Gastkommentare

Freude am Lernen in „offenen Ordnungen“

23. Februar 2021 07:00 | Autor: Josef Stargl
2 Kommentare

Die Bürger in den von den Ideen der Aufklärung geprägten "offenen Lerngesellschaften" sind ihrer Freiheit entsprechend neugierig, stellen Fragen und suchen nach individuellen Antworten. Sie wissen, dass sie irren und Fehler machen, aber auch verantwortungsbewusst denkend und handelnd lernen können.

Lebensbegleitend ein "Leben in Freiheit" zu lernen verlangt eine Suche nach Wissen und nach der Wahrheit von Aussagen, eine Suche nach Erkenntnis der (unbeabsichtigten) Folgen von Handlungen und nach Lösungen für Erwartungsenttäuschungen/Probleme sowie eine Suche nach Selbsterkenntnis und nach Menschenkenntnis.

Ein "Suchender" entwickelt Freude am Lernen. Er strebt ständig nach Verbesserung und ist bereit, sich im Lernen zu üben, um voranzuschreiten auf dem Weg des Nachdenkens über "altes Wissen" und auf dem Weg des Forschens. Als "Nichtwissender" ist er offen für andere Ideen und Erklärungen. Er lässt Zweifel, Widersprüche, Kritik, Widerlegung und Korrekturen zu, um das Ziel "weniger Irrtümer und weniger Fehler" schrittweise lernend zu erreichen.

Die Menschen in "offenen Ordnungen" können sich in Freiheit und Verantwortung ihrer Grenzen bewusst werden und um ihrer selbst willen lernen. Das "Wissen um ihr Nichtwissen" führt sie hin zur Lernbereitschaft, zur Entwicklung von Lernfähigkeit und zur Erforschung der Wirklichkeit.

Leben ist Lernen. Das Streben nach Erkenntnis ist ein freudenreiches Abenteuer. Es gibt ständig neue Fragen, die wir nur lernend und vorläufig beantworten können. Auch das Lehren erfordert Lernen ohne des Lernens müde zu werden.

Die Erkenntnis des Lebens ist mit der Frage "Wie sollen wir leben?" verbunden.

Dabei hilft uns nicht nur Fachwissen oder ein Studium von Lebensweisheiten, sondern auch die Analyse der praktischen Probleme des Lebens und des schöpferischen Wirkens der Menschen.

Das Leben bejahend setzen sich die Bürger in "offenen Ordnungen" ihre Ziele und versuchen, Aufgaben zu erfüllen. Sie lernen dabei, mit Veränderungen umzugehen, entwickeln Eigeninitiative und Zivilcourage, um Widerstände zu überwinden oder sich im Wettbewerb zu bewähren.

Die Menschen setzen Lernen in Taten um und erfahren dabei auch das Erlebnis der Wertschätzung ihrer erbrachten Leistungen. Verantwortliches Handeln kann auch Misserfolge und ein Lernen durch Scheitern bewirken.

Freude am Lernen schließt Freude am Wettbewerb und an Veränderungen/Neuerungen mit ein. Wir lernen im Wettbewerb, durch neue Taten und durch Erfindungen/neue Technik.

Lernen im Umgang mit anderen Menschen, im Dialog und in der persönlichen Begegnung ermutigt zu neuen Fragen, zum Zuhören, zum Ertragen von Unvollkommenheit und zur Achtung der Würde der Menschen.

Leben ist Begegnung. Die Menschen lernen dabei Menschenkenntnis. Sie können erkennen, dass sie nicht mit vollkommenen Menschen kooperieren. In einem Team und im Wettbewerb ist es möglich, Talente aufblühen zu lassen, aber auch Milde gegenüber jenen zu zeigen, die weniger Lern- und Leistungsfähigkeit entwickeln und umsetzen.

Wenn Menschen einander kennen und verstehen lernen, dann entwickelt sich durch Lernprozesse auch Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Auch weniger lern- und leistungsfähige Menschen mit Hausverstand können wichtige Fragen stellen und ihre Ratschläge einbringen. Lehren und Lernen fordern und fördern einander. Es gibt Entwicklungsmöglichkeiten für unterschiedliche Persönlichkeiten.

Die Menschen stellen in der personalen Begegnung auch gerne Fragen, um andere Menschen zu studieren und zu erkennen. Eine Begegnung in Aufrichtigkeit und in Wahrhaftigkeit kann einem Menschen auch bei der Selbsterkenntnis helfen. Diese ist eine der Voraussetzungen für das Lernen von Menschenkenntnis.

