens volens erneut Frau Hebein akzeptieren, aber mit Änderungen in der Kompetenz. Notfalls, damit die Grünen ihr Gesicht wahren können, auch mit Verkehrsagenden. Achtung es folgt Ironie: Aber möglicherweise reduziert auf Radfahr- und Fußgängerangelegenheiten, vermehrt mit Stadtgartenamt, Schrebergärten und Friedhöfe ...      

Dr. Günter Frühwirth ist Jurist mit aktivem Interesse an Themen der Gesellschaftspolitik.

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die besten Kommentare

  1. Ausgezeichneter KommentatorSukkum
    5x Ausgezeichneter Kommentar
    15. Oktober 2020 08:49

    Eines wird in dieser Analyse völlig ausgeklammert - die Medien, allen voran der ORF, haben die Grünen über alle Maße gefördert. Da gab es keinen auch noch so kleinen Mangel anzuprangern, obwohl es dort jede Menge gibt.
    Auch bei der SPÖ keine Probleme, trotz der ständigen penetranten Korruption im Rathaus und in den Bezirksvertretungen, die längst juridisch aufgearbeitet werden müssten.

    Obwohl das Team Strache bisher gar nicht im Landtag war schien es forciert in den Medien auf - nur um der FPÖ zu schaden.

    Ähnlich wie beim Wahlkampf der NR-Wahl 2019 die Grünen hofiert worden waren um sie wieder ins Parlament zu bringen - mit großem Erfolg der Regierungsbeteiligung.

    Fazit: Die Medien machen die Politik, die Parteien sind längst von denen abhängig. Und die Regierungen apportieren brav was linke Medien vorgeben!

  2. Ausgezeichneter KommentatorJosef Maierhofer
    3x Ausgezeichneter Kommentar
    15. Oktober 2020 08:44

    Ludwig wird Frau Hebein ins Koalitionsbett 'heben'. Damit wäre die 'Beißhemmung' Bund gegen Wien zementiert.

    Billiger geht es mit den NEOS. Damit wäre die Macht der SPÖ und Ludwigs maximal ausgenützt, aber die Beißhemmung des Bundes wäre weg.

    Ich glaube, da gäbe es noch weitere Möglichkeiten.

    Und ÖVP ? Zum 'Schutz' des 'Wien-Verräters' Blümel, der nur den Platzhalter gespielt hat für die Wahl in Wien, wird sicher nach alter 'Proporzrücksicht' mit der ÖVP nicht verhandelt.

  3. Ausgezeichneter KommentatorRiese35
    2x Ausgezeichneter Kommentar
    15. Oktober 2020 13:30

    Ich hätte noch einen Vorschlag: die Verantwortlichkeit für die Kinderfreibäder sowie für die Che-Büste im Donaupark könnte man auch den Popupgrünen überlassen.

  4. Ausgezeichneter Kommentatorriri
    1x Ausgezeichneter Kommentar
    15. Oktober 2020 22:42

    Vielen Dank für die einmal andere Wahlanalyse.
    Was macht ein Politstratege, wenn der Wähler die Partei zum Nummerngirl degradiert:
    Er nimmt sich das chinesische Modell zum Vorbild und betreibt Betriebsspionage. Das heißt, der Politstratege will an die erfolgreichen Argumente der Konkurrenz heran kommen, aber mangels eigener Ideen stiehlt er deren Parteiprogramm.
    So geschehen im Jahre 2019. Anläßlich der Wien-Wahl wurde das chinesische Modell wieder ausgepackt.
    Diebstahl lohnt sich.

  1. andreas.sarkis (kein Partner)
    17. Oktober 2020 10:56

    Eines wurde in den Erklärungen völlig übersehen:
    Wien schenkte seit der letzten Wiener Wahl Ausländern, in sechsstelliger Zahl, die Staatsbürgerschaft und damit Wahlberechtigung. Bei vielen davon ohne die Mindestvoraussetzungen (Aufenthaltsdauer, Sprachkenntnisse, etc.)

    Trotz dieser Wahlbeeinflussung, nichts anderes ist es, schaffte dann die SPÖ wieder nicht die Absolute?



  2. Ingrid Bittner
    16. Oktober 2020 11:46

    Über Steigerungen, die in Wahrheit ja ein Minus sind, so zu jubeln, find ich bei allen Parteien schizophren. Wenn ich nicht einmal jene Wähler mobilisieren kann, die 2015 zur Wahl gingen, worauf stützt sich dann der Jubel? Das Hochstilisieren zu großartigen Erfolgen, die in Wirklichkeit Misserfolge sind, das beherrschen
    Von den NEOS lese ich z. B heute in den OÖN: Neos im Aufbruch: Was sich die Partei in Wien und in Oberösterreich erhofft.
    Jetzt geht es schon los, dass man das ach so tolle Ergebnis in Wien auf die nächste Wahl, das ist offenbar die in OÖ übertragen will. Es ist ein Kasperltheater.



  3. riri
    15. Oktober 2020 22:42

    Vielen Dank für die einmal andere Wahlanalyse.
    Was macht ein Politstratege, wenn der Wähler die Partei zum Nummerngirl degradiert:
    Er nimmt sich das chinesische Modell zum Vorbild und betreibt Betriebsspionage. Das heißt, der Politstratege will an die erfolgreichen Argumente der Konkurrenz heran kommen, aber mangels eigener Ideen stiehlt er deren Parteiprogramm.
    So geschehen im Jahre 2019. Anläßlich der Wien-Wahl wurde das chinesische Modell wieder ausgepackt.
    Diebstahl lohnt sich.



  4. Riese35
    15. Oktober 2020 13:30

    Ich hätte noch einen Vorschlag: die Verantwortlichkeit für die Kinderfreibäder sowie für die Che-Büste im Donaupark könnte man auch den Popupgrünen überlassen.



  5. Sukkum
    15. Oktober 2020 08:49

    Eines wird in dieser Analyse völlig ausgeklammert - die Medien, allen voran der ORF, haben die Grünen über alle Maße gefördert. Da gab es keinen auch noch so kleinen Mangel anzuprangern, obwohl es dort jede Menge gibt.
    Auch bei der SPÖ keine Probleme, trotz der ständigen penetranten Korruption im Rathaus und in den Bezirksvertretungen, die längst juridisch aufgearbeitet werden müssten.

    Obwohl das Team Strache bisher gar nicht im Landtag war schien es forciert in den Medien auf - nur um der FPÖ zu schaden.

    Ähnlich wie beim Wahlkampf der NR-Wahl 2019 die Grünen hofiert worden waren um sie wieder ins Parlament zu bringen - mit großem Erfolg der Regierungsbeteiligung.

    Fazit: Die Medien machen die Politik, die Parteien sind längst von denen abhängig. Und die Regierungen apportieren brav was linke Medien vorgeben!



  6. Josef Maierhofer
    15. Oktober 2020 08:44

    Ludwig wird Frau Hebein ins Koalitionsbett 'heben'. Damit wäre die 'Beißhemmung' Bund gegen Wien zementiert.

    Billiger geht es mit den NEOS. Damit wäre die Macht der SPÖ und Ludwigs maximal ausgenützt, aber die Beißhemmung des Bundes wäre weg.

    Ich glaube, da gäbe es noch weitere Möglichkeiten.

    Und ÖVP ? Zum 'Schutz' des 'Wien-Verräters' Blümel, der nur den Platzhalter gespielt hat für die Wahl in Wien, wird sicher nach alter 'Proporzrücksicht' mit der ÖVP nicht verhandelt.






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