Gastkommentare

Die gescholtene Kriegsgeneration

06. Dezember 2021 23:56 | Autor: Willi Sauberer
16 Kommentare

Der Zeitpunkt ist auf den Tag genau festzumachen: In der Nationalratssitzung am 8. Juli 1991 eröffnete der amtierende Bundeskanzler in einer Sitzung des österreichischen Nationalrats die Debatte zum Tagesordnungspunkt "Zur aktuellen Lage in Jugoslawien". Die dortigen Zerfallserscheinungen begannen konkret 1991, und es war unumgänglich, dass sich auch Österreichs hohe Politik mit den Ereignissen an seinen Grenzen befasste. Die Parlamentsdebatte verlief unaufgeregt und sachlich. Völlig überraschend wechselte Franz Vranitzky in seiner Rede jedoch das behandelte Thema und belehrte die Abgeordneten über die österreichische Zeitgeschichte. Ein Anlass für diesen dramatischen Schwenk war und ist nicht erkennbar.

Man kann diese Gedankenakrobatik rund ein halbes Jahrhundert (!) nach den deutschen Überfällen auf Polen, Frankreich und die Sowjetunion einen rhetorischen Schachzug nennen – oder einen logischen Salto mortale.

Vranitzky zog in dieser seiner Rede aus durchaus richtigen Feststellungen und Beobachtungen eine obskure Schlussfolgerung. Es drängt sich der Vergleich mit einer mathematischen Addition auf: Die Zwischensummen waren alle richtig; das Endresultat war falsch. Entscheidende Sätze aus dem originalen Redetext:

  • "Es ist unbestritten, daß Österreich im März 1938 Opfer einer militärischen Aggression mit furchtbaren Konsequenzen geworden war." Nicht als Staat habe Österreich Leid über andere Menschen und Völker gebracht. Richtig!
  • "Die unmittelbar [nach dem Anschluss] einsetzende Verfolgung brachte Hunderttausende Menschen unseres Landes in Gefängnisse und Konzentrationslager, lieferte sie der Tötungsmaschinerie des Nazi-Regimes aus, zwang sie zu Flucht und Emigration. Hunderttausende fielen an den Fronten oder wurden von den Bomben erschlagen. (…) Viele haben Widerstand geleistet und dabei ihr Leben für Österreich gegeben." Richtig!
  • "Vieles ist in den vergangenen Jahren geschehen, um, so gut dies möglich war, angerichteten Schaden wiedergutzumachen, angetanes Leid zu mildern." Richtig!
  • "Dennoch haben auch viele Österreicher den Anschluß begrüßt, haben das nationalsozialistische Regime gestützt, haben es auf vielen Ebenen der Hierarchie mitgetragen. Viele Österreicher waren an den Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen des Dritten Reichs beteiligt, zum Teil an prominenter Stelle." Leider auch richtig!

Die vorliegende Untersuchung über die Kriegsgeneration untermauert diese vier von Vranitzky vertretenen Thesen. Dass Vorher- und Nachher-Österreicher zum Teil schwere Schuld auf sich geladen haben, wurde nie bestritten, bedurfte allerdings 1991 keiner amtlichen Bestätigung mehr.

Was Vranitzky aber nicht sagte: Dass "Bürger" wie Eichmann und Kaltenbrunner und andere "Parteigenossen" für ihre Verbrechen nicht die geringste Legitimation als Exponenten Österreichs oder der Österreicher hatten und dass sich diese Täter auch nicht als Österreicher, sondern als "Großdeutsche" gefühlt hatten.

Vor allem verschwieg Vranitzky, dass die angesprochenen Täter und Mitläufer in Österreich zahlenmäßig immer nur eine Minderheit waren. Aber das durfte Vranitzky nicht zugeben, sonst hätte er seine fatale Botschaft an die Öffentlichkeit nicht aussenden können: "Über eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen."

Er hat "Wir" gesagt und "Mitverantwortung". Als Bundeskanzler der Republik hat er die Kollektivschuld aller Österreicher konstruiert.

Die Motive für die thematische Abweichung des Redners von der parlamentarischen Tagesordnung sind nicht durchschaubar, die Folgen umso offenkundiger:

  • Die Demütigung Österreichs durch Staaten, die lange Zeit dem Hitler-Regime keineswegs so ablehnend gegenüberstanden und Österreich in seinem Abwehrkampf nie unterstützt haben.
  • Die Ausnutzung von Vranitzkys Worten "Wir" und "Mitverantwortung" als Freibrief für die künftige Verleumdung der österreichischen Kriegsgeneration durch ideologische Irrläufer.

Der Phantasie bleibt ein weiter Spielraum, aber alle vorstellbaren Horrorszenarien, die da herandrängen, möchte man gar nicht weiterdenken.

