Gastkommentare

Lehren aus dem Krieg in der Ukraine: Sternstunde der Lenkwaffen

26. August 2022 11:29 | Autor: Andreas Tögel
10 Kommentare

In diesem Beitrag geht es nicht um eine normative Bewertung des Krieges in der Ukraine, sondern lediglich um militärisch-technische Erkenntnisse. Nach eingehender Sichtung der mir zugänglichen Quellen, erleiden die mechanisierten russischen Verbände in der Ukraine offenbar erhebliche Verluste. Ein guter Teil davon geht auf das Konto von ferngesteuerten unbemannten Kampfdrohen und Panzerabwehrlenkwaffen.

Hier soll auf letztere eingegangen werden. Panzerabwehrlenkwaffen (PAL) zwar keine ganz neue Erfindung, haben aber seit ihren Anfängen eine stürmische Entwicklung genommen, was Reichweite, Bedienerfreundlichkeit und Ersttrefferwahrscheinlichkeit angeht. PAL haben im Kampf gegen einen mechanisierten Feind eine neue Karte ins Spiel gebracht.

Die Einsatzgrundsätze von Kampfpanzern auf dem modernen Gefechtsfeld, werden sich wohl erheblich wandeln (müssen). Der Panzerschutz der Fahrzeuge wird nämlich durch deren Gesamtgewicht limitiert. Der Wettlauf zwischen Panzerentwicklung einerseits und Abwehrwaffen andererseits, scheint im Moment jedenfalls zugunsten der letzteren auszugehen. Nichtsdestotrotz: Nach wie vor ist der moderne, stark motorisierte Kampfpanzer ein wesentlicher Akteur auf dem modernen Gefechtsfeld, da er schnelle Bewegung und Feuerkraft in sich vereint. 

Zurück zu den Lenkwaffen: Erstmals in großem Stil eingesetzt wurden PAL von der ägyptischen Armee im Sinai während des Yom-Kippur-Krieges im Jahre 1973. Die israelischen Panzertruppen erlitten damals schwere Verluste durch die von den Ägyptern eingesetzten russischen Waffen des Typs 9K11 Maljutka mit der Nato-Bezeichnung SAGGER und 2K8 Falanga (Nato-Code: SWATTER). Das waren drahtgelenkte Raketen mit Hohlladungssprengkopf, die dem Schützen große Aufmerksamkeit abverlangten, weil sie wie ein fernsteuerbares Flugmodell von der Starteinheit bis zum Aufschlag ins Ziel gelenkt werden mussten. Der Schütze war während der Flugzeit seiner Rakete dem feindlichen Feuer ausgesetzt, weil ihn der unbedingt notwendige Sichtkontakt zum Ziel aus der Deckung zwang.  

Die derzeit von den ukrainischen Streitkräften eingesetzten PAL vom Typ FGM-148 JAVELIN Medium Antiarmor Weapon System US-amerikanischer Provenienz oder damit vergleichbare Systeme (wie die in der Ukraine produzierte STUGNA-P) sind dagegen regelrechte "Wunderwaffen": Der Schütze muss nur das Ziel kurz anvisieren, "aufschalten" und den Auslöser betätigen. Alles weitere erledigt die Rakete selbsttätig.

Es handelt sich um ein im Militärjargon als "fire-and-forget-Waffe" bezeichnetes Gerät. Ist die Rakete einmal unterwegs, kann der Panzer fahren, wohin er will, er wird jedenfalls getroffen. Das Javelin-System verschießt eine Feststoffrakete mit einem achteinhalb Kilo schweren Gefechtskopf, der eine doppelte Hohlladung enthält und damit auch modernste Reaktivpanzerungen überwinden kann. Was diese und andere aktuelle PAL für Panzerfahrzeuge so besonders gefährlich macht, ist der Umstand, dass die Rakete kurz vor dem Ziel hochzieht und den Panzer von oben trifft – also dort, wo er am wenigsten geschützt ist. Vielfach sind in der Ukraine bereits improvisierte, zum Teil recht abenteuerliche Konstruktionen auf Russenpanzern aufgetaucht, die der Gefahr eines vernichtenden Treffers von oben entgegenwirken sollen.

Viele Bilder und Videos aus den Kampfzonen der Ukraine, zeigen neben abgeschossenen russischen Panzern liegende Geschütztürme. Das hat damit zu tun, dass die Treffer durch PAL eben von oben erfolgen, und die unter dem Turm in einer automatischen Ladevorrichtung ruhende Munition, sich in diesem Fall mit der Ladung des aufschlagenden Geschosses solidarisiert, ebenfalls detoniert und dabei den Panzerturm absprengt.