Wer Eigenverantwortung und Freiheit lernen will, der kann auch versuchen, sich selbst zu erforschen.

Selbstkultivierung und Selbstentfaltung erfordern Selbstdisziplin. Wer sich selbstkritisch verhält und sich selbst achtet, der kann sich in Selbstprüfung üben, um sich in Muße selbst zu finden und seine Persönlichkeit zu bilden.

Selbstbeherrschung dient einem "Sich selbst beurteilen lernen". Unterscheiden lernen kann auch ein Anfang der Weisheit und des Selbstvertrauens sein.

Wer sich selbst als irrenden und Fehler machenden Menschen durchschauen lernt, der lernt auch leichter, andere Menschen zu begreifen.

Die Lebenspraxis ist eine Schule des Dialoges, der personalen Begegnung, der Selbsterkenntnis und der Menschenkenntnis.

Anstrengungen und tatsächlich erbrachte Leistungen ermöglichen eine Selbsterziehung sowie eine Stärkung des Selbst durch Lernen, durch Erneuerungsfähigkeit und durch eine Umsetzung des Erlernten.

Wahrhaftigkeit, Rücksichtnahme, Demut und Dienen können das Vertrauen der Menschen zueinander fördern. Glaubwürdigkeit und Vertrauen können genauso wenig (politisch) geplant und organisiert werden wie individuelle (kleine) Lernprozesse und Eigenleistungen freier Bürger, die nicht nur ihnen selbst, sondern unbeabsichtigt auch dem "Wohlstand für alle" dienen.

Zahlreiche in oligarchisch strukturierten Apparaten sozialisierte Funktionäre, Politiker, Technokraten und Bürokraten fördern mit ihren Regulierungs- und Interventionskaskaden, mit ihren Angriffen auf das Privateigentum sowie auf die Freiheit und mit einer zunehmenden paternalistischen Bevormundung im Versorgungsstaat die Aushöhlung "offener Lernordnungen".

Der Erwerb, der Ausbau und der Erhalt politischer Macht sind immer mehr mit einer Verantwortungslosigkeit für die Folgen politischer und bürokratischer Maßnahmen verbunden.

Die Lernresistenz und die Lernunfähigkeit von Politik und Verwaltung bewirkt nicht nur Staatsversagen/Staatenverbundsversagen, sondern hat auch Folgen für die Freude der Bürger am Lernen, am Wettbewerb und am Wandel sowie für den Wohlstand.

Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit.

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  1. Zraxl (kein Partner)
    26. Februar 2021 17:38

    "Leben ist Lernen. Das Streben nach Erkenntnis ist ein freudenreiches Abenteuer."

    Ja! Diesen beiden Sätzen stimme ich vollinhaltlich zu.



  2. Leodorn
    23. Februar 2021 10:30

    Prinzipiell gedacht ist eine „offene Ordnung“ ein Selbstwiderspruch, vielleicht deshalb unter Anführungszeichen? Würden den Grundlagenwissenschaften der Mathematik beispielsweise „offene Ordnungen“ zugrundeliegen, wäre sinnvolles – verbindliches und wahrhaft richtiges - Rechnen und Berechnen unmöglich.

    Eine ganz andere Frage ist aber, ob auf einer „geschlossenen“ Grundlage nicht permanent neue „Anwendungen“ hervorgehen können, ja müssen, weil mit neuen Interessen neue Zwecke erscheinen. Man frage die Ingenieure der „Marslandungen“, wie sie darüber denken. Mit der erfolgreichen Landung erlischt die geschlossene Verbindlichkeit des Kleinen Einmal Eins keineswegs.

    Und was für die Mathematik gilt, gilt auch für viele andere Fächer, auch für die philosophischen. Wohin das offene System des Multikulturalismus führt, das davon schwärmt, die Sitten des täglichen Lebens immer wieder „neu auszuhandeln“ sollte bekannt sein.

    Wirklich offene Systeme regieren in der modernen Kultur nur im Feld der modernen Künste, sofern man den Sonderfall Architektur (bewohn- und begehbare Bauten)ausnimmt.

    Grund: Die freigesetzte Freiheit der Künste wurde spätestens im 20. Jahrhundert irreversibel. Ein nicht leicht durchschaubarer und dennoch zwingender Grund. Ein Künstler, der nicht permanent alle Grenzen überschreiten möchte, ist kein moderner. Daß er sich dabei wie Nietzsches Übermensch erfährt, dieses brüchige Glück sei ihm gegönnt.
    LD






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