Man braucht keinen Verschwörungstheorien nachzuhängen, aber man muss die Tatsachen registrieren: In Außen- und Innenpolitik, auf Universitäten, in Schulen und nicht zuletzt in fast allen Medien wurden die Schalter auf die Mitschuld eines imaginären Österreich am Zweiten Weltkrieg und an den Nazi-Verbrechen umgelegt. Man sträubt sich, dahinter eine generalstabsmäßige Planung zu vermuten. Aber was war es dann?

Über die Nachkriegs-Genossen, die sich (damals 43 Jahre nach dem Kriegsende) als Richter und Rächer aufspielen und in der Formel von Österreich als erstem Opfer eine "Lebenslüge" erblicken, ärgerte sich Norbert Leser schon 1988. Die Formel müsse zwar durch die individuelle Schuldfeststellung ergänzt werden, "aber sie ist keine Lüge, denn immerhin ist Österreich 1938 tatsächlich überfallen worden, und auch die Billigung der militärischen Invasion durch einen Teil der Bevölkerung und der Jubel von Massen nach dem Fait accompli ändern an dieser völkerrechtlichen Qualifikation nichts. (…) Weiter ist zu bedenken, dass es nicht nur inopportun, sondern vom österreichischen Standpunkt aus geradezu selbstmörderisch gewesen wäre, die Formel von Österreich als erstem Opfer Hitlers zu relativieren oder die Frage einer Mitschuld aufzuwerfen oder gar eine solche zuzugeben." Soweit der sozialdemokratische Wissenschafter.

Drei Jahre später übernahm der sozialdemokratische Politiker Franz Vranitzky im österreichischen Parlament für das gesamte Staatsvolk "Mitverantwortung" …

 

Der Vorabdruck ist entnommen dem soeben erschienenen Buch von Willi Sauberer: "Die gescholtene Kriegsgeneration ‒ Eine Rot-Weiß-Rote Faktensuche." Bestellungen: Österreichischer Milizverlag, Schwarzenbergkaserne Objekt 48, 5071 Wals. E-Mail: milizverlag@miliz.at. Fax: 050201-80-17414. Homepage: www.miliz.at

Willi Sauberer, Schüler Hugo Portischs, war ab 1961 Mitarbeiter von Alfons Gorbach, Josef Klaus und Hermann Withalm und von 1971 bis 1994 Chefredakteur einer kleinen Salzburger Tageszeitung. Der konservative Publizist schreibt vorwiegend über gesellschaftspolitische, zeithistorische und lokalgeschichtliche Themen.     

 

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  1. WiseWolf_CEE (kein Partner)
    10. Dezember 2021 22:46

    Auch heute begrüßt die Mehrheit der öst. Bevölkerung die Einsetzung der Diktatur und Aushebelung der Menschenrechte und des Rechtsstaates.... Manche feiern es sogar... Geschichte wiederholt sich....

    PS. Was auch gleich geblieben ist, dass Schuld die Anderen sind...



  2. Don Quijote (kein Partner)
    09. Dezember 2021 21:18

    Der Artikel ist vollkommen zutreffend, auf einen Fehler möchte ich freilich hinweisen: Eichmann war nie Österreicher, sondern deutscher Staatsbürger, der in Linz lebte und 1933 ausgewiesen wurde.



  3. andreas.sarkis (kein Partner)
    09. Dezember 2021 10:35

    Mit "Wir" meinte Vranitzky die eigenen; anderes ist einem Marxisten nicht möglich. Die eigenen waren jene, zu zuerst gegen Österreich putschten, sich danach den Nazis anschlossen und mit ihnen gemeinsam die Übernahme Österreichs betrieben.

    Zum Milizverlag: Schade, dass es keine ebook-Versionen gibt. Viele sind schon längst auf platzsparendere elektronische Lektüre umgestiegen (um die überlasteten Bücherregale zu reduzieren).



    • xerios (kein Partner)
      10. Dezember 2021 17:53

      Dass viele Altnazis und auch Verbrecher vor allem bei den Sozis untergekommen sind wird halt gerne ausgeklammert.
      Ua. beim Bund Sozialistischer Akademiker.

      Man denke nur an den Kindermörder Dr. Gross vom Spiegelgrund (SPÖ-Ehrenmitglied).
      Den die Justiz auch noch nach Jahrzehnten selbst unter sozialistischen Regierungen ungeschoren davonkommen ließ.
      Beim Prozess gegen Udo Proksch war er sogar noch Gerichtsgutachter.

      Oder man denke an die ungebrochene Heroisierung des Anschlussbefürworters und Antisemiten Karl Renner.
      Nach dem ja sogar das Renner Insitut der SPÖ benannt ist.

      Vranitzky - noch so ein roter Politparvenü der Österreich nur geschadet hat.