Das ist der Konstruktion der russischen T-Panzer geschuldet, die auf einen vierten Mann der Besatzung (den in westlichen Panzertypen üblichen Ladeschützen) verzichten, was zwar eine niedrigere Silhouette ermöglicht, aber mit sich bringt, dass die Mannschaft de facto auf einem Pulverfass sitzt. Bei in Westarmeen eingeführten Kampfpanzern, die über keine Ladeautomatik verfügen, sondern einen Ladeschützen an Bord haben, lagert die Bereitschaftsmunition meist im hinteren Teil des Turms, was im Fall eines Treffers die Überlebenswahrscheinlichkeit der Besatzung und des Gerätes deutlich erhöht.

Dazu hier eine anschauliche Grafik der Washington Post.

Wie der Kriegsverlauf in der Ukraine jedenfalls unmissverständlich zeigt, lohnt sich eine entschlossene militärische Landesverteidigung – auch gegen einen zahlenmäßig klar überlegenen Angreifer. Außer zugegeben beachtlichen Gebietsgewinnen im Donezbecken und im Süden des Landes sind den russischen Truppen nach immerhin sechs Monaten Krieg bislang keine atemberaubenden strategischen Erfolge beschieden. Westliche Militärexperten zeigen sich daher über die bescheidenen Leistungen der als deutlich stärker eingeschätzten russischen Truppenverbände erstaunt. Die verhältnismäßig schwache Performance der Russen, und das ist die gute Nachricht, könnte den Appetit der russischen Führung auf weitere militärische Abenteuer verringern – etwa einen Angriff auf einen angrenzenden Nato-Staat.  

Die liberalen Demokratien Europas wären in jedem Fall gut beraten, ihre zugunsten des überbordenden Wohlfahrtsstaats stark vernachlässigten Verteidigungsanstrengungen drastisch zu erhöhen – besonders im Hinblick auf ein mögliches Comeback Donald Trumps im Weißen Haus. Trump hatte in seiner Amtszeit als Präsident ja bereits laut darüber nachgedacht, den von den USA über Europa errichteten Schutzschild abbauen zu wollen. In diesem Fall stünde Mittel- und Westeuropa dem russischen Bären im Moment erschreckend schwach gegenüber. 

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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  1. sokrates9
    04. September 2022 23:42

    Sehe noch einen anderen Effekt: Die Zeiten der großen Kriege sind (gottseidank) vorbei.Wenn man sieht wie schwer sich die Russen tun Teile der Ukraine zu erobern, sieht man doch dass sie nie das Potential hätten Europa (abgesehen von Atombomben) anzugreifen. Schweden, Finnland hätten sich Natobeitritt sparen können, abgesehen dass Putin sicher nicht Interesse hat Europäische Länder zu erobern. Dass man von der ukrainischenGrenze 400 km bis Moskau hat. die USA den Mittelstreckenraketenstoppvertrag einseitig gekündigt hat und die USA- Konzerne 600 Milliarden in der Ukraine investiert haben lässt diverse Überlegungen von Putin nachvollziehbar machen. Die USA gößte Militärmacht der Welt wird aus Afghanistan mit nassem Fetzen davongejagt, von Vietnam ebenfalls auch keine mitlitärischer Erfolggeschichten!



  2. Yoshinori Sakai
    28. August 2022 19:48

    Ganz ausgezeichnete Analyse, diesmal zum Thema Militärtechnik!!

    Vielen Dank Herr Tögel!



  3. Willi
    27. August 2022 16:28

    Wer behauptet denn, dass wir uns vor den Russen fürchten müssen? Die können auch nicht schlimmer sein, als die EUdSSR.



    • Willi
      30. August 2022 07:55

      Jenen, die meine Meinung negativ bewerten, empfehle ich das Buch: "Die vereinigten Staaten von Europa" von Oliver Janich.
      Wir haben den gleichen Kommunismus wie die UdSSR hatte, nur dass er hier FREIWILLIG selbst gewählt wurde und wir noch materielle Reserven aus dem Kapitalismus haben.