  4. Frühwirth
    08. Dezember 2021 10:25

    Am 29. August 1946 sagte Bundespräsident Dr. Renner in einem Interview:
    'Einem Volk ohne jede Möglichkeit eigener Willensbildung, ohne eigene Regierung, ohne Behörden, einem solchen Volk kann eine völkerrechtliche Verantwortung nicht aufgebürdet werden.
    Es hat Österreicher gegeben, die man auf Schlachtfelder geführt hat, aber keine österreichischen Soldaten.
    Ein Kollektivum, das eine Verantwortung tragen könnte war einfach nicht da.'



    • Josef A (kein Partner)
      09. Dezember 2021 08:10

      Leider hat Dr. Renner mit seiner Propaganda, freudig mit Ja zu stimmen, dazu beigetragen, dass es zu diesem "Volk ohne jede Möglichkeit ..." gekommen ist. Verhindern hätte er es vermutlich auch nicht können. Aber er hat sich darüber gefreut. Ein echter Sozialdemokrat ...



    • andreas.sarkis (kein Partner)
      09. Dezember 2021 10:37

      Deshalb war es auch so beschämend, dass die Bundesregierung 2018 "100 Jahre Ausrufung Deutsch-Österreichs" feierte.



    • xerios (kein Partner)
      10. Dezember 2021 17:56

      Ein echter Sozi und ein echter Logenbruder.

      Das Renner Denkmal neben dem Parlament wurde ja von seinen (roten) Logenbrüdern gestiftet.



    • xerios (kein Partner)
      10. Dezember 2021 18:07

      @andreas.sarkis

      Also gegen Deutsch-Österreich ist nichts einzuwenden.
      Der Begriff hat auch weder mit den Nazis noch mit dem Austrofaschismus zu tun.
      Sondern geht auf die unmittelbare Nachkriegszeit des 1.WK. zurück.
      Was sollen wir denn sonst sein?
      Siehe als Vgl. die Deutschschweizer.

      Ich rede und denke in Deutsch, meiner Muttersprache.
      Und die deutsche Geschichte und Kultur wurde über Jahrhunderte auch von Wien aus geprägt und mitbestimmt.
      Die Trennung erfolgte erst mit dem modernen deutschen Kaiserreich mit Sitz in Berlin.
      Ich bin kein Bundesdeutscher, aber auch kein Italiener oder Chinese.
      Sondern Deutschösterreicher.



    • andreas.sarkis (kein Partner)
      11. Dezember 2021 09:52

      Falsch verstanden. Die Regierung feierte 1918 die Ausrufung der Republik Österreich, die aber erst 1919 ausgerufen wurde.

      Übrigens nein. Bismarck hatte es klargestellt, Österreich sei kein Bestandteil Deutschlands (gegründet 1871). Österreicher waren und sind keine "Volksdeutschen". Das schließt aber natürlich nicht aus, dass sich viele als "Deutsche" fühlen (so wie als Türken, etc.).



    • xerios (kein Partner)
      11. Dezember 2021 19:03

      Bismarck meinte damit das damalige Deutsche Kaiserreich.
      So wie ich heute als Deutscher auch kein Bürger der BRD sein muss.
      Beides sind nationale Identitäten, wenn auch auf überwiegend ethnisch-kultureller Grundlage.
      Mit kleineren Ausnahmen, wie etwa damals bereits den Sorben oder Dänen.

      Was etwas anderes ist als Länder, Kulturräume und Siedlungsgebiete etc. wo seit über tausend Jahren und noch länger ebenfalls Deutsche gelebt haben und noch immer leben.

      Und erklären Sie mir bitte nicht, welche Identität ich seit meiner Geburt besitze und all die Generationen vor mir!
      Und jene wenigen darunter die keine Deutschen bzw Deutschösterreicher waren haben eine Willensentscheidung getroffen.



  5. Schani
    07. Dezember 2021 09:22

    Habe das Buch gestern gekauft und schon zu lesen begonnen - phantastisch! Ich werde noch weitere Exemplare zum Verschenken besorgen!



    • dssm
      07. Dezember 2021 17:54

      Danke @Schani, dann wird das gleich einmal bestellt.



    • Saile (kein Partner)
      09. Dezember 2021 04:22

      @ W. Sauber

      "... nach den deutschen Überfällen auf Polen, Frankreich ..."

      Am 3. Sept. 1939 hat GB und Frankreich dem DR den Krieg erklärt!

      Nix mit dem Überfall auf Frankreich und immer schön bei der Wahrheit bleiben, gell!



    • andreas.sarkis (kein Partner)
      09. Dezember 2021 10:39

      Wahrscheinlich war eher Belgien gemeint.
      Oder Dänemark? Oder Norwegen?



    • Saile (kein Partner)
      09. Dezember 2021 11:02

      Ich weiß es, wurde der Überfall der Bolschewiken von der UdSSR auf Finnland am 30. Nov. 1939 gemeint!






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