  4. pressburger
    27. August 2022 08:14

    Wunschdenken im O-Ton. "Die liberalen Demokratien Europas". Auf welchen Staat in der EU, treffen beide Bezeichnungen zu ? Liberal ? Demokratie ? Planwirtschaft, die in der EU herrscht, ist mit liberal und Demokratie nicht vereinbar. Hayek.
    Kulturell-geographische Ausgrenzung. Russland, bis zum Ural, ist Europa. Warum immer wieder die Behauptung, nur die EU oder Westeuropa, ist Europa.
    Sprache ist verräterisch. Russland soll entweder der gefährliche Bär, oder eine Ansammlung von Zurückgebliebenen sein.
    Entscheidung ? Die Idee, Russland könnte auch Partner sein, haben die westlichen Bellizisten verworfen.



    • Andreas Tögel
      29. August 2022 11:43

      Verehrter pressburger, ich habe ja nicht behauptet, die EU wäre Europa. Ich bin auch kein Transatlantiker und kein Bellizist. Russland in die Schmuddelecke zu stellen halte ich für einen schweren Fehler. Alle Brücken zu Verhandlung abzubrechen, um den Krieg zu beenden, ebenfalls.
      Dass vom Liberalismus des 19. JH in Europa nicht mehr viel übriggeblieben ist, stimmt - da haben Sie recht. Verglichen mit dem heutigen Russland aber ist es doch einiges (von den Steuersätzen abgesehen). Jedenfalls muss man hierzulande (zumindest bislang) noch nicht befürchten, einer regierungskritischen Äußerungen wegen umgelegt zu werden.



    • elfenzauberin
      30. August 2022 23:20

      @Andreas Tögel
      Bei uns wird man vielleicht nicht umgelegt, aber wirtschaftlich und existentiell vernichtet - und zwar immer dann, wenn man mit der Meute nicht mitheult.
      Einige meiner Kollegen mussten sogar Berufsverbote hinnehmen, nur weil sie dem Covid-Narrativ nicht folgten. Und dass man hierzulande ungestraft alles sagen kann, was man sich denkt, ist leider Geschichte. Wenn man Kopftücher, Moscheen und Schwulsein nicht so toll findet und das öffentlich kundtut, hat man keine guten Karten. Dazu kommen noch die autoritären Anwandlungen unserer Regierungen, von denen wir in den letzten beiden Jahren so einige Kostproben erhalten haben.
      Übrig bleiben dann die Steuersätze - und die sind anderorts günstiger als bei uns.



    • Willi Kuchling
      01. September 2022 07:57

      Ich schließe mich @elfenzauberin an.

      Wenn RichterIn Mag. Lechner vom LVwG Innsbruck die Tiroler Planunterlagenverordnung nicht vollziehen kann, weil sie eine Ansicht nicht von einem Grundriss oder Schnitt unterscheiden kann, obwohl die Ansicht im Einreichplan klar als „Ansicht“ gekennzeichnet wurde, ist Böswilligkeit vorauszusetzen. Besonders dann, wenn sich Frau Dr. Knapp Brucker von der Staatsanwaltschaft Innsbruck dieser Unkenntnis vollinhaltlich anschließt, um den Bürgermeister der Marktgemeinde Jenbach nicht wegen Amtsmissbrauch anklagen zu müssen.

      Mag. Hengl vom LVwG Ibk hat mich aufgrund dieses Amtsmissbrauches um 990 Teuronen beraubt.
      Das kann ich durch die Bescheide und Urteile belegen, habe diese schon an Dr. Unterberger als pdf geschickt und zur Einsicht freigegeben.
      Ing Willi Kuchling.



    • pressburger
      01. September 2022 11:03

      @Andreas Tögel
      Danke für Ihre Reaktion auf mein Kommentar.
      Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen EU und Europa war nich persönlich gemeint. Die Unterscheidung ist wichtig, weil europäische Werte unsere Zivilisation sind. Die EU, obwohl die Brüsseler "Eliten" ständig von Werten schwadronieren, hat keine Werte.
      Möchte mich nicht auf die militärische Ebene begeben, aber Russland verfügt über Hyperschall Raketen, gegen die Amis noch keine Abwehr haben. Offen ist, welche Rolle diese Neuentwicklung im Verlauf des Krieges haben wird.



  5. eupraxie
    26. August 2022 18:51

    Die Europäer bzw. die EU hat keine eigene Verteidigung die diesen Namen verdient, weil die USA den Schutz sicherstellen. Damit ist die EU natürlich auch etwas hilflos den "Vorschlägen" zur Setzung von Maßnahmen ausgeliefert.

    Wenn die EU tatsächlich von der Kittelfalte der Amerikaner wegwollten, brauchten sie nur beginnen, eine ernsthafte Verteidigung zu Luft, zu Land und zu Wasser aufzubauen.






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